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Zusammenfassung des Moduls 4: Konstanten und Verschiebungen im globalen Kräfteverhältnis

Dienstag, 3. April 2012

Anknüpfend an die Erfahrungen der USA-Reise und die dort diskutierten Elemente globaler Ordnung galt es für das Seminar, sich mit Fragen des sicherheitspolitischen Gleichgewichts und die darauf einwirkenden Faktoren zu befassen.

Mehrere Herren in Uniformen sitzen an einem Tisch

Briefing durch Vertreter Generalstab
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

1. Geopolitik – Einflusssphären – globale Ordnungssysteme

Anknüpfend an die Erfahrungen der USA-Reise und die dort diskutierten Elemente globaler Ordnung galt es für das Seminar, sich mit Fragen des sicherheitspolitischen Gleichgewichts und die darauf einwirkenden Faktoren zu befassen. Einem umfassenden Verständnis von Sicherheit folgend waren Aspekte wie die Folgen von Globalisierung und demographischer Entwicklung zu gewichten und ihre Auswirkungen auf sicherheitspolitische Kräfteverhältnisse zu untersuchen. Vorträge und Diskussion zeigten, dass der derzeitige strategische Transformationsprozess einen Übergang zu einer Struktur der Nicht-Polarität, d.h. weg von einzelnen Hegemonen, eingeleitet hat. Dabei sind mittlerweile zahlreiche regionale Akteure auf einer Vielzahl globaler Spielfelder tätig. Entgegen ehemals relativ fest gefügter globaler Ordnungssysteme sind die Regeln in dieser nicht-polaren Welt fließend; erkennbar ist jedoch, dass vielerorts das Machtmonopol des Staates schwindet, keine oder nur unzureichende international verbindliche Regulierungen existieren und insgesamt die Vielfalt der Akteure weiter zunimmt.

Absehbar ist, dass der globale Wettbewerb um strategisch relevante Regionen die sicherheitspolitische Diskussion zunehmend beherrschen wird. Der asiatisch-pazifische Raum wird sich dabei zum zentralen geopolitischen Raum des 21. Jahrhundert entwickeln.

Weitere bestimmende Faktoren werden der Klimawandel und die Ressourcenknappheit sein. Der politische Imperativ des Haltens der „2-Grad-Leitplanke“ bzgl. der Erwärmung der Erde kann nur dann erfolgreich sein, wenn klare Investitionssignale für CO2-Reduktions/-vermeidung gesetzt, neue institutionelle Strukturen geschaffen und eine politische Kohärenz erzielt wird. Die EU kann sich dabei als entscheidende Akteurin in der Klimafrage etablieren; in diesem Zusammenhang müssen Außen-, Wirtschafts-, und Sicherheitspolitik definitorisch angepasst bzw. neu gefasst werden.

2. Deutschland und Europäische Union: Energieaußenpolitik und Energiesicherheit

Im Bereich der fossilen Brennstoffe, insbesondere Gas und Öl, kommt der Diversifizierung eine besondere Bedeutung zu, die durch raschen, einvernehmlichen Ausbau der Transportwege (Pipelines) erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere für die Länder der Kaukasusregion. Hier gilt es auch in den entsprechenden Transitländern langfristig und nachhaltig für politische Stabilität und Berechenbarkeit zu sorgen.

Spätestens mit der Energiewende ist in Deutschland das Bewusstsein gereift, eine eigene, mit der EU abgestimmte, Energieaußenpolitik konzeptionell zu hinterlegen und so einen Beitrag zur Sicherstellung der Energieversorgung Deutschlands zu leisten. Dabei gilt es, die derzeit sehr unterschiedlichen Energie-Mixe in Europa sinnvoll zu verbinden und zu ergänzen, insbesondere Speicherkapazitäten für erneuerbare Energien aufzubauen und das nationale wie europäische Stromnetz zügig zu ertüchtigen bzw. zu erweitern.

Versorgungssicherheit steht dabei als Chiffre für eine nationale wie EU-Energieaußenpolitik, bei der eben diese Versorgungssicherheit in Einklang mit Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiger Entwicklung gebracht und gehalten werden muss. Ein Plus an Versorgungssicherheit wird sich letztlich aber auch nur aus der zuvor genannten Diversifizierung in Kombination mit einer zunehmenden Energieeffizienz generieren lassen.

