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Sicherheit gemeinsam gestalten

Mittwoch, 5. September 2012

Erstmals seit vielen Jahren  diskutierten Vertreter von vier gesellschaftlichen Großgruppen über Aspekte einer umfassenden deutschen Sicherheitspolitik und deren Gestaltung.

Zuschauerreihen im historischen Saal der BAKS von hinten aufgenommen.

Der historische Saal der BAKS bot das Podium für das Kolloquium
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Der Beirat für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik hatten am 5. September 2012 zum Kolloquium „Sicherheit gemeinsam gestalten“ geladen. Das Publikum bestand zu großen Teilen aus jungen Vertretern verschiedener Verbände und Institutionen, die nicht alltäglich mit Sicherheitspolitik befasst sind.

Der Präsident der BAKS, Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann, begrüßte die Anwesenden. Er betonte gleich zu Beginn die Bedeutung  einer breiten öffentlichen Debatte und kündigte an, im Sommer 2013 an der BAKS  auch eine Nationale Sicherheitskonferenz durchzuführen.

Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, erläuterte in seiner Rede zunächst sein Verständnis des Sicherheitsbegriffs, um dann Konsequenzen für das staatliche Handeln zu ziehen. So seien unter anderem Internationalität, Vernetzung, Prävention, integratives Agieren und ein breiterer Ansatz notwendig. In diesem Zusammenhang forderte er die gesellschaftlichen Verbände und Organisationen auf, auch in der sicherheitspolitischen Debatte mehr Verantwortung zu übernehmen und (durchaus auch kritisch) die Diskussion mit zu führen.

Der Präsident der BAKS, Botschafter Dr. Heumann, steht an einem Rednerpult.

Botschafter Dr. Heumann begrüßt auch im Namen des Beirats für Fragen der Inneren Führung
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

In seiner Eingangsrede  konstatierte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, ein Defizit beim Verständnis von Konfliktentwicklung durch religiöse und kulturelle Unterschiede. Ein ganzheitliches Konzept sei dringend erforderlich, um die Ursache von Konflikten durchdringen und darauf reagieren zu können. Es stelle sich die Frage nach der Verantwortung für die Weltpolitik. Gerade  für Christen, sei der Blick auf das Gemeinwohl innerhalb und außerhalb Deutschlands Pflicht.

Der Vorsitzende der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Horst Hippler, nahm den Zusammenhang zwischen den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem akademischen Umfeld der Attentäter zum Anlass, um erneut die Notwendigkeit einer offenen Debatte auch an Hochschulen zu fordern. In diesem Zusammenhang bezeichnete er die Zivilklausel an deutschen Hochschulen als Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre. Mehrfach betonte er die Bedeutung von Sicherheit als Basis eines freien Lebens.

Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Keitel, Präsident des BDI, wandte in seiner Eingangsrede den Blick auf die Themenfelder Cyber-Security und organisierte Kriminalität sowie Ressourcen-Sicherheit. Er betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit von staatlichem Schutz auch für die deutsche Industrie. Mit Bezug auf die deutsche Sicherheitsindustrie forderte er mehr Selbstbewusstsein im internationalen Kontext, aber auch als Akteur in der innenpolitischen Debatte.

Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière steht an einem Rednerpult

Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière bei der Eröffnungsrede.
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, wiederholte die von ihm bereits mehrfach ausgesprochene Forderung nach einem Dialog zwischen Gewerkschaften und Politik, auch in Bezug auf Sicherheitspolitik . Er bezog sich besonders auf die Trennung von innerer und äußerer Sicherheitspolitik. Er betonte explizit die Wichtigkeit einer öffentlichen Diskussion über die Bundeswehr und ihre Einsätze, besonders nach der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Gerichtsurteil zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Er sprach eine direkte Einladung gegenüber Verteidigungsminister de Maizière aus, an einer zukünftigen Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu diesem Thema teilzunehmen.

Der historische Saal der BAKS bot das Podium für das Kolloquium
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Im Anschluss an die Eingangsstatements diskutierten die vier Redner, moderiert von Paul Elmar Jöris vom Westdeutschen Rundfunk, ihre Thesen. Im Panel saß zudem Generalmajor Markus Kneip, der stellvertretende Abteilungsleiter Strategie und Einsatz im Bundesministerium der Verteidigung. Erneut herrschte breiter Konsens darüber, dass Sicherheitsaufgaben ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sind.

