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1. Schönhauser Forum 2010 zum Thema Afghanistan

Freitag, 1. Januar 2010

Was bedeutet „Erfolg“ für die internationale Präsenz in Afghanistan? Wo wurden bisher positive Erfahrungen in der zivilen und militärischen Arbeit vor Ort gemacht und wo liegen Defizite? Diesen Fragen ging das 1. Schönhauser Forum 2010 mit den ehemaligen ISAF Kommandeuren Generalmajor Mart de Kruif (Niederlande) und Brigadegeneral Jörg Vollmer (Deutschland) unter großer Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit und der Medien nach.

v.l.n.r GenLt. a.D. Lahl, GM de Kruif und BG Vollmer
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Nach der Entscheidung von US-Präsident Obama zum Umfang und Zeithorizont des künftigen US-Engagements in Afghanistan und dem andauernden Meinungsbildungsprozess einiger europäischer Staaten, darunter Deutschland, konnte das Thema kurz vor der Afghanistankonferenz in London aktueller nicht sein. Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Generalleutnant a.D. Kersten Lahl machte zu Beginn der Veranstaltung deutlich, dass es wichtig sei der Frage nachzugehen, welches die Ziele der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan sind, und wie sie erreicht werden können? Oder anders ausgedrückt: Was ist militärisch und zivil erforderlich, um mit Hilfe einer neuen Strategie zum bisher vergeblich erhofften Erfolg zu kommen?

In seiner Einführung zeigte Generalmajor Mart de Kruif, bis November 2009 niederländischer Kommandeur des „Regional Command South“ der „International Security Assistance Force (ISAF)“ in Kandahar, Afghanistan zunächst auf, wie sich die Strategie der Taliban verändert habe. Nach dem Scheitern konventioneller Angriffe auf die ISAF hätten sich die Taliban für eine asymetrische Kriegführung durch einzelne, wenig vernetzte Zellen, verbunden mit der Einschüchterung der Bevölkerung entschieden. Daher sei es nun wichtig und auch zunehmend erfolgreich, wenn sich die internationale Gemeinschaft auf den Wiederaufbau des Landes und die wirtschaftliche Entwicklung konzentriere. Hierzu ist zur Absicherung nach wie vor eine starke militärische Präsenz erforderlich – zumindest so lange, bis die staatliche Sicherheitsvorsorge flächendeckend greifen kann. De Kruif erläuterte die Strategie des „shape – clear – hold – build“ das sinngemäß in „Konzeptentwicklung – Befreien (von Taliban) – Halten (der Region) – Wiederaufbau“ übersetzt werden kann. Er unterstrich die gute Zusammenarbeit der ISAF mit UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan), bei der er die wichtige Aufgabe des Wideraufbaus als Voraussetzung für das Gewinnen von Selbstvertrauen der Bevölkerung sieht. Die ISAF könne hierfür die notwendige Sicherheitsleistung erbringen, für die im Südbereich Afghanistans nun der Kampfeinsatz gegen Taliban-Hochburgen vorrangiges Ziel sein müsse. Insgesamt sei das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan auf dem richtigen Weg – wichtig sei der kontinuierliche Wille, die unmenschlichen Realitäten der Taliban nicht zu akzeptieren.

Brigadegeneral Jörg Vollmer, bis Oktober 2009 deutscher Kommandeur des „Regional Command North“ der ISAF in Masar-i-Sharif, Afghanistan zeichnete ein insgesamt positives Bild der Nordregion. Sieben von neun Provinzen seien hinlänglich stabil, anerkannt frei vom Drogenanbau und die Wahlen seien grundsätzlich erfolgreich verlaufen. Die Versorgung Afghanistans liefe fast ausschließlich über den Norden. So würde Afghanistan zu ca. 80% mit Strom aus Zentralasien über die nördlichen Provinzen versorgt. Auch aus seiner Sicht sei der wirtschaftliche Aufbau die vorrangige Aufgabe. Insbesondere in der Nordregion gebe es hierfür bereits sehr erfolgreiche Beispiele wie die „Ring Road“ (autobahnähnlicher Ausbau von Verbindungsstrassen) und auch der Ausbau des Flughafens in Masar-i-Sharif zu einem internationalen Flughafen. Brigadegeneral Vollmer unterstützte die Sicht von Generalmajor de Kruif, dass die internationale Schutztruppe die notwendige Stabilisierung für den Aufbau des Landes so lange leisten müsse, bis die Afghanischen Sicherheitsbehörden dies selbst tun können.

In der anschließenden lebhaften Diskussion mit dem Publikum machten beide Generale deutlich, dass Afghanistan noch keine Erfolgsgeschichte sei, man sich aber auf dem richtigen Weg befinde. Es helfe aber auch nicht weiter, wenn man nur die zunehmend weniger negativen Aspekte und Defizite als Bewertungskriterium für den Erfolg heranziehe. Mit einem Blick nach vorn verdeutlichte de Kruif seinen Ansatz als Kommandeur in Afghanistan: „Wer täglich Entscheidungen treffen muss, die über Leben und Tod bestimmen, kann nicht Optimist sein – nur Realist“. Und als Realist sehe er ein deutlich positiveres Bild der Situation in Afghanistan, als es aus manchen Berichten abzulesen sei.

Auf die abschließende Frage des Moderators , ob er, wenn er einen Wunsch frei hätte ein zusätzliches Bataillon mit mehreren hundert Soldaten, 10 Millionen Euro an Entwicklungshilfe oder 100 Polizeiausbilder nehmen würde, sagte de Kruif ohne zu zögern: „Ich nehme die Polizisten“.

Autor: Oberst i.G. Walter Schweizer