3. Russland

Aus Gesprächen mit hochrangigen Experten und Dialogpartnern in Russland und an der russischen Botschaft in Berlin ergab sich für das Seminar folgendes Bild:

Das dominierende Thema zwischen Russland und westlichen Staaten ist derzeit das Raketenabwehrsystem der NATO. Russland beklagt gegenüber der NATO, dass es nicht wie auf dem Gipfel von Lissabon vorgesehen, als „strategischer Partner“ behandelt wird. Russland betont, dass konkurrierende regionale Systeme der kollektiven Sicherheit nicht mit der Verbesserung vernetzter Sicherheit und Diplomatie vereinbar seien.

Auch die gültige EU-Visapolitik wird von russischer Seite als störend betrachtet. Moskau empfindet die gültigen Regelungen als Relikt des Kalten Krieges und sieht in deren Aufhebung einen wichtigen Schritt für eine weitere bessere Zusammenarbeit mit der EU. Zusätzlich ist Russland von der Ablehnung der von Präsident Medwedew vorgestellten neuen Sicherheitsarchitektur im euro-atlantischen Raum enttäuscht. Es wird aber immer noch gehofft, dass die Gespräche über den Medwedjew–Vorschlag mit NATO- und EU-Staaten aufgenommen werden. Als wichtigste Herausforderung in der Zusammenarbeit mit der EU wird von russischer Seite ein gemeinsames Vorgehen gegen Terrorismus, Piraterie und Drogenbekämpfung erwähnt. Das „Königsberger Dreieck“ wird als Beispiel einer guten Zusammenarbeit zwischen EU- Staaten und Moskau betrachtet. Ziel dabei ist die Schaffung einer Plattform für wichtige politische Themen wie Energiepolitik, Visa-Liberalisierung, Universitätszusammenarbeit, die Erstellung eines gemeinsamen Geschichtsbuches sowie der Ostseerat auf Ebene der Außenminister Deutschlands, Polens und Russlands. Als weiteres positives Beispiel wird auch die EU-Partnerschaft für Modernisierung gesehen, für die aber weitere Impulse notwendig sind.

Wichtigste Einflusszone Russlands bleiben die GUS-Staaten, wobei der Kaukasus und Zentralasien aufgrund ihrer strategischen und geopolitischen Lage von besonderer Bedeutung sind. Die Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (OVKS) dient dem Ziel, den Einfluss Russlands in dieser Region zu verfestigen. So wurde im Dezember 2011 entschieden, dass ohne Zustimmung aller Mitgliedstaaten der OVKS keine ausländischen militärischen Einrichtungen von Drittstaaten auf dem Vertragsgebiet etabliert werden dürfen.

Exkurs: Feldstudie Moskau

Im Gespräch mit Experten der deutschen Botschaft in Moskau wurde ein umfassendes Bild der aktuellen innen- und außenpolitischen Situation Russlands gezeichnet. Im Mittelpunkt standen dabei Fragen der Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO, zur Rüstungskontrolle, der aktuellen Diskussionen zum Raketenabwehrsystem der NATO sowie die Situation in Syrien und den Krisenregionen des Nord- und Südkaukasus. Als innenpolitisch beherrschendes Thema wurden die Lage nach den Präsidenten- und Duma-Wahlen und die damit verbundenen Proteste in Russland diskutiert.

Ein Herr sitzt vor einem Laptop und hält eine Ansprache

Engagierte Kompetenz: Dmitrij Oreschkin, Mitglied des Rates für Menschenrechte beim Präsidenten der russischen Föderation
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Vertreterinnen und Vertreter von internationalen wie deutschen Think Tanks, der russischen Zivilgesellschaft, vor allem auch Menschenrechtsorganisationen,  und deutscher Medien zeichneten ein sehr komplexes und inhaltsreiches Bild der aktuellen Lage in Russland nach den Protesten im Kontext der Präsidentschaftswahlen:

Die innenpolitische Betrachtung fokussierte sich primär auf die Motivation der neu entstandenen Mittelklasse sowie das Fehlen einer organisierten Opposition, die sich hinter einer gemeinsamen politischen Idee sammelt. Ein Wechsel der politischen Klasse und Elite ist damit derzeit nicht erkennbar. Es kristallisierte sich das Bild einer weitgehend ideologiefreien Protestbewegung heraus, deren Hauptziel nicht die Änderung der Verhältnisse war, sondern faire Wahlen als Synonym dafür betrachtete, als Bürger ernstgenommen zu werden. Alles in allem ist die neue Mittelschicht von der lang versprochenen, aber ausbleibenden Modernisierung enttäuscht. Zudem findet die Mittelschicht keine adäquate Repräsentanz im derzeitigen politischen System. Tendenziell wird die neue staatliche Öffnung gegenüber der Zivilgesellschaft eher als Kontrollmöglichkeit denn als Mittel zur Demokratisierung betrachtet.

