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Neues NATO-Kommando in Deutschland: Die Streitkräftebasis als Vorbild?

10/2018
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Im Februar 2018 einigten sich die NATO-Verteidigungsminister bei ihrem Treffen in Brüssel auf eine Anpassung der NATO-Kommandostruktur. Neben den USA bot sich Deutschland an, eines der beiden neuen Hauptquartiere zukünftig zu beheimaten. Inzwischen hat sich das Angebot der Bundesrepublik konkretisiert: Ulm soll mit einem bereits existierenden multinationalen Kommando der Streitkräftebasis Sitz des neuen Joint Support and Enabling Command (JSEC) werden. Die Wahl auf Streitkräftebasis und Deutschland als Standort erscheint logisch, allerdings sind mit neuen Strukturen allein noch nicht alle Probleme der NATO gelöst.

Schmerzliche Lehrstunden der kollektiven Bündnisverteidigung

Vier Jahre ist es her, seitdem Russland mit der Annektierung der Krim nicht nur internationales Recht verletzte, sondern die europäische Friedensordnung zur Durchsetzung nationaler Interessen mit militärischen Mitteln dauerhaft in Frage stellte. Die bis heute anhaltende Intensivierung der russischen Militärmanöver, die aggressive und teils nukleare Drohrhetorik sowie kontinuierliche Kampagnen gegen den Westen im Informations- und Cyberraum haben an diesem Zustand wenig geändert. All dies verstetigt den Wandel, der sich im Bewusstsein und im Handeln der NATO-Bündnispartner eingestellt hat: Das Ziel ist, Russland abzuschrecken, und die Allianz ist wieder in der Welt der Bündnisverteidigung mit Manövern, Truppenbewegungen und gegenseitiger Rückversicherung in Europa angekommen. Damit hat sich der Anspruch an das Militär deutlich erhöht. Die Fähigkeiten zur kollektiven Verteidigung im Bündnis müssen gestärkt werden, ohne den Blick für die laufenden Einsätze in den Krisengebieten wie Afghanistan und Irak zu verlieren.

Trotz aller sichtbaren Erfolge der Maßnahmen, die militärische Einsatzbereitschaft der NATO zu signalisieren, waren die Jahre nach 2014 auch eine Lehrstunde in Defiziten. Es zeigte sich, dass zahlreiche seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr vorgehaltene Fähigkeiten und eingespielte Verfahren verlorengegangen sind. Besonders gravierend offenbart sich dieser Mangel, wenn es darum geht, schnell und unkompliziert große Truppenkörper durch Europa zu bewegen. Der Katalog offener Fragen ist lang und geht von der Tragfähigkeit von Brücken für schwere Panzer, die Nutzung von Schienenstrecken, Standards in der Beladungssicherheit von LKWs bis hin zur Bürokratie bei grenzüberschreitenden Bewegungen militärischer Truppen und Güter. Was bis Anfang der Neunzigerjahre mit den regelmäßigen „REFORGER“-Übungen (Return of Forces to Germany) gängige Praxis war, führt heute zu bürokratischen Hürdenläufen. Führende Politiker und Militärs beklagen daher nicht nur die materielle Verfügbarkeit von Panzern, Flugzeugen und Schiffen, sondern auch große Schwierigkeiten dabei, größere Einheiten über weite Strecken am richtigen Ort zum Einsatz zu bringen.

Die NATO plant daher konsequenterweise, die Einrichtungen ihrer Kommandostruktur und ihrer Streitkräftestruktur besser auf die Anforderungen der kollektiven Bündnisverteidigung auszurichten. Auf Ebene der Streitkräftestruktur sollen zu den vorhandenen Joint Force Commands in Brunssum und Neapel, die etwa den Afghanistan- oder den Kosovo-Einsatz auf Ebene der NATO führen, zwei neue Kommandos treten: Eines mit vorrangig maritimer Ausrichtung zur Operationsführung auf dem Atlantik, mit Sitz in den USA, und ein zweites zur Koordinierung der Maßnahmen in Zentral- und Westeuropa, für das die Bundesregierung einen Standort in Deutschland vorgeschlagen hat. Dieses zweite Kommando soll nach dem bisher bekannten Stand als Joint Support and Enabling Command von Ulm aus vor allem den Schutz und die Operationsfreiheit von Truppenverbänden sowie die Funktion verschiedener Unterstützungsprozesse gewährleisten.