Dr. Thomas Bagger, der Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, bezog sich in seinem anschließenden Vortrag „Vernetzte Sicherheitspolitik-Instrumente der Sicherheitspolitik“ zunächst auf das Weißbuch aus dem Jahr 2006. Er betonte, dass wir in einer "Welt der permanenten Entgrenzung" leben. So gäbe es zunehmend mehr "Produzenten von Außenpolitik", Experten seien nicht mehr allein handlungsfähig, die Ressorts müssten weiter vernetzt werden. Explizit forderte Dr. Bagger ein neues Führungsverständnis im ressortübergreifenden Handeln ein. Über das derzeit betriebene Task-Force-System hinaus sei das Ziel eine "Netzwerk-orientierte Außenpolitik". Es sei fraglich, ob dies mit den überkommenen Weisungsstrukturen möglich sei. Eher müssten alle Akteure davon überzeugt werden, dass es für sie einen Mehrwert bedeute, im Netzwerk zu handeln. Die Komplexität der heutigen Welt mache im Hinblick auf Global Governance ein solches Umdenken notwendig.

In einem weiteren Podium mit dem Thema „Handlungs-und Gestaltungsfelder-Einblick in die Praxis“ unter Leitung von Rolf Clement vom Deutschlandfunk, vertieften Fachexperten Themen der vernetzten Sicherheit und gaben weitere Einblicke in die Praxis.

Die Teilnehmer waren Konrad Klingenburg, Abteilungsleiter Grundsatz beim DGB, Dr. Roman Poeschke, Abteilungsleiter Sicherheit, Wiederaufbau und Frieden der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Matthias Wachter, Abteilungsleiter beim BDI, Peter Stamm, Chefermittler für Internetverbrechen beim Bundeskriminalamt, und Brigadegeneral Frank Leidenberger, Amtschef des neu aufgestellten Planungsamts der Bundeswehr.

Dabei ging Herr Klingenburg vom DGB vor allem auf die sozialen Aspekte von Sicherheitspolitik ein. Jugendarbeitslosigkeit sei eine der schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie bedrohe sogar die Existenz eines friedlichen Europas.

Dr. Poeschke von der GIZ forderte, dass der Sicherheitsbegriff neu besetzt werden müsse. Er betonte die Notwendigkeit von Prävention und Mechanismen, die Gewalt nicht eskalieren ließen. So seien zum Beispiel bei Wahlen Methoden zum gewaltfreien Interessensausgleich nötig. Darüber hinaus führte Dr. Poeschke den Begriff "Erwartungs-Management" ein. Externe Unterstützung könne stets nur einen Beitrag zur Entwicklung von Sicherheit und Frieden leisten, und man müsse der Gesellschaft realistisch vermitteln, was in solch schwierigen Kontexten überhaupt leistbar sei.

Matthias Wachter zog den Vergleich zu Großbritannien und regte eine intensivere Einbeziehung der deutschen Industrie in die Sicherheitspolitik an. Er stellte klar, dass es die deutsche Industrie sei, die kritische Infrastrukturen (KRITIS) betriebe und daher mehr auch zum politischen Akteur werden müsse. Dabei mahnte er auch die deutsche Industrie, z.B. Rüstungsexporte kritischer zu hinterfragen.

Peter Stamm vom BKA verwies auf Cyber Crime als neue Bedrohung und verglich die immensen Schäden von weltweit 16,4 Milliarden Dollar im Jahr 2011 mit den Ausmaßen der internationalen Drogenkriminalität. Es stelle sich zunehmend die Frage nach der Täterschaft und auch die Frage nach einer wirkungsvollen Bestrafung, um nicht in einen immerwährenden Wettlauf zwischen Schutzmaßnahmen und deren Umgehung zu verharren.

Brigadegeneral Frank Leidenberger ging noch einmal auf die Problematik bei der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen ein und verwies auf die Hierarchien, die automatisch auch innerhalb eines Netzwerks entstünden.

Abschließend resümierte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Rüdiger Wolf, die Relevanz der Thematik. Ausdrücklich griff er die Einladung Michael Sommers auf und stellte eine Fortsetzung des Diskurses  in Aussicht.

Autorin: Anna-Sophia Neitmann