Was sind eigentlich die Inneren Angelegenheiten eines Staates?
Seminarteilnehmer Dr. Dirck Ackermann übergibt ein Gastgeschenk an den Hamburger Innensenator Michael Neumann
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Die Diskussion zu dieser einleitenden Frage machte deutlich, dass die Antwort weder einfach noch eindeutig ist und nicht nur juristische und politische Aspekte umfasst. Als Innere Angelegenheit lässt sich bezeichnen, was der Staat sich selbst als politischen Handlungsrahmen gegeben hat. Unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten scheinen die Äußeren Angelegenheiten eines Staates davon immer schwerer abgrenzbar zu sein. Dies zeigte sich an der Schwierigkeit, eindeutig Bedrohungen für den Staat zu analysieren, die rein die Innere Sicherheit Deutschlands betreffen. Sowohl der Terrorismus als auch die Organisierte Kriminalität, aber auch religiöser und politischer Extremismus machen in der Regel nicht an Staatsgrenzen halt. Unter anderem bei den Themen Hafensicherheit und Cyber Defense wurde deutlich, dass zwar die Auswirkungen der Bedrohungen oft national, z.T. sogar regional begrenzt zu Tage treten, die Ursachen, die Kommunikationswege und die Organisationsstrukturen aber meist internationalen Charakter haben. Deshalb stellte sich ebenso die Frage, welche Auswirkungen eine Verwischung von Innerer und Äußerer Sicherheit auf die Sicherheitsarchitektur Deutschlands haben könnte, ob die Polizei etwa militärischer oder die Bundeswehr polizeilicher agieren müsse oder ob Deutschlands föderales System diesen neuen Anforderungen rechtzeitig gerecht werden könne. Gleichzeitig galt es, diesen Fragen auch im Spannungsfeld zwischen Freiheitsrechten und Sicherheit nachzugehen. Hundertprozentige Sicherheit kann der Staat nicht gewährleisten, und er sollte es auch nicht versuchen. Andererseits wird Sicherheit als Wert häufig nur wahrgenommen, wenn sie fehlt (Defizitbedürfnis).
Abschließende Antworten auf all' diese Fragen konnten nicht gefunden, das Problembewusstsein allerdings aufgrund des dargelegten Facettenreichtums (Kommunen, Länder, Bund, binationale Zusammenarbeit, EU; Fortschritte, aber auch Lücken) geschärft werden. Dazu trugen die Schilderungen der Handelnden vor Ort wesentlich bei, u.a. im Rahmen einer Exkursion nach Hamburg Impulse von Senator Michael Neumann und Staatsrat Wolfgang Schmidt zum Zusammenwirken von Staats- und Verfassungsorganen und in Berlin Vorträge zum Zusammenspiel der Organe bei der Gesetzgebung bei Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (Bundesministerium des Innern) und beim Bundesrat. Als positives Beispiel für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Verzahnung von Bundes- und Länderpolizeien bleibt das Gemeinsame Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Swiecko/Polen in Erinnerung. Bei der Pirateriebekämpfung hingegen war eine Zuständigkeits- und Rechtsunsicherheit deutlich erkennbar. Der Vortrag eines Reeders verdeutlichte in diesem Zusammenhang auch die Rolle und Erwartungen nicht-staatlicher Akteure, die bei wirtschaftlichen Störgrößen wie Piraterie am Horn von Afrika staatliche Hilfe einfordern und - wenn diese nicht bereitgstellt wird - im Extremfall die Zusammenarbeit mit den Behörden verweigern. Dieses Beispiel illustriert, wo die Grenzen vernetzter Sicherheit liegen bzw. wo unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.
Europäische und internationale Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz
Die Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz ist auf europäischer Ebene durch den europäischen Einigungsprozess, zuletzt den Vertrag von Lissabon, vergleichsweise weit fortentwickelt und setzt auf einer Vielzahl von bi- und multilateralen Verträgen auf. Alle bisherigen Initiativen und Programme wurden in einer europäischen Strategie der Inneren Sicherheit zusammengeführt. Sie werden durch zwischen den Mitgliedsstaaten abgestimmte Aktionspläne in einem Mehrjahreszyklus umgesetzt.
Zahlreiche Gesprächspartner verdeutlichten, dass die europaweite Verfügbarkeit von relevanten Informationen angesichts der wachsenden Mobilität und Vernetzung von Straftätern eine der wesentlichenVoraussetzungen einer effizienten polizeilichen Zusammenarbeit ist (u.a. das Schengener Informationssystem, der Vertrag von Prüm und der EU-Rahmenbeschluss zur sogn. „Schwedische Initiative“). Getragen werde die europäische Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Justiz neben den Behörden der Mitgliedstaaten insbesondere durch die komplementären EU-Akteure EUROPOL (ohne operative Befugnisse), EUROJUST und FRONTEX (beide koordinierend). Ergänzend führe eine intensive bilaterale Zusammenarbeit nationaler Strafverfolgungsbehörden (u.a. durch Verbindungsbeamten, von denen Deutschland mit 66 die meisten unter den EU-Mitgliedern stellt) zur Beschleunigung und Vereinfachung des Informationsaustausches mit den jeweiligen Nachbarstaaten.
Die internationale polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit über den EU-Rahmen hinaus erfolge ebenfalls auf Grundlage einer Vielzahl bi- und multilateraler Verträge. Als Kooperationskanal bzw. –plattform wird hier die IKPO-Interpol genutzt, der inzwischen 188 Staaten angeschlossen sind. Entgegen der noch häufig anzutreffenden Annahme, dass es sich bei EUROPOL und der IKPO-Interpol um „Konkurrenzunternehmen“ handle, sind beide Institutionen als komplementäre Kooperationsrahmen im europäischen Kontext anzusehen, was sich u.a. in einer abgeschlossenen Zusammenarbeitsvereinbarung und dem Austausch von Verbindungsbeamten zeige.
Bevölkerungsschutz in Deutschland
Der Bevölkerungsschutz gliedert sich in Deutschland in die beiden Aufgabenbereiche Zivilschutz und Katastrophenschutz. Der Zivilschutz ist Aufgabe des Bundes. Ziel ist es, die Bevölkerung vor den Folgen von Kriegseinwirkung zu schützen - sowohl präventiv als auch operativ. Hauptakteure sind das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (präventiv) und das THW (operativ). Die Bundeswehr unterstützt bei Bedarf im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Der Katastrophenschutz ist Aufgabe der Länder und der Kommunen: Ziel ist es, die Bevölkerung vor Gefahren durch Katastrophen und Schadenslagen zu schützen. Hauptakteure sind die Feuerwehren und die Rettungsdienste. Der Austausch mit diesen unterschiedlichen Akteuren ergab, dass die Zusammenarbeit der einzelnen Organisationen und Behörden auf Landes- und Bundesebene in der Regel reibungsfrei funktioniert, da alle Beteiligten gut miteinander verzahnt sind. Dies wird durch gemeinsame Übungen und Trainings sichergestellt.
Alle Akteure betonten aber auch, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland zu ca. 75% ehrenamtlich geleistet werde, d.h. dass er dauerhaft nur gut funktionieren könne, wenn ehrenamtliches Engagement und freiwillige Dienstleistung in der Gesellschaft weiterhin Bestand hätten. Dieses Engagement und die Motivation zur Mitarbeit aufrecht zu erhalten, stelle gerade angesichts der demographischen Entwicklung und der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen eine große Herausforderung dar.
Durch das ehrenamtliche Engagement würden die Kosten im Bevölkerungsschutz relativ gering gehalten. Die Ressourcen aller Organisationen und Behörden reichten allerdings weder materiell noch personell aus, um den Schutz für die gesamte Bevölkerung sicherzustellen. Einzelne Großschadenslagen könnten relativ sicher abgearbeitet werden, allerdings würde es beim Zusammentreffen mehrerer größerer Ereignisse zu Engpässen kommen.
Cyber Security
"... We fully recognize that cyberspace activities can have effects extending beyond networks; such events may require responses in self-defense. Likewise, interconnected networks link nations more closely, so an attack on one nation's networks may have an impact far beyond its borders! ..." (US-Cyber-Strategie vom Mai 2011)
Das Internet ist öffentlicher Raum und öffentliches Gut zugleich. Dies verdeutlicht, vor welchen Herausforderungen die Akteure der vernetzten Sicherheit stehen. Es sind alle (d.h. die Beteiligten der Innen- und Außenpolitik, der Industrie und auch die Gesellschaft selbst) ein Teil des Systems ‚Cyber Space’ mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Ein Zusammenwirken aller sollte dazu führen, dass im ‚Cyber Space’ durch definierte Maßnahmen die Freiheit gewährleistet werden kann.
Basis jeder Aktivität im Internet sollten die Datensicherheit und -verfügbarkeit sowie der Datenschutz sein. Dies sollte langfristig (und flexibel für zukünftige Veränderungen) im internationalen Rahmen verbindlich für staatliche und nicht-staatliche Akteure geregelt werden.
Die Verbrechensbekämpfung im Internet muss deshalb sowohl bezüglich der Prävention als auch der Ahndung die gleiche Qualität haben, die sie offline hat. Auch "Cyber Wars" bedrohen die Souveränität und Integrität eines Staates über den (Um-)Weg des Cyber Space. Dadurch hat ein angegriffener Staat das Recht, Maßnahmen im Einklang mit dem Völkerrecht (Selbstverteidigungsrecht, humanitäres Völkerrecht) zu ergreifen. Vor dem Hintergrund der Problematik einer eindeutigen Verifizierung des Angreifers sind weitergehende präventive Maßnahmen im UN-Rahmen, wie z.B. Regelungen für eine „Rüstungskontrolle im Cyber Space“, erforderlich.
Im Rahmen der vernetzten Sicherheit sind somit zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Freiheit im Cyber Space mit den Beteiligten (Staat, Industrie und Gesellschaft) technische Kapazitäten (je nach Bedarf und Notwendigkeit) zu entwickeln und vorzuhalten, um in der Lage zu sein, Angriffe zu überstehen, betroffene Funktionen aufrechtzuerhalten sowie möglicherweise Gegenangriffe durchführen zu können (effektive interzeptive Fähigkeiten).
KRITIS
Kritische Infrastrukturen sind "Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden." (BMI, Schutz Kritischer Infrastrukturen - Risiko- und Krisenmanagement, Mai 2011)
Der Austausch mit verschiedenen Betreibern von kritischen Infrastrukturen (HHLA, Deutsche Bahn, Fraport, Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, EnBW) zeigte, dass dort erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um Risiken frühzeitig identifizieren, vorbeugend tätig werden und im Notfall ein reaktionsschnelles und handlungsfähiges Krisenmanagement einrichten zu können. Die Verwundbarkeit kritischer Infrastrukturen stellt dabei die größte Herausforderung dar. Die Komplexität der Systeme, die räumliche Ausdehnung der Netze und der z.T. kaum kontollierbare Warenfluss (Hamburger Hafen) verdeutlichten, dass eine umfassende Prävention und ein wirksamer Schutz des gesamten Systems in der Regel nicht möglich ist. Dennoch stellten alle Betreiber zweckmäßige und überzeugende Konzepte vor, die ein entsprechendes Mass an Schutz mit einem vertretbaren Aufwand gewährleisten sollen. Die enge Vernetzung der beteiligten Akteure scheint dabei der Erfolgsgarant zu sein. Industrie, Dienstleister, Sicherheitsbehörden, zivile Sicherheitsunternehmen und Bevölkerung müssen im Notfall koordiniert werden. Der ständige Betrieb von aufwuchsfähigen Lagezentren, die den Nukleus für ein 24/7 Krisenzentrum bilden und die Festlegung von Automatismen im "Alarmierungsfall" sind mittlerweile Standard. Alle Betreiber hoben hervor, dass eine zielgerichtete, professionelle Krisenkommunikation und Medienarbeit ebenso zu den maßgeblichen Erfolgsfaktoren gehören.
Integration
Integrationspolitik ist heute als wichtiges Feld staatlichen Handelns allseits anerkannt und fest etabliert. Die Diskussion hat sich mittlerweile von Integration als einer Herausforderung für die Innere Sicherheit hin zu einer gesamtgesellschaftlichen und politikfeldübergreifen Gestaltungsaufgabe verschoben. Angesichts der demographischen Datenbasis und einer deutlich gesunkenen Zahl an Neueinwanderungen richtet sich der Blick heute vornehmlich auf die Integration sog. „Bestandsmigranten“.
Integrationspolitik ist Aufgabe aller staatlichen Ebenen: des Bundes (u.a. Steuerung der Zuwanderung, Aufenthaltsrecht, Integrationskurse), der Länder (vor allem im Bildungsbereich) und der Kommunen. Vor allem auf der kommunalen Ebene entscheidet sich, ob Integration erfolgreich ist, z.B. bei der Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen vor Ort und der Qualität und Verfügbarkeit von Integrationsmaßnahmen. Auch unter den beteiligten Akteuren besteht keine allgemein akzeptierte Definition von „Integration“ bzw. „gelungener Integration“. Gerade mit dem Blick auf sicherheitspolitische Fragen wurden als Mindestanforderungen an „gelungene“ Integration ein Beherrschen der deutschen Sprache, die Akzeptanz der grundsätzlichen – aus dem Grundgesetz abgeleiteten – Spielregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Bereitschaft zur Teilnahme an den zentralen gesellschaftlichen Teilsystemen wie dem Schulsystem und dem Arbeitsmarkt identifiziert. Auch ergaben die Darstellungen der Gesprächspartner, dass zwischen Integration als sozialräumlichem Thema (keine Beschränkung auf Migranten, sondern z.B. stadtteilbezogene Herangehensweise), einem mehr oder minder offen wachsenden Einfluss islamischer Lehrmeinungen in Deutschland und dem Phänomen „Extremismus“ sorgfältig unterschieden werden müsse. Alle drei Herausforderungen weisen ohne Zweifel bedeutsame und stark sicherheitsrelevante Schnittstellen auf, sind aber dennoch voneinander zu unterscheiden, müssen mit jeweils eigenen Instrumenten bearbeitet werden und setzen die Zusammenarbeit zwischen spezifischen Akteuren voraus.
Statement
Die Gesprächs- und Exkursionserfahrungen des zweiten Moduls haben verdeutlicht, dass die Vernetzung bei den Akteuren der Inneren Sicherheit weiter vorangeschritten ist als bei denjenigen der Äußeren Sicherheit bzw. zwischen beiden Bereichen. Die Sicherheitsvorsorge nicht-staatlicher Akteure ist weiter entwickelt, als die öffentliche Diskussion um kritische Infrastrukturen dies vermuten ließe.
Autor: Arbeitsgruppe "Afrika" des Seminars für Sicherheitspolitik 2012