Anlässlich des zeitgleich stattfindenden Treffens der EU-Verteidigungsminister in Gent und der gegenwärtigen Diskussion um ein neues strategisches Konzept für die NATO zeichnete sich diese Thematik durch eine besondere Aktualität aus.
General Ramms
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Anlässlich des zeitgleich stattfindenden Treffens der EU-Verteidigungsminister in Gent und der gegenwärtigen Diskussion um ein neues strategisches Konzept für die NATO zeichnete sich diese Thematik durch eine besondere Aktualität aus. So betonte auch der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Generalleutnant a.D. Kersten Lahl, in seiner Begrüßungsrede, dass Handlungsbedarf zu einer aktuellen Gestaltung und Neuorientierung der NATO bestehe, wenn die NATO, Europa und auch die Deutschen in der globalen Kräfteordnung relevant bleiben wollten. General Ramms, der als scheidender Befehlshaber der NATO-Kommandozentrale im niederländischen Brunssum unter anderem für den ISAF-Einsatz in Afghanistan sowie die NATO Response Force verantwortlich ist, schilderte in seinem Vortrag intensiv, an welchen Stellen diese Neuorientierung und Neugestaltung ansetzen muss.
Ramms wies zunächst auf die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen seit dem Ende der Blockkonfrontation hin und betonte, dass es keine rein militärischen Antworten auf die Risiken der Gegenwart und Zukunft mehr gebe. Sicherheitspolitische Bedrohungen sind heute vielfältiger Natur und erwachsen aus Fragen der Bevölkerungsentwicklung, der Migration, der Energie- und Rohstoffsicherheit, des Klimawandels und vielem anderen mehr. Daher, so Ramms, sei ein umfassender Lösungsansatz erforderlich, welcher zivile und militärische Maßnahmen vereine („comprehensive approach“). Daraus leitet sich für die künftige Ausrichtung der NATO die zentrale Frage ab, ob sie weiterhin ein rein militärisches Bündnis bleiben oder in Zukunft auch zivile Aufgaben übernehmen sollte. Im Grunde stelle sich mit der Neuausrichtung der Allianz die Frage nach ihrer politischen Bedeutung für die Zukunft.
Aber nicht nur die neuen Aufgaben verdeutlichen einen Wandel der NATO seit 1990, sondern auch ihre geografische Ausdehnung nach Mittel- und Osteuropa sowie ihre stabilisierende Wirkung, die heute weit über das ehemalige Vertragsgebiet hinausreicht. Ramms betonte in diesem Zusammenhang, dass neue NATO-Mitglieder wie Polen und die baltischen Staaten aufgrund ihrer Nähe zu Russland eine andere Sicherheitsperzeption hätten als die älteren Mitglieder. Daher bestehe angesichts der Vielzahl neuer Aufgaben wie in Afghanistan oder am Horn von Afrika (gerade auch aus Sicht der osteuropäischen Mitglieder) das Risiko, dass die NATO ihre traditionellen Kernaufgaben als Verteidigungsbündnis und damit stabilisierender Faktor im unmittelbaren geografischen Einflussbereich nicht mehr hinreichend wahrnehmen könne. Aus diesem Grund sei neben ihrer stabilisierenden Rolle in Krisenregionen eine Rückbesinnung auf ihre traditionelle Funktion der Bündnisverteidigung notwendig.
General Ramms und Generalleutnant a.D. Lahl
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Ramms ging außerdem auf die transatlantische Dimension der NATO, den gemeinsamen Wertekanon und die daraus resultierende Verantwortung auf Seiten der USA und Europas sowie auf die NATO im Zusammenspiel mit anderen internationalen Organisationen ein. Hier gestalte sich für Afghanistan das Problem, dass eigentlich 80 Prozent des zivilen Engagements von nur 20 Prozent militärischen Aufgaben flankiert werden sollten, in der Realität aber die NATO aufgrund mangelnder Koordination der zivilen Akteure untereinander deren Aufgaben häufig mit übernehmen müsste. In diesem Zusammenhang müsse die NATO als politischer Akteur vorübergehend eine stärkere Rolle als Koordinator der zivilen Aufgaben ihrer Mitglieder übernehmen können.
Während der anschließenden Diskussion bestand vor allem Gesprächsbedarf in Bezug auf die Bündnissolidarität gegenüber den baltischen Staaten, dem Verhältnis zwischen der NATO und Russland sowie der Kooperation zwischen NATO und EU. Diesbezüglich wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht die NATO zukünftig für militärische, die EU zivile Aufgaben zuständig sein könne, um Redundanzen zu vermeiden.
Den Redetext von General Ramms stellen wir Ihnen beigefügt als download zur Verfügung.
Autor: Janka Wolski