Neben dieser organisatorischen Entwicklung hat seit 2017 die Diskussion über die Errichtung eines „Military Schengens“ in der NATO verstärkt Fahrt aufgenommen. Der Begriff wurde vom früheren Kommandeur des US-Heeres in Europa, Generalleutnant Ben Hodges geprägt und auch durch Verteidigungsministerin von der Leyen aufgenommen. Diese Initiative soll es ermöglichen, dass Truppen, Fahrzeuge und Gerät der Streitkräfte, ähnlich dem freien Warenverkehr der EU, ungehindert durch Europa an die Außengrenzen der NATO verlegt werden können. Eine Aufgabe des neuen NATO-Kommandos in Deutschland könnte es sein, dabei als Katalysator zu wirken.

Zwei Argumente für ein NATO-Kommando in Deutschland

Für die Bundesrepublik ergeben sich zwei Eigenschaften, die es nahezu unumgänglich machen, in der zukünftigen Organisation gemeinsamer Übungen und Operationen der NATO eine herausgehobene Rolle zu spielen. Das erste Merkmal ist die besondere geostrategische Situation Deutschlands im Zentrum Europas. Aufgrund dieser Lage ist die Bundesrepublik nicht nur Transitland für Truppenverlegungen, sondern auch Aufnahmestaat und Gastnation für verbündete Streitkräfte im Rahmen von Host Nation Support und bildet zudem auch einen Teil des rückwärtigen Operationsgebiets für Maßnahmen der Bündnisverteidigung. Aus dieser räumlichen Überschneidung der Bereitstellung von Leistungen für Truppenteile mit unterschiedlichen Aufträgen in verschiedensten Szenarien ergeben sich zahlreiche nationale aber auch multinationale Aufgaben und Koordinierungsleistungen, die nicht mehr durch jedes Bündnismitglied allein beziehungsweise auf dem eigenen Territorium gelöst werden können. Deutschland wird sich also darauf einstellen, als zentraler logistischer Knotenpunkt für Alliierte und Partnerstaaten zu agieren und im Falle einer umfassenden Bedrohung auch eine wesentliche Rolle für die Sicherheit des Bündnisses in Zentraleuropa übernehmen.

Das zweite Merkmal ist die Erfahrung, die Deutschland seit dem Jahr 2000 mit der Streitkräftebasis (SKB) als „Joint Support Service“ der Bundeswehr gesammelt hat. Mit großer Skepsis wurde zu Beginn des Jahrtausends die Entscheidung des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping gesehen, Aufgaben wie ABC-Schutz, Militärpolizei oder querschnittliche Logistik aus den klassischen Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine herauszulösen und einem neugeschaffenen zentralen Organisationsbereich, der Streitkräftebasis, zuzuordnen. Hierbei stand damals nicht nur die Effizienzsteigerung im Vordergrund, sondern vor allem die Absicht, die steigende Beteiligung an Auslandseinsätzen trotz Personal- und Haushaltskürzungen bewältigen zu können. Die damalige Kritik ist inzwischen im nationalen und internationalen Bereich der Anerkennung gewichen, dass dieses vor 18 Jahren initiierte, zukunftsweisende Projekt sich nicht nur bei der Organisation der Rückverlegung des Großteils des Afghanistankontingents und der ersten Verlegungen deutscher Truppen zur Rückversicherung der östlichen NATO-Partner ins Baltikum bewährt hat. Vielmehr wird dieses Modell auch Vorbild für die Weiterentwicklung der gemeinsamen Unterstützungsdienstleistungen der atlantischen Allianz und in der Europäischen Union sein. Beide Faktoren dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Deutschland die Bereitschaft zur Aufstellung des multinationalen NATO-Kommandos in Ulm angezeigt hat und dafür im Bündnis viel Zustimmung erntete.

Die Streitkräftebasis als Vorbild

Bisher deutet sich an, dass die NATO zukünftig 1.000 bis 1.500 zusätzliche Dienstposten in die erweiterte Führungsstruktur investieren will, von denen 100 bis 150 Stellen in das neue NATO-Kommando in Deutschland einfließen könnten. Die Bundeswehr wird wahrscheinlich den größten Teil mit eigenem Personal beisteuern müssen. Dabei wird wahrscheinlich auf die bereits existierenden Strukturen des in Ulm vorhandenen Multinationalen Kommandos Operative Führung zurückgegriffen werden, welches zur Streitkräftebasis gehört. Das liegt zum einen daran, dass das Kommando auch rein nationale Aufgaben übernehmen soll und auf bestehende Erfahrungen und eingespielte Verfahren zurückgreifen kann; zum anderen stehen derzeit trotz der Anstrengungen, den Personalkörper der Bundeswehr wieder zu vergrößern, nicht genügend Kräfte für ein weiteres eigenständiges Kommando zur Verfügung. Daher ist es auch unzutreffend, wenn kritische Stimmen vielerorts in diesem Kontext von einer „Aufrüstung“ (gegen Russland) sprechen, denn selbst mit der geplanten Verstärkung der NATO-Führungsstruktur wird in Zahlen noch nicht einmal die Hälfte der im Kalten Krieg in dieser Struktur eingesetzten 20.000 Stellen erreicht. Es geht vielmehr darum, die vorhandenen Kräfte vielseitig einsetzbar zu machen.

