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NATO Talk 2018: Generalsekretär Stoltenberg in Berlin

Donnerstag, 15. November 2018

Unnötig, überholt, gespalten? Die NATO wurde schon mit vielen Adjektiven belegt, die wenigsten davon freundlich. Dabei ist sie unverzichtbar für Europa, sagen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und internationale Experten beim NATO Talk 2018.

Jens Stoltenberg

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warb für höhere Verteidigungsausgaben und Vertrauen in die transatlantische Partnerschaft. Foto: BAKS/Sommerfeld.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein vielbeschäftigter Mann. Ende Oktober wohnte er der größten NATO-Übung seit Ende des Kalten Krieges bei, Anfang November besuchte er Soldaten in Afghanistan, wenige Tage später gedachte er in Paris der Opfer des Ersten Weltkriegs. Trotz seines vollen Terminkalenders nahm er sich am 12. November Zeit, den NATO Talk around the Brandenburger Tor mit einer Grundsatzrede zu eröffnen und sich den Fragen von Konferenzteilnehmern zu stellen (zur Dokumentation der Rede bei der NATO hier klicken). „Ich fühle, dass ich hier unter Freunden der NATO bin“, begrüßte er die rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einer Kooperationsveranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und der BAKS. Noch viel mehr aber ging es ihm um eine andere Art von Freundschaft: die mal schwierige, mal zermürbende, aber weiter unverzichtbare Partnerschaft Europas und der USA.

 „Wir müssen ehrlich zugeben, dass es Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten gibt“, sagte Stoltenberg, „beim Handel, beim Atomabkommen mit dem Iran und bei anderen Themen.“ Zumindest auf der Konferenz war von Uneinigkeit wenig zu spüren. Europa könne seine Sicherheit nicht alleine garantieren, so der allgemeine Tenor, und gerade deshalb müsse es mehr zur kollektiven Verteidigung beitragen. „Transatlantisch bleiben, europäischer werden“ ist derzeit eine vielgehörte Forderung dazu, und der NATO Talk hatte sich zum Ziel gesetzt, zu erörtern, wie das in Zukunft gelingen kann.

US-NATO-Politik: rhetorischer Bruch, faktische Kontinuität

Soldaten laufen durch die Heide.

Jeder zweite Soldat bei der NATO-Übung Trident Juncture war Amerikaner. Foto: NATO.

Ein stärkerer Beitrag Europas zur Verteidigung ist auch eine der Kernforderungen US-Präsident Trumps seit seinem Amtsantritt – wenn er nicht gerade die EU als Feind bezeichnet oder den Multilateralismus in Zweifel zieht. „Präsident Trump ist ein Nullsummenspieler“, sagte Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth in seinem Auftaktstatement zum NATO Talk. In der internationalen Politik gemeinsam mehr zu erreichen sei keine Option für ihn. Und was bedeutet das für die Allianz? Beim NATO Talk wurde rasch deutlich, dass es Unterschiede zwischen der Rhetorik des US-Präsidenten und der Allianzpolitik der USA gibt. So sagte Generalsekretär Stoltenberg in seiner Rede, dass die Vereinigten Staaten ihr Engagement in der NATO sogar gesteigert hätten. „In den letzten Jahren haben die USA das Budget für ihre militärische Präsenz in Europa um vierzig Prozent erhöht“, so Stoltenberg. Uneinigkeiten seien in einem Bündnis von Demokratien stets „natürlich“, diese habe es auch früher gegeben. „Die Lehre aus der Geschichte ist aber, dass wir in der Lage sind, unsere Differenzen zu überwinden“, so Stoltenberg – das gelte es auch zukünftig sicherzustellen.

„Zwei Prozent, sonst nichts“?

Ein geschäftlich gekleideter Mann gestikuliert.

Auch zivile Beiträge sind mitzudenken, so Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth.
Foto: BAKS/Sommerfeld.

Für Stoltenberg und viele Teilnehmer der Konferenz ändert das nichts daran, dass Europa mehr für seine Sicherheit tun muss. „Ich brauche höhere Verteidigungsausgaben – auch von Deutschland“, forderte der Generalsekretär. In den USA bestehe darüber ein Konsens, und das bereits seit Trumps Amtsvorgänger Obama, wie viele Diskutanten unterstrichen. „Für den Präsidenten heißt es Zwei Prozent, sonst nichts“, sagte Julianne Smith von der Robert Bosch Academy. Die Demokraten würden die gleiche Forderung schon seit Jahren stellen, unterstrich Smith, die zuvor in der Obama-Administration tätig gewesen war. Klaus Scharioth wiederum gab zu bedenken, dass dabei nicht nur in militärischen Bahnen gedacht werden müsse: „Wenn ich einen Hammer habe, ist noch nicht jedes Problem ein Nagel“, so der langjährige deutsche Botschafter in Washington. So seien auch zivile Beiträge zur gemeinsamen Sicherheit mitzubedenken, etwa in der Krisenprävention oder bei der Integration von Flüchtlingen.

