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Über Weissensee nach Pankow

Donnerstag, 13. November 2014

Wie die Bundesakademie als historischer Ort zum Filmset wird. Im November fanden in den historischen Räumen der Schlossanlage Schönhausen die Dreharbeiten zur dritten Staffel der ARD-Erfolgsserie statt.

Foto: MDR/Julia Terjung

„Mehr Stimme bitte!“, ruft Co-Regisseur Tom Sielski seinen Komparsen zu. Seine Worte könnten doppeldeutiger kaum sein. Was am Filmset rein mit Lautstärke in Verbindung gebracht wird, wäre zu DDR-Zeiten auch als Appell durchgegangen. Das Stimmengewirr nimmt zu und es kommt Bewegung in die Szene. Die Schauspielerin Anna Loos betritt den „Historischen Saal“ in der Bundesakademie und nimmt am „Zentralen Runden Tisch“ Platz.

Dreharbeiten am FilmsetViel Aufwand für historische Authentizität: der „Historische Saal“ während der Dreharbeiten. Foto: BAKS

Es ist der 27. Dezember 1989: Die Mauer ist gefallen. Die Machtverhältnisse in Ostdeutschland haben sich in atemberaubender Geschwindigkeit verschoben. Eine der ungewöhnlichsten Versammlung der Geschichte tagt im Festsaal des Konferenzgebäudes der Schlossanlage Schönhausen: der „Zentrale Runde Tisch“. Das Ziel: Auflösung der Stasi, freie Wahlen und eine demokratische Verfassung für die DDR. Es ist bereits das vierte Treffen, das zwischen der SED-Regierung und der Bürgerbewegung auf Augenhöhe stattfindet, um Ordnung in die DDR-Revolution zu bringen. Keine einfache Aufgabe angesichts der flauen Wirtschaftslage und der steigenden Ausreiseflut. Der „Zentrale Runde Tisch“ ist ein hochriskantes politisches Experiment. Er ist der Versuch, eine stürmische Revolution in friedliche Bahnen zu lenken. Die einen halten dabei an der Ideologie ihres Systems fest und wollen sich noch nicht geschlagen geben, während die anderen schon den Wiedervereinigungswahlkampf anheizen.

Eine bewegende Atmosphäre am originalen Runden Tisch

Wo lässt sich deutsche Geschichte besser erzählen als an diesem historischen Ort selbst? Für die dritte Staffel der hochgelobten und mehrfach ausgezeichneten ARD-Fernsehserie „Weissensee“ öffnete die Bundesakademie die Türen ihrers Historischen Saals. Der original erhaltene Runde Tisch – der eigentlich ein eckiger ist – wurde für eine Szene mit Hauptdarstellerin Anna Loos wieder aufgebaut.

Die Atmosphäre, die der Schauplatz ausstrahlt, ist auch für Thomas Bogumil, Hörer von „Radio Berlin 88,8“, ein ganz besonderes Erlebnis. „Für mich gehört diese Sendung zu einer der wenigen, die einen wirklich aufrüttelt und zum Nachdenken anregt.“ Er hat einen begehrten Platz als Zaungast am Set gewonnen und die einmalige Gelegenheit, eine professionelle Filmproduktion hautnah zu verfolgen.

Ein demokratisches Experiment: Der „Zentrale Runde Tisch“ der DDR führte Bürgerbewegung SED-Regierung zusammen. Foto: Bundesregierung

Die Serie erzählt vom Leben der sehr unterschiedlichen Familien Kupfer und Hausmann und beginnt im Jahr 1980 in Ost-Berlin. In der dritten Staffel dreht sich nun alles um den Mauerfall und die Zeit bis zum 15. Januar 1990, dem Tag des Sturms auf die Stasi-Zentrale. Anna Loos spielt als Vera Kupfer die Ehefrau des Stasi-Offiziers Falk Kupfer (Jörg Hartmann). Sie ist die Hauptfigur in der Szene am „Zentralen Runden Tisch“. Selbstbewusst und gefasst betritt sie den Raum. Nichts scheint mehr übrig von der depressiven Frau, die unter der gewalttätigen Dominanz ihres Mannes litt. Der Drang nach Freiheit und ihr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden sind stärker als die Angst vor dem Verlust ihrer Familie.

Eine neue Liebe für Vera Kupfer

Eine neue Liebe verhilft Vera zu neuer Kraft und sie kämpft nun auf Seiten der Bürgerrechtsbewegung. Es kann nur eine Zukunft für ihr Land geben: die Demokratie. „Richtig bewegend“, findet RBB-Hörer Bogumil und beobachtet fasziniert das Geschehen um den „Zentralen Runden Tisch“. Er ist nicht der einzige, der am liebsten jetzt schon wissen würde, wie die Serie weiter geht. Auf die Ausstrahlung müssen die „Weissensee“-Fans noch bis Herbst 2015 warten.

So sieht zufriedenes Publikum aus: „Zaungast“ rbb-Hörer Thomas Bogumil mit Schauspielerin Anna Loos. Foto: BAKS

Der „Zentrale Runde Tisch“ der DDR tagt vom 27. Dezember 1989 bis zum 12. März 1990 im Festsaal der Schlossanlage Schönhausen, er führt die Bürgerbewegungen und politischen Parteien mit der Modrow-Regierung zusammen. Im Juni 1990 ist der Saal dann erneut Zentrum des politischen Geschehens, als dort die zweite Runde der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen stattfindet. Der daraus hervorgehende „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ wird am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet und tritt am 15. März 1991 in Kraft. Der Historische Saal wurde von Juli 2009 bis August 2010 restauriert und unter Erhalt der ursprünglichen Möblierung als Veranstaltungssaal hergerichtet.

Die Verhandlungen am Runden Tisch der DDR waren oft langwierig und schwer. Was zunächst als Experiment gedacht war, entwickelte sich zu einem zentralen Kapitel deutscher Demokratiegeschichte. Hier wurden innerhalb von nur drei Monaten die rechtlichen und praktischen Vorrausetzungen für freie Wahlen geschaffen. Die SED-Regierung gab dem Druck nach und ging auf die Opposition zu. Der Unrechtsstaat war so gut wie überwunden. „In unseren Büros ist von der DDR nichts mehr zu spüren. Durch den Historischen Saal weht allerdings noch ein Hauch guten Geistes. Des guten Geistes der so bedeutsamen Veränderung, der Hoffnung und der Erinnerung“, beschreibt Martin Lammert, Pressesprecher der Akademie, seinen Arbeitsplatz.

25 Jahre Mauerfall – das sind auch 25 Jahre Freiheit und Einheit. Auch und gerade deshalb ist es eine gute Sache, wenn im Herbst des kommenden Jahres die Bundesakademie die Zuschauer einer der beliebtesten deutschen Fernsehserien hinter die Kulissen und in Räume geleiten darf. Persönlich, nah und freundlich. So wie die geeinte deutsche Gesellschaft.

Autorin: Marie Aylin Ulbrich