Was bedeutet die Energiewende für Deutschland und welche Notwendigkeiten und Herausforderungen bringt sie zwangsläufig mit sich? Wie muss sich die Infrastruktur verändern, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien spürbar steigt unter gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie? Kann es noch rein nationale Strategien geben oder erzwingt die Energiepolitik der Zukunft europäische Lösungen?
Energie für Deutschland
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Zu diesen und weiteren Fragen nahm der Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Europe AG, Herr Tuomo J. Hattaka, im Rahmen einer spannenden Abendveranstaltung an der BAKS persönlich Stellung.
Gleich zu Anfang betonte er, dass die Energiewende, die seiner Meinung nach nicht erst mit Fukushima begonnen habe, kein Selbstläufer werde. Sie sei - bildhaft gesprochen - vielmehr mit einem Marathonlauf zu vergleichen. In Deutschland sowie in Europa sei man vielleicht schon bei Kilometer 10 angekommen und jeder Marathonläufer wisse, dass erst später - so ab Kilometer 30 - der richtig harte Teil kommen werde. Dies kombiniert mit seiner sehr pointierten Aussage "Energie brauchen wir schließlich alle" lies die Anwesenden früh erahnen, dass seine Grunsatzrede interessante, kritische und ggf. auch hoffnungsvolle Aspekte beinhalten würde.
Der Vattenfall-Konzern hätte den maßgeblich durch Deutschland ausgelösten Paradigmenwechsel in der Energiepolitik akzeptiert und sei zwischenzeitlich auch hausintern gut darauf vorbereitet und bereit, seinen Beitrag zu leisten. Die "grüne Energie" sei attraktiv, zukunftsweisend und damit der Wachstumsbereich in der Energiewirtschaft. Allerdings müsse man akzeptieren, dass damit einhergehend neue Abhängigkeiten, neue Kosten und größere Volatilitäten entstünden. Für Herrn Hatakka sind definitiv Gaslieferungen aus Russland planbarer, als die Erzeugungszeiten von Sonne und Wind.
Theoretisch könnte man schon in wenigen Jahren fast alleine mit erneuerbaren Energien den Energiebedarf Deutschlands decken. Da jedoch gerade auf der Nordhalbkugel Sonne und Wind starken Schwankungen unterliegt, müsste das Delta zwischen Standardlast und Spitzenproduktion in der Energieerzeugung auch künftig durch Grundlastkapazitäten herkömmlicher Kraftwerke ausgeglichen werden. Hinzu kommt, dass aufgrund des beschlossenen Atomausstieges Deutschland bis 2022 50 Prozent seiner Grundlasterzeugung verlieren wird. Leider sehe er auf staatlicher Seite bis heute noch kein Konzept, wie dieser Anteil an der Grundlast ab 2022 in Form von Reservekraftwerken, die jederzeit einspringen könnten, vorgehalten werde könnte. Und schließlich müsse auch der verlässliche Transport von Energie zum Endkunden gewährleistet sein. Dieser ist nun einmal nicht immer dort, wo die Energie produziert würde. Ein weiteres Thema war die Frage der Speicherung von Energie, beispielsweise in Pumpspeicherkraftwerken. Auch deren Abruf in Spitzenzeiten stehe weiterhin auf der Tagesordnung.
Daher sei die Energiewende untrennbar verbunden mit der Notwendigkeit eines riesigen Infrastruktur- und Netzausbauprogramms. Nach den aktuellen Zahlen wären alleine für Deutschland in den nächsten 10 Jahren Investitionen in einer Größenordnung von etwa 200 Milliarden Euro notwendig; europaweit liege der Investitionsbedarf bei ca. 1000 Milliarden Euro.
Bzgl. dieser reinen Finanzierungsfragen zeigte sich Hatakka weniger skeptisch. Allerdings sei für die Umsetzung der Infrastrukturmaßnahmen - zum Beispiel für die Genehmigung und den Bau von neuen Stromtrassen - eine grundsätzliche Akzeptanz in der Gesellschaft unabdingbar notwendig. Trotz des bereits dritten Netzausbaubeschleunigungsgesetzes wären in Deutschland in den vergangenen Jahren im Schnitt 18 km neue Netze entstanden, wir benötigten aber etwa 4000 km. Ginge es in diesem Tempo weiter, so wäre der Abschluss der Energiewende aus infrastrukturellen Gründen rechentechnisch erst in 200 Jahren geschafft.
Politik und Wirtschaft wären hier zukünftig verstärkt und insbesondere gemeinsam aufgerufen, bei der Bevölkerung um Verständnis für die Notwendigkeiten und Konsequenzen des gesellschaftlich gewollten Umsteuerns in der Energiepolitik zu werben. Das klassische Energiedreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit würde er daher gerne um eine vierte Ecke, die der gesellschaftlichen Akzeptanz, erweitern wollen. Ein gutes Beispiel für fehlende Akzeptanz ist aus seiner Sicht die zukunftsweisende, aber höchst umstrittene CCS-Technologie, welche der klimaschützenden Speicherung und dauerhaften Lagerung von aufgefangenem Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken dienen soll und gegenwärtig in Deutschland de facto auf Eis liegt.
Aus seiner persönlichen Sicht spiele Europa bei der Lösung der oben skizzierten unterschiedlichen Problemstellungen eine entscheidende Rolle und dies werde zukünftig tendenziell eher noch zunehmen. Trotz europaweit 27 unterschiedlicher Energiekonzepte betonte Hatakka die Notwendigkeit und gegenseitige Nützlichkeit europäischer und nachbarschaftlicher Zusamenarbeit. Diese sei keine Einbahnstraße und letztendlich profitiere jedes einzelne Land aufgrund der zunehmenden Schwankungen in der Energieerzeugung von den transnationalen Netzen sowie den regional vorhandenen Reservekapazitäten seiner direkten Nachbarländer. Die Zusammenarbeit funktioniere bereits jetzt und ihr Ausbau sei laut seiner Schilderung weit weniger problematisch, als der jeweils nationale Netz- und Energieerzeugungsausbau. Hier hätten alle Länder einen unterschiedlichen, aber immensen Nachholbedarf.
Natürlich müsse künftig die Zusammenarbeit auch in der Erzeugung verbessert werden. Es sei letzten Endes eine Tatsache, dass es leichter sei, Photovoltaikanlagen aus Deutschland an Standorte mit hoher Sonneneinstrahlung zu exportieren, als die Sonneneinstrahlung nach Deutschland zu importieren.
Abschließend betonte Hatakka, er sei zuversichtlich, dass die Energiewende gelänge und die Bürger die Akzeptanz für die Konsequenzen dieses Projektes aufbrächten. Er plädierte jedoch für mehr Realismus, was die Geschwindigkeit der Umsetzung anginge. Aus seiner Sicht wäre der definiterte Zeitplan für den Ausbau "grüner Energie" zu ambitioniert.
Autoren: Dan Krause, Manfred Bohr