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Ernstfall Europa

Europa muss sich selbst ernst nehmen, fordert BAKS-Präsident Ekkehard Brose und zieht Folgerungen aus der Münchner Sicherheitskonferenz 2020.
Autor: 
Brose, Ekkehard

Die diesjährige Vermessung der Welt bei der Münchner Sicherheitskonferenz bestätigt: Europa ist sicherheitspolitisch eher eine Randerscheinung. Jene Weltgegend, die Bundespräsident Steinmeier in seinen nachdrücklichen Eröffnungsworten noch als „konkretesten Ort deutscher Verantwortung“ beschwört, ist US-Außenminister Pompeo in seiner Rede kaum ein Wort wert. Der starke Nationalstaat bestimmt sein Denken. Die Augen Amerikas sind auf China gerichtet, die Kräfte angespannt zum entscheidenden Duell.

Bundespräsident Steinmeier macht den Europäern Mut, die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten zu erkennen, aber daran nicht zu verzweifeln. Und dann fällt der entscheidende Satz: „Ist es uns ernst mit Europa, dann darf in der Mitte Europas kein ängstliches Herz schlagen.“ Was bedeutet das für deutsche Außenpolitik?

Erstens, die NATO weiter stärken, um die USA über den Wechsel der Administrationen hinweg dauerhaft in Europa zu verankern. Das ist – Trump hin oder her – ein Gebot politischer Vernunft. Auf absehbare Zeit gibt es nämlich keine realistische Alternative für den Schutz unserer Sicherheit im kontinentalen Maßstab.

Zweitens, Europa zum sicherheitspolitischen Akteur formen. Dazu müssen wir mutig von unserem „moralischen Hochsitz“ (Stefan Kornelius) herunterklettern in die Niederungen der Realpolitik. Die bislang ergriffenen Initiativen sind richtig, aber unzureichend. Europäischer Sicherheitsrat, Mehrheitsbeschlüsse, vertiefter sicherheitspolitischer Dialog mit Frankreich, Europäische Interventions-Initiative, verstärkte Nutzung von positiven „Koalitionen der Willigen“ - so lauten die weiterführenden Stichworte.

Drittens, nicht nur unsere Verteidigungskraft, sondern zugleich deren Verschränkung mit zivilen Instrumenten des Krisenmanagements stärken. Die Staaten Europas geben jährlich mehr als die USA für humanitäre Hilfe, zivile Stabilisierung und entwicklungspolitische Maßnahmen aus. Aus gutem Grund, denn die Probleme um uns herum fordern den Einsatz all dieser Instrumente. Schon in Deutschland gelingt jedoch die Einbettung der vielen Einzelschritte, zivil wie militärisch, in eine umfassende Strategie nur selten. Dieser strukturelle Mangel setzt sich auf internationaler Ebene fort, etwa zwischen Vereinten Nationen, EU und NATO. Er schwächt unsere Effektivität.

Die drei Folgerungen haben einen gemeinsamen Kern. Europa hat nicht nur eine eigene Geografie, Geschichte und Kultur, es hat auch eigene Sichtweisen und Interessen. Wollen wir ernst genommen werden, so müssen wir Mut fassen, uns selbst ernster zu nehmen.

Botschafter Ekkehard Brose ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Zuvor war er Beauftragter für Zivile Krisenprävention und Stabilisierung im Auswärtigen Amt und von 2014 bis 2016 Deutscher Botschafter im Irak. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

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