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Debatte: Staatsbürgerschaftliches Engagement gefordert

Dienstag, 28. Juni 2016

Flüchtlingskrise, Resilienz, Extremismus: Brauchen wir mehr staatsbürgerschaftliches Engagement? Am 22. Juni luden der Reservistenverband und die Deutsche Atlantische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der BAKS zu einer großen Diskussionsveranstaltung ins Tipi am Kanzleramt ein.

Eine Menschenmenge sitzt im hellerleuchteten Tipi am Kanzleramt in Berlin.

Breites Interesse an der Debatte über staatsbürgerschaftliches Engagement und nationale Krisenvorsorge: das vollbesetzte Tipi am Kanzleramt am 22. Juni.
Foto: Reservistenverband/Plambeck

Die Bundesrepublik steht vor vielen Herausforderungen: Zahlreiche Flüchtlinge suchen hier Schutz, das internationale Sicherheitsumfeld hat sich rapide gewandelt und Extremisten verschiedener Couleur erhalten europaweit Zulauf - BAKS-Präsident Karl-Heinz Kamp spricht von einer Zäsur, die sich gegenwärtig vollziehe. Wie kann angesichts dieser krisenhaften Entwicklungen die nationale Krisenvorsorge gestärkt werden?

Freiwilligendienst ausbauen oder Dienstpflicht einführen?

Roderich Kiesewetter MdB und Winfried Nachtwei, ehemaliger Abgeordneter des Bundestages auf dem Podium des Sicherheitspolitischen Forums im Tipi am Kanzleramt

"Für eine Rücknahme der Wehrpflichtaussetzung gibt es derzeit keine sicherheitspolitische Notwendigkeit" sagte Winfried Nachtwei (r.), hier auf dem Podium mit Roderich Kiesewetter MdB.
Foto: Reservistenverband/Plambeck

Ein Vorschlag ist die Einführung eines Freiwilligendienstes oder einer Dienstpflicht. Ehrenamtliche Organisationen leisten schon heute etwa in der Flüchtlingshilfe oder bei der Prävention extremistischer Gewalt unverzichtbare Beiträge. Doch zahlreiche auf dieses Engagement angewiesene Organisationen wie das Technische Hilfswerk und die Freiwilligen Feuerwehren in der Fläche klagen über einen sich verschärfenden Nachwuchsmangel. Und viele ehrenamtlich engagierte Menschen wiederum beklagen, dass sie Schwierigkeiten hätten, von ihren Arbeitgebern freigestellt zu werden.

Sollte deshalb ein Freiwilligendienst oder eine Dienstpflicht eingeführt werden? Die Experten kamen im Tipi zu unterschiedlichen Einschätzungen. Der Bürgermeister der Stadt Dinslaken, Dr. Michael Heidinger (SPD) etwa sprach sich deutlich für die Einführung eines Pflichtdienstes aus. „Wir produzieren junge Menschen, die im Alter von 23 Jahren Masterabschlüsse aber noch nichts von dieser Welt gesehen haben haben“, so Heidinger. In Zeiten von achtjährigem Abitur und der Bologna-Reform an den Universitäten sei kaum noch Raum für ehrenamtliches Engagement. Gerade deshalb plädiere er für eine Pflicht zum Dienst an der Gemeinschaft.

Unterschiedliche Einschätzungen

Eine junge Frau mit Unterlagen in der Hand spricht einen Diskussionsbeitrag in ein Mikrofon.

Zahlreiche interessierte Bürgerinnen und Bürger beteiligten sich an der Debatte im Tipi am Kanzleramt.
Foto: Reservistenverband/Plambeck

Skeptisch äußerte sich hingegen der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen). Eine Dienstpflicht, „und zwar für alle Geschlechter wäre gerecht", so Nachtwei. Eine solche Pflicht ließe sich allerdings ohne eine Änderung des Grundgesetzes derzeit nur im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht realisieren. Diese Verbindung mit der militärischen Dimension sehe er sehr kritisch, denn „für eine Rücknahme der Wehrpflichtaussetzung gibt es derzeit keine sicherheitspolitische Notwendigkeit“, so Nachtwei.

Diese Einschätzung stimmte mit der von Generalleutnant Eberhard Zorn, Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium, übereint: Die Bundeswehr bilde „keine Gewehrträger aus, sondern Spezialisten. Freiwillige sind motiviertere Soldaten“, so der General. Der Präsident des Technischen Hilfswerks, Eberhard Broemme stellte vor allem die Intensität der Ausbildung heraus: Neben den Spontanhelfern brauche das THW auch „gut trainierte Experten“. Er plädierte für eine genaue Analyse der Vor- und Nachteile einer etwaigen Dienstverpflichtung. Es müsse offen die Frage gestellt werden, „was die Gesellschaft und was der Einzelne von einem Pflichtdienst hätte.“

Übereinstimmung: zunächst die bestehenden Dienstmöglichkeiten ausbauen

Der Präsident des THW Albrecht Broemme spricht auf dem Podium des Sicherheitspolitischen Forums Berlin in ein Mikrofon.

Stellte die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements in der Katastrophenhilfe heraus: THW-Präsident Albrecht Broemme.
Foto: Reservistenverband/Plambeck

Einig waren sich die Experten, dass zunächst die bestehenden Möglichkeiten des Freiwilligendienstes ausgebaut und stärker sowohl an den Bedarfsträgern als auch den Dienenden ausgerichtet werden sollten. Hier seien insbesondere eine zeitliche Flexibilisierung, die Schaffung neuer Anreize und die Erschließung weiterer Arbeitsfelder zu leisten, während zugleich sichergestellt werden müsse, dass es – wie etwa in der Alten- oder Krankenpflege – nicht zu Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt kommen dürfe.

Die Debatte um die etwaige Einführung eines Freiwilligendienstes oder einer Dienstpflicht ist somit eröffnet – denn die zugrundeliegenden Herausforderungen an die nationale Krisenvorsorge dürften auf absehbare Zeit nicht nachlassen.

Autor: Redaktion