#angeBAKSt

Europäische Sicherheitspolitik: Auf Deutschland kommt es an!

Mehr Europa in der Sicherheitspolitik braucht mehr deutsches Engagement - damit kommen unbequeme Fragen auf uns zu, schreibt BAKS-Präsident Brose.
Autor: 
Brose, Ekkehard

Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Diese knappe Einschätzung der Bundeskanzlerin vom Sommer 2017 zur Situation Europas und Deutschlands in der Welt hat seitdem an Aktualität nur gewonnen. In der Welt zählt allein Stärke und jeder ist sich selbst der Nächste, so schrillt es über den Atlantik hinweg.

Belastbare Sicherheitspolitik fußt auf breiter öffentlicher Unterstützung. Ausgangspunkt jedes selbstkritischen Prüfens sollte deshalb die Summe unserer sicherheitspolitischen Erfahrung sein, von der Last eines verbrecherischen Weltkriegs bis zur friedlich wiedergewonnenen Einheit und Souveränität, von Kosovo und Afghanistan bis Irak und Mali. Drei Konturen treten im Blick über die vergangenen Jahrzehnte hervor: Erstens war die schrittweise Aufgabe der deutschen Nachkriegs-Abstinenz von jeglicher militärischen Intervention politisch schwierig und verlief nicht ohne Konflikte – stets aber mit parlamentarischer Rückversicherung und im Bündnis mit Partnern. Diese Errungenschaft – eine Art doppelter Imperativ der deutschen Sicherheitspolitik – sollten wir uns bewahren. Zweitens hat Deutschland verstanden, dass militärische Lösungen in aller Regel nicht für die Beherrschung komplizierter politischer Problemlagen taugen. Das deutsch-französische „I am not convinced“ zum amerikanisch geführten Krieg gegen den Irak 2003 erwies sich jedenfalls als klarsichtig. Drittens hat Deutschland in den vergangenen Jahren gezielt seine Fähigkeit gestärkt, mit zivilen Mitteln Gewalt in Krisen vorzubeugen oder sie einzudämmen. Das Instrumentarium dieser so genannten „Außenpolitik mit Mitteln“ hat unsere Optionen erweitert. Deutschland setzt es inzwischen im internationalen Verbund auf vielen Krisenschauplätzen der Welt ein.

Europäische Sicherheit erfordert Fähigkeit und Bereitschaft zum Handeln

Das ist eine Grundlage, die Selbstbewusstsein vermitteln kann. Zum strategischen Akteur, der sein sicherheitspolitisches Schicksal in einem rauer gewordenen Umfeld stärker selbst in die Hand nimmt, fehlt Deutschland dennoch Entscheidendes. Als Mittelmacht sind wir auf multilaterale Ordnungsstrukturen angewiesen, auch um uns im Kreise der Großen Gehör zu verschaffen. Deshalb tritt Deutschland entschieden dafür ein, zivile wie militärische Fähigkeiten Europas weiter zu entwickeln und damit zugleich die europäische Stimme in der NATO zu stärken. Das wirft allerdings innenpolitisch heikle Fragen auf: Ein starkes Europa erfordert die Entwicklung nationaler und europäischer militärisch-technologischer Fähigkeiten im Einklang mit unserer erklärten Bereitschaft zur Übernahme von mehr internationaler Verantwortung. Die Glaubwürdigkeit unseres Engagements für europäische Sicherheit verlangt darüber hinaus eine integrationsfreundliche Öffnung des parlamentarischen Billigungsverfahrens für den Einsatz europäisch eingebundener militärischer Fähigkeiten – etwa bei Luftbetankung oder Frühwarnung. Ohne einen substanziellen deutschen Beitrag in diesen kritischen Punkten bleibt europäische Sicherheitspolitik letztlich eine Worthülse.

Auch unangenehme Fragen müssen auf den Tisch

Die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland konzentriert sich darüber hinaus beinahe ausschließlich auf Waffenexporte, Rüstungskontrolle und zivile Aspekte von Sicherheit. Das Spektrum relevanter Problemstellungen reicht aber tatsächlich viel weiter, bis hin zu Fragen der nuklearen Abschreckungsstrategie der NATO in Europa. Auch diese, vielerorts auf Skepsis und Ablehnung stoßenden Aspekte von Sicherheit sollten jedoch Gegenstand rationaler Analyse, offener gesellschaftlicher Debatte und des interessenorientierten Austausches mit unseren Partnern sein. Schließlich, erst im spannungsreichen Dialog der „drei D“ – Diplomacy, Defence, Development – entsteht umfassende sicherheitspolitische Problemlösungskompetenz. Dieser Dialog findet in Deutschland auf dem Papier, in Weißbüchern und Krisenleitlinien, durchaus statt. Im politischen Alltag jedoch kommt er über hoffnungsvolle Ansätze bislang nicht hinaus. – Ein strategischer Akteur braucht nicht nur Fähigkeiten; entscheidend ist auch die grundsätzliche Bereitschaft, diese einzusetzen und eine Leitidee, die jedem konkreten Einsatz der Mittel erst politischen Sinn verleiht. Die gegenwärtige deutsche Diskussion über das Zwei-Prozent-Ziel der NATO nimmt ausschließlich den ersten dieser drei Aspekte in den Blick. Sie greift auch deshalb zu kurz.

Breites Einverständnis besteht, so scheint mir, über das Ziel – mehr sicherheitspolitische Selbstbestimmung Europas. Unabhängigeres Handeln hat indes seinen Preis, selbst unter Partnern. Der Weg dorthin ist politisch nicht bequem. Lassen wir ihn uns nicht von außen aufdrängen. Wir brauchen die ehrliche strategische Debatte im Deutschen Bundestag ebenso wie den offenen Austausch mit einer kritischen Öffentlichkeit als Grundlage für mutige Politik. Nicht, weil Trump uns das twittert, sondern weil wir selbst uns davon überzeugt haben. Denn auf Deutschland kommt es an beim Thema europäische Sicherheit, allemal in einer EU ohne Großbritannien.

Botschafter Ekkehard Brose hat am 1. Oktober 2019 die Leitung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik übernommen. Zuvor war er Beauftragter für Zivile Krisenprävention und Stabilisierung im Auswärtigen Amt und von 2014 bis 2016 Deutscher Botschafter im Irak. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

Region: