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Verteidigung der EU: Zusammen gegen den Terror?

Montag, 6. Juni 2016

Am 2. Juni 2016 haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des European Security and Defence College mit Jana Puglierin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik über die kollektive Verteidigung im Rahmen von Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags diskutiert.

 

Frankreichs Präsident Francois Hollande und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel stehen gemeinsam mit EU-Rats Präsident Donald Tusk beim Solidaritätsmarsch am 14. Januar 2015 für die Opfer der Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo

Die Mitgliedstaaten haben bewiesen, dass Frankreich sich in dieser schwierigen Zeit auf seine europäischen Partner verlassen kann. Franksreichs Präsident Hollande, Bundeskanzlerin Merkel und EU-Ratspräsident Tusk beim Solidaritätsmarsch für die Opfer der Anschläge in Paris im Januar 2015. Foto: Bundesregierung/Kugler

Ein Land im Ausnahmezustand – nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 herrscht Fassungslosigkeit. Nicht nur die französische Bevölkerung, sondern überall auf der Welt beten die Menschen für die Opfer und deren Hinterbliebenen,  bekunden ihr Beileid und ihren Beistand. 130 Tote und mehr als 350 Verletzte waren die Opfer des Hasses, mit dem der „Islamische Staat“ versucht, westliche Werte anzugreifen. Doch nicht nur in den sozialen Netzwerken wird Solidarität geteilt, anhand von Tweets, blau-weiß-roten Profilbildern und unzähligen Nachrichten. Auch in der EU kommt es zu einer historischen Entwicklung: Zum ersten Mal, seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009, wurde Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union in Anspruch genommen. Frankreichs Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, hat damit offiziell den Beistand der anderen EU-Mitglieder im Kampf gegen den IS angefordert.

Eine Entscheidung gegen die NATO

Diese Beistandspflicht bedeutet, dass bei einem bewaffneten Angriff auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, die anderen Mitglieder ihm „alle in ihrer Macht stehenden Hilfe und Unterstützung“ schulden. „Frankreich hat schon immer lieber mit der EU als mit der NATO kooperiert“, sagt Jana Puglierin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. So hat Frankreich die Kontrolle, ohne dass sich beispielsweise die USA oder die Türkei einmischen. Außerdem hat die NATO im Nahen Osten seit ihrer Intervention in Libyen ein „PR Problem.“ Noch wichtiger aber: Im Gegensatz zur NATO, lässt Artikel 42 (7) auch eine Kooperation mit Russland zu.

Eine andere - vielleicht sogar passendere Option - wäre, die Solidaritätsklausel nach Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU gewesen. Hier werden Anschläge von Terroristen explizit erwähnt: Die EU mobilisiert „all ihre zur Verfügung stehenden Mittel, […] um terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden“. „In diesem Fall würde ein großer Teil der Verantwortung an die Europäische Kommission und andere Institutionen der EU gehen“, so Puglierin. „Mit Artikel 42 (7) kommt Frankreich eine größere Rolle zu.“ Auch hätte die französische Regierung nach Artikel 222 zugeben müssen, dass sie die Situation nicht alleine bewältigen kann. „Für ein stolzes Land wie Frankreich, ist das unvorstellbar“, sagt ein französischer Teilnehmer aus dem Europäischen Parlament.

Jana Puglierin sitzt auf dem Podium einer Veranstaltung des European Security Defense College

"Frankreich hat schon immer lieber mit der EU als mit der NATO kooperiert“, sagt Jana Puglierin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Foto: BAKS

Neue Perspektive für gemeinsame europäische Verteidigung?

Fast alle Mitglieder der Union haben Frankreich unterstützt – auf den ersten Blick ein Erfolg für die europäische Gemeinschaft. Für Deutschland war Artikel 42 (7) ausschlaggebend, um sich aktiv im Kampf gegen den IS zu engagieren. Auch Großbritannien hat schnell reagiert. Schon vor den Anschlägen in Paris hatte Premierminister David Cameron den Einsatz Englands gefordert, doch das Unterhaus war dagegen. Anstatt sein Parlament mit dem Argument der kollektiven Verteidigung zu überzeugen, konzentrierte sich der Regierungschef auf eine bilaterale Unterstützung. „Die EU hat er dabei nicht einmal erwähnt“, sagt Puglierin. Dies trifft auch auf andere Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Dänemark oder die Niederlande zu. Es ist also schwierig zu sagen, wie viel Beistand tatsächlich auf Artikel 42 (7) beruht. Hat Frankreich mit der kollektiven Verteidigung ein Einheitsgefühl erzeugt? „Nein“, behauptet Puglierin. „Die Implementierung von Artikel 42 (7) hat die europäischen Verteidigungsambitionen nicht wiederbelebt.“

Auswirkungen noch ungewiss

Viele Fragen hingegen sind noch ungeklärt: Wie lange hält das Verteidigungsbündnis an und wird der Einsatz gemeinsam oder von jedem Staat einzeln beendet? Verlaufen die Missionen erfolgreich? Und wie wird in der Zukunft praktisch abgrenzt, für welche Situation Artikel 42 (7) als kollektive Verteidigung in Frage kommt? Bewiesen aber haben die Mitgliedstaaten, dass sich Frankreich in dieser schwierigen Zeit auf seine europäischen Partner verlassen kann und dass die Solidarität tatsächlich eines der Grundgedanken der EU widerspiegelt. Trotz vieler internen Krisen und Konflikten ist dies ein klares Ja für Europa und Zeichen für den Rest der Welt, dass die Union zusammen hält. 

Autorin: Sira Thierij