Dazu müssen sie strukturell angepasst, vollständig ausgerüstet, durchhaltefähig versorgt und – wie am Beispiel des neuen NATO-Kommandos besonders deutlich wird – vor allem effektiv geführt werden. Im Rahmen der Anpassung der Führungsorganisation der NATO ist beabsichtigt, dass das Kommando den Schutz im rückwärtigen Gebiet und die Funktion der Unterstützungsprozesse dort sicherstellen kann. Zu diesem rückwärtigen Gebiet wird zukünftig eine sogenannte Rear Area als Verantwortungsbereich gehören, die im Wesentlichen das Territorium der NATO-Staaten in Europa umfassen wird. Das Kommando wird darin unter anderem zum Schutz militärischer Einrichtungen, der sanitätsdienstlichen Unterstützung und Versorgung der Truppen, der Koordination von Verkehrsbewegungen und der Synchronisation der Gesamtoperation beitragen.

Die Bundeswehr verfügt mit der Streitkräftebasis bereits über einen Organisationsbereich, in dem wesentliche Funktionen für den Betrieb, die Unterstützung im Einsatz und die Führung bei Einsätzen im Inland zusammengefasst sind. Für die Zusammenarbeit im Bündnis hat sich Deutschland als Rahmennation und Anlehnpartner für kleinere Nationen unter dem Dach des Framework Nation Concept (FNC) zusammengetan und stellt die querschnittlichen Fähigkeiten der Streitkräftebasis mit europäischen Partnern gemeinsam zur Verfügung. Das hat den Hintergrund, dass nur noch sehr wenige europäische Nationen in der Lage sind, größere Verbände rein national aufzustellen. Daher werden von den europäischen NATO-Partnern getragene Multinationale Großverbände (Larger Formations) gemeinsam geplant und so zu glaubhafter Abschreckung und einer Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO beigetragen.

Eine tragfähige und übergreifende Unterstützungsorganisation in der Mitte Europas, die der Diversität der zum Einsatz kommenden Truppe gerecht wird, ist daher unumgänglich. Dies wird inzwischen auch in der EU durch die Maßnahmen der Permanenten Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) auf dem Weg zur europäischen Verteidigungsunion verfolgt. Insgesamt wird so auf dem Territorium der teilnehmenden europäischen Staaten bereits ein geschützter gemeinsamer Unterstützungsraum geschaffen, der die Souveränität der einzelnen Staaten respektiert und gleichzeitig gemeinsame Einsätze auch im Sinne des NATO Ansatzes in einer 360-Grad-Perspektive effizient und effektiv ermöglicht.

Die bisherigen Aufgaben der Streitkräftebasis sind bereits weitreichend, und sie werden umso mehr gebraucht, weil sich das Bündnis auf Abschreckung durch die umfassende Befähigung zur kollektiven Bündnisverteidigung einstellt. Dabei erfüllt die Streitkräftebasis, so wie für das neue NATO-Kommando angedacht, nationale Aufgaben für die Bundeswehr genauso wie für Alliierte. Neben ihrer Verantwortung für logistische Prozesse und das Militärpolizeiwesen, zum Beispiel zur Lenkung und Absicherung militärischer Konvois, stellt sie mit den Truppenübungsplätzen wesentliche Ausbildungs- und Übungs- und Unterbringungseinrichtungen für die Bundeswehr bereit. Dabei versorgt die Streitkräftebasis nicht nur „fremde“ Truppen, sie verfügt auch über eigene hochspezialisierte Einheiten, die vom Einsatz in Afghanistan bis hin zur Landesverteidigung gebraucht werden. Dies gilt zum Beispiel für die Abwehr biologischer und chemischer Waffen, die Bereitstellung von Kraftstoff oder die Besetzung spezieller Dienstposten an zivil-militärischen Schnittstellen, etwa im Katastrophenschutz.

