DFS 2016 – Podium 1

Deutsches Forum Sicherheitspolitik

Podium I: "Die komplexe Welt der Fluchtursachen: Warum verlassen Menschen ihre Heimat?"

 

Susanne Baumann
Chief of Staff, Crisis Action

Dr. Franziska Brantner MdB
Vorsitzende des Unterausschusses des Deutschen Bundestages
"Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln"

Prof. Dr. Ruud Koopmans
Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Florian Westphal
Geschäftsführer, Ärzte ohne Grenzen e.V.

Moderation: Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio

 

"Warum verlassen Menschen ihre Heimat?" – Dieser Frage gingen die Panelisten des Podiums I beim Deutschen Forum Sicherheitspolitik nach. Unter der Moderation des ARD-Korrespondenten Arnd Henze diskutierten Susanne Baumann (Chief of Staff, Crisis Action), Dr. Franziska Brantner (MdB, Vorsitzende des Unterausschusses "Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln" des Deutschen Bundestages), Professor Dr. Ruud Koopmans (Direktor beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und Florian Westphal (Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen e.V.).

Professor Dr. Ruud Koopmans: Nicht nur die "Push"-, sondern auch die "Pull"-Faktoren müssten betrachtet werden. Foto: Thomas Trutschel/photothek/BMZ

Koopmans kategorisierte die Fluchtursachen in seinem pointierten Eingangsimpuls in drei Faktorengruppen: Zunächst seien "Push"-Faktoren ausschlaggebend, dass Menschen aus ihrer Heimat gedrängt oder vertrieben würden. Dabei sei er skeptisch, ob diese Faktoren getilgt werden könnten. Entwicklungspolitisches Entgegenwirken sei zwar ein Gebot der Notwendigkeit, würde aber in der Diskussion um die Begrenzung von Fluchtursachen kontraproduktiv wirken: Durch wirtschaftlichen Aufschwung würden mehr Menschen in die Lage versetzt, ihr Land zu verlassen. Auch in der zweiten Faktorengruppe der "Migrationskosten" gebe es wenig Wirkungs- und Handlungsspielraum. Sie würden ohnehin konstant niedriger ausfallen. Bei den "Pull"-Faktoren sieht Koopmans jedoch dringenden Handlungsbedarf: Das jetzige Asyl-System sei eine offene Einladung für den Missbrauch. Hier müsse dringend durch eine grundsätzliche Reform des deutschen und europäischen Asylrechts nachgesteuert werden, verbunden mit großzügigen Kontingentlösungen für die erstaufnehmenden Länder. Damit hatte Koopmans ausreichend Reibungspunkte für eine kontrovers-konstruktive Diskussion gesetzt.

Susanne Baumann, Chief of Staff, Crisis Action, warnte vor einer Vorverurteilung von Flüchtlingen: "Entscheidend sind die Notlagen in den Herkunftsländern." Foto: BAKS/Marcus Mohr

Susanne Baumann warnte denn auch sofort vor der Unterstellung, Flüchtende würden sich primär aufgrund potentieller Lebensperspektiven in Europa, vorrangig Deutschland, auf den gefährlichen Weg machen. Bei aller Komplexität der Fluchtursachen seien doch überwiegend Notlagen in den Herkunftsländern ausschlaggebend. Europa sei natürlich immer gefordert, seine Gesetzgebung bestmöglich an die Herausforderungen anzupassen. Der notwendige politische Fokus müsse aber auf die Verbesserung der Situation in den Herkunftsländern gerichtet sein. Hier sei die Arbeit des Bundesentwicklungsministeriums ein wertvolles Element, wenngleich die internationale Implementierung entwicklungspolitischer Maßnahmen verbessert werden könne. Baumann zeigte sich überzeugt, dass die meisten Geflüchteten wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden, sobald dort wieder ein menschenwürdiges Leben möglich sei.

Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, sieht auch die Herkunftsländer in der Pflicht zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Foto: Thomas Trutschel/photothek/BMZ

Florian Westphal stellte sich ebenfalls der These eines "Pull"-Effekts als primärer Fluchtursache entgegen. Darüber hinaus dürfe die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht als Alternative zwischen Leben und Sterben verstanden werden. Er plädierte für eine langfristige, über die notwendige humanitäre Hilfe hinausgehende, Entwicklungsstrategie für die betroffenen Länder. Voraussetzung dafür sei allerdings der politische Wille in den Herkunftsländern zur Verbesserung der Lebensbedingungen für die Bevölkerung.

Forderte ein stärkeres Engagement Deutschlands: Dr. Franziska Brantner, Vorsitzende des Unterausschusses "Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln". Foto: BAKS/Marcus Mohr

Dr. Franziska Brantner forderte verstärkte Anstrengungen zur Vermeidung von Krisen, wenngleich dies im Bewusstsein der begrenzten Handlungsspielräume geschehen müsse: Sie kritisierte vor allem die zu niedrigen Mittel im Haushaltsentwurf 2017 im Bereich der humanitären Hilfe und die zu geringe Anzahl entsendeter deutscher Polizisten zur Unterstützung beim Aufbau von Staatlichkeit. Über technische Maßnahmen hinaus seien breite gesellschaftliche Prozesse und Diskussionen notwendig.

Zum Abschluss einer kurzweiligen und intensiven Debatte trat Professor Dr. Ruud Koopmans dem Eindruck entgegen, er habe der Arbeit an den "Push"-Faktoren die Notwendigkeit abgesprochen. Er sehe beispielsweise eine große Chance in fairen Freihandelsabkommen und weniger europäischem Protektionismus. Letzten Endes müsse an beiden Enden angesetzt werden: Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort und gleichzeitig weniger Magnetwirkung der aufnehmenden Länder.

Autor: Knut Steinhäuser