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EUropa unter Druck: Berliner Colloquium diskutiert Handlungsbedarfe

Mittwoch, 10. April 2019

Angesichts wachsenden Drucks auf liberale Weltordnung und Multilateralismus diskutierte das Berliner Colloquium 2019 sicherheitspolitische Handlungsbedarfe für die Europäische Union.

Zahlreiche Menschen sitzen in einem Festsaal und blicken zu einem Uniformierten, der am Kopf des Saals eine Rede hält.

Das Berliner Colloquium 2019 tagte wie bereits in den vergangenen Jahren wieder im Evangelischen Johannesstift Spandau. Foto: Bundeswehr/Wilke

„Europa kann scheitern“ – mit diesen eindringlichen Worten eröffnete BAKS Präsident Dr. Karl-Heinz Kamp das gemeinsam mit der Clausewitz-Gesellschaft e.V. ausgerichtete Berliner Colloquium 2019. Kamp stellte damit zweifelsfrei klar, wie groß aus seiner Sicht der Handlungsbedarf ist. Denn angesichts des Angriffs auf die liberale Weltordnung sei die EU unter Druck – so die Überschrift der Konferenz.  Um zu diskutieren, wie sich Europa außen-, sicherheits- und verteidigungspolitisch wappnen kann, lud das Berliner Colloquium zahlreiche Expertinnen und Experten vom 3. bis 5. April in das Evangelische Johannesstift nach Berlin ein.

Europa als Antwort auf den kriselnden Multilateralismus?

Dass der westlich geprägte Multilateralismus derzeit in die Krise gerät, zeigt sich zunehmend anhand des Zustands internationaler Organisationen. Jüngst feierte die NATO in Washington ihr siebzigjähriges Bestehen – indes auffallend zurückhaltend. Oder wie es Dr. Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zuspitzte: „War ein schönes Begräbnis zum Siebzigsten!“ Angesichts der widersprüchlichen und bisweilen drohenden Signale US-Präsident Trumps gegenüber der NATO liegt die Hoffnung zum Erhalt multilateraler Politik und der westlichen Werteordnung nun auf der EU. „Unilateralismus und Multilateralismus sind zwei grundlegende strategische Ausrichtungen“, summierte Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann, Präsident der der Clausewitz-Gesellschaft. Für ihn sei „Multilateralismus Ausdruck der EU“. Umso wichtiger erschien für alle Konferenzteilnehmenden, dass ein gemeinsames Europa besser früher als später Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit demonstriere. Braml bilanzierte dazu eindrücklich: „Vielleicht tun wir noch einmal zehn Jahre so, als würde sich nichts verändern – aber dann haben wir wieder zehn Jahre verloren.“

Russland und China sind autoritäre Herausforderer

Drei Offiziere der Bundeswehr sitzen auf Stühlen.

Das Berliner Colloquium führt sicherheitspolitische Experten zur Diskussion mit Soldaten und Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammen. Foto: Bundeswehr/Wilke

Doch wer fordert die EU konkret heraus? Unter den Teilnehmenden war weitgehend Konsens, dass der Autoritarismus eine Renaissance erlebt. Ein Beispiel dafür ist Russland. So sagte Professor Andreas Heinemann-Grüder vom Bonn International Center for Conversion, dass nach wie vor die „postimperialen Phantomschmerzen“ der bestimmende Faktor des russischen Staates und damit eine Bedrohung für die EU seien. Die durch Krim-Annexion und Syrien-Intervention gewachsene Vorsicht Europas für russische Machtpolitik dürfe aber nicht von anderen Herausforderungen ablenken, so ein Zwischenfazit der Konferenz.

So sei „aus der Sicht Chinas“, sagte Heinemann-Grüder „Russland eine Tankstelle.“ Seiner Ansicht nach könne in der bilateralen Beziehung beider Staaten aufgrund Chinas zunehmenden Einflusses Russland lediglich der Juniorpartner sein. Auch Dr. Sarah Kirchberger vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel verwies auf die wachsende Bedeutung des Reichs der Mitte und kam zu dem Schluss, dass sich die Beziehungen zwischen Peking und der EU in Zukunft schwieriger gestalten werden dürften. Dabei sah sie vor allem die Abwanderung europäischen Know-hows als Gefahr: „Aus Sicht der Chinesen sind wir eine hervorragende Quelle von Hochtechnologie“. Zusammenfassend kam Kirchberger zu dem Ergebnis, dass „wir unser eigenes System, unsere liberale Demokratie besser schützen müssen“, um auch zukünftig vor der „Hightech-Diktatur China“ bestehen zu können.

Misstrauen in der Rüstungskooperation

Auch der Export von Verteidigungsgütern stand zur Debatte. "Die Rüstungsexportfrage ist einer der ganz zentralen Fragen deutscher Verteidigungspolitik“, sagte Géza Andreas von Geyr, der die Abteilung Politik im Verteidigungsministerium leitet. Dabei räumte er ein: „Wir haben in der Vergangenheit versäumt, darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen.“ Dr. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik beklagte eine darauf folgende Polarisierung der Debatte: „Wir hangeln uns von Skandal zu Skandal, ohne dabei weiter zu kommen.“ Major wies darauf hin, dass dies auch Folgen für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa habe.: „Unsere Partner wissen immer weniger, was wir wollen.“ Als einen Ausdruck dessen wertete sie auch das jüngst erschienene BAKS-Arbeitspapier von Frankreichs Botschafterin in Berlin Anne-Marie Descôtes, welches Deutschland Unberechenbarkeit in der Frage von Rüstungsexporten vorwerfe.

Herausforderungen für die Bundeswehr

Ein uniformierter General der Bundeswehr spricht gestikulierend in ein Mikrofon.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn forderte zu Mehr Kommunikation zwischen Streitkräften und Gesellschaft auf.
Foto: Bundeswehr/Wilke

Die deutsch-französische Zusammenarbeit beschäftige auch den Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn in seiner Rede zur Konferenz. General Zorn sah Konsensbildung als zentrale Aufgabe für die europäische Sicherheitspolitik: „Wir müssen zu gemeinschaftlichen Verteidigungsrichtlinien kommen.“ Ferner verwies Zorn auf eine grundsätzliche Schwierigkeit sicherheits- und verteidigungspolitischer Diskussionen: „Der Informationsstand, der in der breiten Öffentlichkeit vorhanden ist, ist durchaus noch ausbaufähig“, so der General. Auch und gerade diesem Grund halte er es für „unverändert wichtig, die Bundeswehr in die Schulen zu bringen“.

Er bezog sich damit auf den kontrovers diskutierten Beschluss des Landesverbandes Berlin der SPD, die Bundeswehr zukünftig von Berliner Schulen fernhalten zu wollen. Denn um Übersetzungsverhältnisse zwischen Militär und Zivilgesellschaft zu schaffen, begründete Zorn seine Überzeugung, müssten gerade auch die Soldatinnen und Soldaten in die breite Gesellschaft kommunizieren. Auch dies seien notwendige Schritte, um die „aufsteigenden kontinuierlichen Planungsziele“ der Bundeswehr zu erklären.

Autor: Jonas Jacholke