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Kernseminar 2017: Auftakt mit Wolfgang Ischinger

Freitag, 7. April 2017

Das Kernseminar für Sicherheitspolitik 2017 ist gestartet. Den Auftakt bildete eine Diskussion mit dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger über aktuelle Fragen der transatlantischen Beziehungen, der Europäischen Union und der Cybersicherheit.

Wolfgang Ischinger spricht vor dem Kernseminar 2017 der BAKS.

„Die aktuelle Lage ist für Europa gefährlicher, als sie es in den 26 Jahren seit Zerfall der Sowjetunion je war.“ Wolfgang Ischinger gab zum Auftakt des Kernseminars eine sicherheits-politische Tour d'Horizon durch die krisengeschüttelte Welt des Jahres 2017. Foto: BAKS

Zum Auftakt des Kernseminars 2017 begrüßte der Vizepräsident der BAKS Thomas Wrießnig mit Wolfgang Ischinger einen besonderen Referenten an der BAKS: Als ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, erfahrener „Krisendiplomat“ und Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz genießt Ischinger sowohl in außen- und sicherheitspolitischen Kreisen als auch darüber hinaus weltweit höchste Anerkennung.

Navigator für das transatlantische Fahrwasser

„Was ist eigentlich in dieser Welt los?“ – Ischingers anfängliche Frage sollte unter den Seminarteilnehmern nicht nur von rhetorischer Natur bleiben. Krisen und Kriege im Nahen und Mittleren Osten, eine neue Bedrohungssituation in Osteuropa, Unklarheit über die Positionen der neuen US-Regierung, Terroranschläge in Europa und der nahende Brexit lieferten umfassenden Diskussionsstoff über eine „Welt aus den Fugen“ und Deutschlands Rolle darin. Gerade mit Blick auf das gegenwärtige transatlantische Fahrwasser war der ehemalige Botschafter in Washington als sicherheitspolitisch versierter Navigator besonders gefragt. Das Fundament erfolgreicher diplomatischer Beziehungen, so Ischinger, sei gegenseitiges Vertrauen. Doch zwischen den USA und Russland tendiere dieses derzeit „gegen Null“. Die von einigen Beobachtern geäußerten Hoffnungen auf eine Neuauflage klassischer amerikanisch-russischer Gipfeldiplomatie unter der neuen US-Administration hätten sich zerschlagen. Ischingers sicherheitspolitische Tour d’Horizon führte weiter nach Osteuropa.

Die NATO in Osteuropa: Dialog und Rückversicherung

Ein britisches Kampfflugzeug und ein russisches Kampfflugzeug fliegen in großer Nähe zueinander über einer geschlossenen Wolkendecke.

Große Nähe militärischer Kräfte birgt die Gefahr von Fehlinterpretationen, etwa wenn sich wie hier ein NATO-Abfangjäger (unten) und ein russisches Kampfflugzeug (oben) im internationalen Luftraum begegnen. Foto: Defence Images/Crown Copyright 2014/flickr/CC BY-NC-ND 2.0

Insbesondere verwies Ischinger auf die wiedergekehrte Bedeutung nuklearer Abschreckung: „Die aktuelle sicherheitspolitische Lage ist für Europa gefährlicher, als sie es in den 26 Jahren seit Zerfall der Sowjetunion je war.“ Seit der Annexion der Krim verwende Russland Atomwaffen auch wieder vermehrt als Drohmittel. Die Implikationen seien ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges: „30 Minuten Vorwarnzeit – das ist die Realität des Jahres 2017.“ Die Bedeutung von Dialog und Vertrauensbildung sei daher angesichts des „Risikos technischer und menschlicher Fehlleistungen“ umso größer – und das keineswegs nur im nuklearen Kontext. So bestehe immer die Gefahr von Fehlinterpretationen, wenn militärische Kräfte sich in großer Nähe zueinander bewegten, wie etwa die Begegnungen russischer und amerikanischer Kampfflugzeuge und Marineschiffe im Ostseeraum zeigten. Zugleich unterstrich Ischinger, der selbst an den Verhandlungen zur NATO-Russland-Grundakte mitgewirkt hatte, die Rechtmäßigkeit der gegenwärtig laufenden Stationierung kleinerer NATO-Verbände im Baltikum sowie in Polen zur Rückversicherung der osteuropäischen Bündnispartner. Man dürfe gerade im Wissen um die russische Truppenstärke in der Region anderslautender russischer Propaganda „nicht auf den Leim gehen.“

Plädoyer für eine Stärkung der EU-Sicherheitspolitik

Ein deutsches Militärfahrzeug verlässt über eine Rampe am Bug ein niederländisches Landungsboot.