Keine Konkurrenz zwischen EU und NATO

Mit Blick auf die Frage, was die Europäische Union mit Blick auf die sicherheits- und verteidigungspolitische Lastenteilung leisten könne, betonte Stoltenberg, dass es nicht zur Konkurrenz zwischen EU und NATO kommen dürfe. Europäische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich sei ihm willkommen – „aber nur, wenn sie in der transatlantischen Partnerschaft verankert ist.“ Gerade den von den USA geleisteten Beitrag ersetzen zu wollen, sei illusorisch. „Nach dem Brexit werden 80 Prozent der Verteidigungsausgaben in der NATO von Staaten außerhalb der EU kommen“, stellte Stoltenberg heraus. „Europäische Einigkeit kann transatlantische Einigkeit daher niemals ersetzen“, so sein Fazit.

Europäische Armee versus Armee der Europäer

Ein geschäftlich gekleideter mann sitzt auf einem Stuhl und spricht in ein Mikrofon.

Der Grünen-Abgeordnete Dr. Tobias Lindner kann sich vorstellen, deutsche Soldaten in europäischen Streitkräften einzusetzen. Foto: BAKS/Sommerfeld.

Auch auf die gegenwärtige Diskussion um eine „europäische Armee“ versus eine „Armee der Europäer“ ging die Konferenz ein. Generalleutnant Hans-Werner Wiermann, der Deutschland in den Militärausschüssen der NATO und der EU vertritt, sah eine EU-Armee als „idealtypische Figur“, die aber „durchaus nützlich sein“ könne, um die Streitkräftekooperation auf dem Kontinent weiter zu vertiefen. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende britische NATO-Botschafter Nick Pickard. Er habe „no angst“ vor einer europäischen Armee – diese könne „ein Luftschloss“ im positiven Sinne sein. Er zweifle allerdings am Willen der Parlamente Frankreichs und Deutschlands, eine solche Armee wirklich mitzutragen. General Wiermann wies wiederum auf die Frage nach der Legitimation hin: Beim Einsatz von Streitkräften gehe es „um Leben und Tod – wer übernimmt dafür die Verantwortung?“ Diese Frage müsse „in Brüssel politisch beantwortet werden“. Der bisweilen geäußerten Kritik, dass gerade der Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages einer stärkeren Streitkräfteintegration Europas im Wege stehe, wurde beim NATO Talk energisch widersprochen. Der Grünen-Abgeordnete Dr. Tobias Linder verwies auf das Europäische Parlament als Instanz, um sicherzustellen, „dass die Entscheidung demokratisch legitimiert ist“, wenn denn eines Tages EU-gemeinsame Streitkräfte zum Einsatz kämen.

Den INF-Vertrag erhalten

Eine startende Rakete

Zurück in die Vergangenheit? Der INF-Vertrag verbietet seit 1987 den USA und Russland Mittelstreckenraketen – jetzt droht er zu scheitern. Foto: ermaleksandr/Flickr/Public Domain

Überlagert wurde der NATO Talk durch die Ankündigung US-Präsident Trumps, den amerikanisch-russischen INF-Vertrag zu verlassen, welcher seit 1987 ballistische Mittelstreckenraketen verbietet und dessen Einhaltung durch Russland insbesondere von US-Experten seit längerem bezweifelt wird. Generalsekretär Stoltenberg bezeichnete den Vertrag in seiner Rede als einen „Eckpfeiler der Rüstungskontrolle“, der gerade „aus transatlantischen Anstrengungen heraus entstanden“ sei. Er sprach sich für die Erhaltung des Vertrags aus und mahnte zugleich dessen Einhaltung durch Russland an: „Wir dürfen Vertragsverletzungen nicht sanktionslos zulassen.“ Botschafter Scharioth schloss sich ihm an: „Wir müssen Russland ganz klar machen, dass wir diese Verletzung nicht akzeptieren können.“ Europa drohe sonst von dem Schutz der nuklearen Abschreckung im Rahmen des nuklearen Gleichgewichts zwischen Russland und den USA abgekoppelt zu werden. Scharioth warb deshalb für den Dialog mit Russland und verwies als etwaigen Ausweg auf die Möglichkeit, den Vertrag durch Einbeziehung neuer Vertragspartner wie China zu multilateralisieren.

Der NATO Talk Around the Brandenburger Tor

Der NATO Talk Around the Brandenburger Tor wurde 2008 von der Deutschen Atlantischen Gesellschaft ins Leben gerufen. Seit 2014 wird er gemeinsam mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ausgerichtet. Die Konferenz bringt einmal im Jahr nationale und internationale Experten und Entscheidungsträger zusammen, um über aktuelle Fragen der NATO zu diskutieren.

Autoren: Katharina Münster und Sebastian Nieke