Im Rahmen der Planungen zur Bündnisverteidigung kommt der Drehscheibe Deutschland in der NATO eine zentrale Rolle zur Gewährleistung der ungehinderten und schnellen Bewegung von Truppen und dem Host Nation Support zu. Zugleich werden deutsche Kräfte in anderen NATO- und EU-Staaten zu Empfängern der dortigen nationalen Unterstützung. Die Streitkräftebasis koordiniert bereits für die Bundeswehr alle Leistungen für Alliierte im Inland als Host Nation Support. Sie ist zudem verantwortlich für die Planung aller militärischen Konvois, Übungen und Verlegungen im Inland einschließlich der Transitbewegungen durch Deutschland – all das sind Kompetenzen, die vermehrt gebraucht werden. Auf Grundlage der erhöhten Aktivitäten der NATO zur Steigerung der Verteidigungsbereitschaft sowie in einem tatsächlichen Falle von Bündnisverteidigung in Europa müssten erhebliche Truppenbewegungen der Alliierten durch die logistische Drehscheibe Deutschland unterstützt werden. Der Einsatz der dazu erforderlichen Ressourcen bedarf der multinationalen Abstimmung und der Abstützung auf zivile Leistungserbringer, wie etwa im Bahnverkehr oder der Hafenverladung. Diese Führungs- und „Spinne-im-Netz“-Funktion kommt in Deutschland aktuell der Streitkräftebasis zu. Die dazu nötige Koordination aller militärischen, gewerblichen und behördlichen Maßnahmen muss zukünftig europaweit bereits im Frieden geleistet und für den Fall einer Krise beübt und damit beherrscht werden. Allein das ist eine Mammut-Aufgabe.

Auch wenn mit Blick auf geographische Verantwortung, Einordnung in die Führungsorganisation und die konkreten Einzelaufgaben zwischen der Streitkräftebasis und dem neuen NATO-Kommando durchaus erhebliche Unterschiede bestehen, zeichnen sich doch deutliche Überschneidungen im Aufgabenportfolio ab. Hinzu kommt, dass allein schon die Reibungsverluste beim Aufstellen eines solchen Kommandos unter einem anderen organisatorischen Dach durch die dann zwangsläufige Reduktion von Personal anderenorts zu einem Wissens- und Transferverlust führen würden, den es mit Blick auf eine effektive Bündnisverteidigung zu vermieden gilt. Es ist daher folgerichtig, dass Deutschland gegenüber der NATO die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für dieses Kommando erklärt hat. Die Streitkräftebasis richtet ihre Planungen darauf aus, diese Verantwortung zu übernehmen.

Mit neuen Strukturen allein ist es nicht getan

Die Fähigkeiten und Kräfte der Bundeswehr gibt es nur in einem durchgängigen und einmal vorhandenen Kräftedispositiv. Spezielle Vorhalte für rein nationale Aufgaben, nur für die EU oder allein für die NATO sind dabei die Ausnahme und personell kaum zu stemmen. Eine Duplizierung von Truppenteilen, Kommandos oder Projekten kann daher nicht erfolgen. Dies ist auch bei der Ausgestaltung des künftigen Unterstützungskommandos zu berücksichtigen. Für die Streitkräftebasis als Organisationsbereich wird es nun noch stärker als bisher darum gehen, mit internationalen Partnern Unterstützungsleistungen in allen Ausprägungen für multinationale Großverbände auf deutschem Territorium bereitzustellen. Die Befähigung zur Bündnisverteidigung wird Daueraufgabe bleiben. In diesem Zusammenhang wird unabhängig vom neuen NATO-Kommando auch zu prüfen sein, inwieweit der gestiegene Bedarf an Unterstützungsleistungen die künftige Struktur der Bundeswehr bestimmen wird. Dies wird den Rückgriff auf zivile Ressourcen genauso umfassen müssen, wie die Frage, in welchem Umfang militärische Stand-by-Kräfte eigens für die Bandbreite der nötigen Unterstützungsszenarien vorgehalten werden müssen. In Friedenszeiten wird man vermutlich mehr auf eigene militärische Instandsetzungs-, Versorgungs- und Aufnahmeeinheiten zurückgreifen können, als dies im Spannungs-/ und Verteidigungsfall möglich sein wird, wo der Bedarf an vertraglich bereitgestellte Dienstleistungen von zivilen Partnern der Wirtschaft deutlich ansteigen wird. Dies gilt vergleichbar auch für die europäischen Partner, die die militärischen Unterstützungsleistungen auf den Bedarf der eigenen Streitkräfte ausgerichtet haben. So wäre es zum Beispiel im Spannungsfall denkbar, dass ein britisches Panzerbataillon bei seiner Ankunft in Bremerhaven am Kai durch niederländische Soldaten gesichert, auf seinem Weg durch Deutschland durch Kräfte der Bundeswehr begleitet und anschließend durch die polnischen Streitkräfte in seinen Operationsraum an der NATO-Ostgrenze eingewiesen wird – koordiniert durch das Kommando in Ulm.