Ein Beispiel für vertiefte europäische Verteidigungskooperation ist die deutsch-niederländische Integration militärischer Verbände. Hier im Bild: Während einer gemeinsamen Übung landet ein niederländisches Landungsboot ein geschütztes Fahrzeug der Bundeswehr an einem Strand an. Foto: Bundeswehr/Christian Thiel

Ausgehend von seinem generellen Befund, dass wir „in einer gefährlichen Welt mit dysfunktionalen Global Governance-Strukturen leben“ sowie den zahlreichen Fragen, was deutscher- und europäischerseits angesichts der gegenwärtigen Weltlage zu tun sei, antwortete Ischinger mit einem klaren Plädoyer: Die EU müsse mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen. Geschlossenheit und ein Zusammenstehen insbesondere in sicherheitspolitischen Fragen seien jetzt mehr denn je gefragt. Zu den Aussichten zeigte sich Ischinger durchaus zuversichtlich, denn der Ruf nach einer sicherheitspolitisch gestärkten EU sei auch in der gegenwärtigen Debatte über die Zukunft Europas nach wie vor eine mehrheitlich geteilte Position. So trat Ischinger für eine „entschlossene Politik der Integration europäischer Verteidigungsanstrengungen“ ein. „Ohne militärische Unterfütterung funktioniert keine internationale Diplomatie. Gute Worte allein reichen leider nicht.“ Ferner sei auch die diplomatische Einbeziehung eines geschlossenen Europas in die Verhandlungen der USA und Russlands entscheidend. Über die Köpfe der Bündnispartner hinweg könne keine nachhaltige Politik gemacht werden.

Cybersicherheit: "Wir brauchen einen Dolmetscherdienst"

Weiteren Handlungsbedarf sah Ischinger mit Blick auf Bedrohungen aus dem Cyberraum. Deutschland hinke hier seit vielen Jahren hinterher, wenngleich die jüngsten Entwicklungen um sogenannte Fake News und Social Bots die Debatte über Cybersicherheit in der Bundesrepublik beschleunigt hätten. Gerade die anstehende Bundestagswahl unterstreiche den Handlungsbedarf, denn „der Angriff von einigen wenigen kann nicht nur Infrastruktur treffen, sondern die Institutionen des demokratischen Staates schädigen – das ist die brave new world, in der wir jetzt sind“, so Ischinger. Sein Befund: Die Debatte beschränke sich auf Fachkreise, und es mangele vor allem an gegenseitigem Verständnis zwischen Politikern und Technikern: „Wir brauchen sozusagen einen Dolmetscherdienst“.

Das Kernseminar für Sicherheitspolitik 2017

Ischingers Tour d’Horizon spannte damit auch den Bogen über einige Themenschwerpunkte des diesjährigen Kernseminars für Sicherheitspolitik. Konkret steht das dreimonatige Seminar 2017 unter dem Banner: Nachhaltige Entwicklung – Sicherheit – Krisenprävention. Regionaler Schwerpunkt ist dabei in diesem Jahr Afrika. Feldstudien in Äthiopien und Mali ermöglichen dem Seminar, einen unmittelbaren Eindruck von den sicherheitspolitisch relevanten Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent zu gewinnen. Hinzu kommt eine Studienreise nach Washington, DC und nach New York. Das seit 2016 stattfindende Kernseminar richtet sich an ausgewählte Führungskräfte aus Bundes- und Landesministerien, aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien sowie aus deutschen Partnernationen.

Autoren: Katharina Pachmayr und Fabian Rohde