Deutschland ist ein katastrophenarmes Land. Daher wird dem Bevölkerungsschutz von vielen Menschen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. „Dem Bevölkerungsschutz mehr Augenmerk schenken!“, wünschte sich daher Dr. Johannes Richert, Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuz, im Hinblick auf die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017. Ähnlich fiel das Fazit von Professor Martin Voss, Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der Freien Universität Berlin, aus. „Gehen Sie mit der Bevölkerung in den Dialog!“, so seine Forderung am Ende einer Diskussionsrunde an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) zur Zukunft des Bevölkerungsschutzes.
Unter der Überschrift „Zwischen Vulnerabilität und Resilienz. Was bedeutet Bevölkerungsschutz heute?“ hatten die BAKS und das Bundesinnenministerium, in enger Kooperation mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) am 5. Oktober 2016 rund 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Bundestagsabgeordneten eingeladen, um ihnen das komplexe System des deutschen Bevölkerungsschutzes vorzustellen und seine Zukunftsfestigkeit zu diskutieren.
Zum Auftakt der Veranstaltung setzte sich Voss kritisch mit dem Status Quo und den Perspektiven des Bevölkerungsschutzes in Deutschland auseinander. Seine „Thesen zur Zukunft des Bevölkerungsschutzes“ machten einerseits deutlich, dass Deutschland über ein sehr leistungsfähiges System des Zivil- und Katstrophenschutzes auf Bundes- und Landesebene verfüge; Andererseits bestünde jedoch Handlungsbedarf, um diese Leistungsfähigkeit auch in Zukunft zu erhalten. Anlass zur Sorge gebe vor allem der Rückgang des Ehrenamts, worauf das gesamte System des Bevölkerungsschutzes ruhe.
Zur Frage der „Resilienz“ machte Franz-Josef Hammerl, Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium, deutlich, dass eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Risiken der modernen Gesellschaft geführt werden müsse. „Resiliente Gesellschaft“ höre sich etwas hochtrabend an. Es gehe heute schlicht darum, eine ehrliche Diskussion über die tatsächlichen Risiken zu führen, nachdem 25 Jahre so getan worden sei, als ob wir über einen Vollkasko-Staat verfügten. Dem pflichtete Richert aus Sicht der Hilfsorganisationen bei. Er vertrat die Auffassung, dass in Deutschland das Bewusstsein für Selbstvorsorge fehle. Es fehle insoweit auch an der nötigen Aufklärung durch die Politik. Das Thema „Selbst-Resilienz“ werde nicht offen kommuniziert. Man müsse, um sich für die Zukunft zu rüsten, Resilienz vermitteln und lehren, so Richert: „Wir müssen Resilienz erziehen, Bewusstsein für Resilienz schaffen!“
In Zukunft komme es vor allem auch darauf an – darin war man sich einig – die Kultur des Ehrenamts in Deutschland zu erhalten und weiterzuentwickeln. Christoph Unger, Präsident des BBK, führte aus, dass man besonders gute Erfahrungen mit neuen Medien gemacht habe, um Wissen über den deutschen Bevölkerungsschutz an die Öffentlichkeit zu vermitteln.
Für eine ehrenamtliche Mitarbeit im Bevölkerungsschutz gelte es, neue Anreize zu schaffen, gleichviel ob bei der Feuerwehr, dem THW, den Rettungsdiensten oder Hilfsorganisationen. Ehrenamtliche Betätigung müsse attraktiver gestaltet werden, Überregulierungen kritisch hinterfragt werden. Gerd Friedsam, Vizepräsident des THW, betonte insoweit die Bedeutung einer gezielten Nachwuchsgewinnung und Jugendarbeit. Zurzeit seien etwa 15.000 Jugendliche in den THW-Ortsverbänden. Entscheidend sei, diese Jugendliche auch für den Übertritt in den aktiven Dienst zu gewinnen.
Am Ende ergab die Diskussion zur Resilienz und Zukunft des Bevölkerungsschutzes, dass es an einer öffentlichen Diskussion zum Bevölkerungsschutz fehle – es benötige nicht nur eine abstrakte Diskussion über das System und die Zukunft des Bevölkerungsschutzes, sondern es mangele vor allem an einer Diskussion mit der Bevölkerung selbst.
Autoren: Norbert Reez, Julia Fuß