Das neue NATO-Kommando wird in seiner Arbeit schnell Fahrt aufnehmen müssen. Damit die gemeinsame und effektive Ausplanung und Organisation von gemeinsamen Truppenbewegungen stattfinden kann, ist auch auf dem nicht-militärischen Sektor Anpassungsbedarf gefordert. Streitkräfte in Europa sehen sich zunehmend gleichen Aufgaben und Herausforderungen gegenüber, daher ist ein multinationaler Lösungsansatz mehr als zielführend. Dies wird daher Fragen der Standardisierung, des Bürokratieabbaus, der zivil-militärischen Zusammenarbeit, der rechtlichen Grundlagen und der Institutionalisierung multinationaler Zusammenarbeit nicht ausschließen können. Zudem wird das Kommando nicht aus eigener Kraft Brücken tragfähiger, Schienennetze leistungsfähiger und Häfen aufnahmefähiger machen. Investitionen in die Infrastruktur müssen in Verantwortung der Mitgliedsstaaten erfolgen. Gleiches gilt für die behördliche Zusammenarbeit bei der Absicherung und Begleitung von Konvois vom Atlantik bis nach Tallin, wie mit Blick auf einen vereinfachten Grenzübergangsverkehr. Jüngst hat die EU-Kommission einen Action Plan on Military Mobility mit diversen Maßnahmenpaketen ins Leben gerufen, der bestehende Hürden schnellstmöglich abbauen und die europäische Verteidigungsunion stärken soll. Entsprechende Maßnahmen sind aber nur für die EU-Mitglieder verbindlich. Daher ist einer Kooperation in dieser Frage mit der NATO unumgänglich, wenn man in Europa unterschiedliche Mobilitätsräume verhindern will.

Geht man diese Frage nicht an, würde sich mit der Gründung eines zentralen Kommandos die genannten Herausforderungen schließlich zunächst nur verlagern, ohne dass diese umfassend gelöst werden. Rahmenvereinbarungen auf nationaler und zwischenstaatlicher Ebene können die Grundlagen für gemeinsame Standardisierung, Informationsaustausch, Lagebild und Zugriff auf nationale Dienstleistungen liefern. Das neue NATO-Kommando kann hierfür die fachliche Zuarbeit leisten – die Abstimmung muss aber auf politischer Ebene erfolgen und vertraglich verankert sein. Dies setzt allerdings den politischen Willen voraus, die sich daraus ergebenden Maßnahmen auch bei den souveränen Nationalstaaten mitzutragen und dies der Öffentlichkeit gegenüber zu erklären. Deutschland wird daher die Aufstellung des neuen Kommandos und die damit verbundene erhöhte militärische Verantwortung in Europa gegenüber der eigenen Bevölkerung als notwendig, effizient und vor allem sicherheitspolitisch begründet erklären müssen.

Fazit

Die Bereitschaft Deutschlands, Verantwortung bei einer angepassten NATO-Struktur zu übernehmen, ist sicherheitspolitisch und militärisch vernünftig. Zur Vermeidung von duplizierten und personell ausgedünnten Parallelstrukturen und dem Nutzen gesammelter nationaler Erfahrungen soll dabei auf das bereits existierende Element der Streitkräftebasis in Ulm zurückgegriffen werden. Bereits jetzt gibt es deutliche Überschneidungen mit den Aufgaben eines entsprechenden NATO-Kommandos. Eine Aufstellung einer Organisationseinheit allein wird allerdings nicht ausreichen, um zur Effizienzsteigerung der kollektiven Bündnisverteidigung beizutragen. Deshalb sind dafür zwischen den Bündnispartnern auch die Grundlagen zu schaffen, gemeinsame Operationen aus einer Hand gemeinsam zu unterstützen. Notwendiges Handeln und das Umsetzen entsprechender Maßnahmenpakete müssen der Öffentlichkeit aktiv vermittelt werden.

Major i.G. Philipp Lange ist der Persönliche Referent des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/5

 

Arbeitspapier Thema: 
NATO
Transatlantische Beziehungen
Verteidigungspolitik
Region: 
Deutschland
Schlagworte: 
Deutschland
NATO
Verteidigungspolitik
Transatlantische Beziehungen