Vorherrschende Einschätzung war, dass Vladimir Putin trotz Wahlsieg als Präsident geschwächt sein wird und die Umsetzung der angekündigten Reformen (wie die Erleichterung bei der Parteiengründung) momentan nicht absehbar ist.

Ein interessanter Baustein des Besuchs bildete ein Gespräch mit Mitarbeitern des russischen Generalstabs zum aktuellen Stand der Militärreform. Kernziele der Reform sind die ständige Verfügbarkeit der Streitkräfte bis 2016 in einer Stärke einer Million Soldaten und eine tiefgreifende Modernisierung der Ausstattung, Ausbildung und eine grundlegende Verbesserung der sozialen Lage der Soldaten.

Eine Dame und ein Herr unterhalten sich an einem Tisch

Gespräch mit deutschen Journalisten
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

In einem Gespräch mit Vertretern des russischen Außenministeriums wurden von beiden Seiten äußerst offen aktuelle sicherheitspolitische Fragen im Zusammenhang mit dem Libyen-Einsatz der NATO, der innenpolitischen Lage in Syrien und die Sichtweise Russlands zum Raketenabwehrschirm der NATO sehr kontrovers erörtert.

Abgerundet wurde das umfangreiche Informationsprogramm in Moskau mit Besuchen beim modern ausgestatteten Nationalen Leitzentrum für Krisensituationen sowie einem Gespräch bei GAZPROM.

4. China

China ist eine rasant wachsende Volkswirtschaft, seit kurzem „Exportweltmeister“ und bekleidet den zweiten Platz auf der BIP-Rangliste. Profiteure sind primär die Städte Peking, Shanghai und weitere Küstenstädte, in denen sich zunehmend eine gut ausgebildete Mittelschicht etabliert. In den ländlichen Regionen sind zwar auch Einkommenszuwächse bei der Bevölkerung zu verzeichnen, dennoch muss eine rasant wachsende Ungleichverteilung und Schere zwischen den Küstenregionen und dem Landesinneren festgestellt werden; eine Folge sind latente soziale Spannungen, aus denen sich innenpolitische Unruheherde entwickeln können. Der aktuelle Fünfjahresplan sieht nunmehr einstellige Wachstumsraten und eine Hinwendung zu mehr Nachhaltigkeit und soziale Aspekte vor.

China ist einer der wichtigen Handelspartner Deutschlands, vor allem für hochwertige Industrie- und Konsumgüter sowie für  Umwelttechnologien. China präsentiert sich nach außen als ein Land, das wieder zu Stärke und Reichtum gelangen möchte. So ist festzustellen, dass China wirtschaftspolitisch zunehmend selbstbewusst auftritt. Dies muss bei der Gestaltung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen berücksichtigt werden. China beansprucht mehr und mehr globalen Gestaltungsspielraum. Hier sind einerseits die Beteiligung an UN-Friedensmissionen, bei der Piraterie-Bekämpfung, und eine beginnende Vermittlerrolle bei internationalen Konflikten hervorzuheben.

Andererseits baut China seine militärischen Fähigkeiten massiv aus, wie beispielsweise die Entwicklung strategischer Waffensysteme. Gleichwohl sind die zunehmenden Rüstungsausgaben Chinas gegenüber denen der USA relativ gering, wenn sie ins Verhältnis der Bevölkerungszahlen und zunehmender Kosten bei Beschaffung und Besoldung der Streitkräfte gesetzt werden.

5. Statement:

In Modul 4 zeigte sich, dass sich im 21. Jahrhundert die gestaltenden Kräfte weiter in Richtung des pazifischen Raumes orientieren. Deutschland und die Europäische Union als Gestaltungsmächte sind gefordert, eine klare außen- und sicherheitspolitische Linie mit Bezug auf die Region Asien-Pazifik zu entwickeln, die die transatlantische Vernetzung als Basis nutzt und Gestaltungsräume in Form dauerhafter Kooperation in der Region erschließt.

Die Seminarteilnehmer und -innen begrüßten das vierwöchige Modul 4 als wichtigen sicherheitspolitischen Baustein im 25-wöchigen Seminar.

Autoren: Arbeitsgruppe "Südamerika" des Seminars für Sicherheitspolitik