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Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende: Warum Rohstoffsicherheit ein Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands werden sollte

5/2022
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Der von der Bundesregierung angekündigten sicherheitspolitischen Zeitenwende folgt eine energiepolitische. Doch mit der Reduzierung der Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern, insbesondere aus Russland, und der Diversifizierung der Bezugsquellen ist es nicht getan. Längst hängen Deutschland und andere westliche Staaten bei den für die Energiewende so wichtigen kritischen Mineralien und Metallen von China und einer Reihe von politisch instabilen oder neoprotektionistischen Staaten ab. Um diesen wirtschaftlichen Rohstoffabhängigkeiten und Risiken strategisch zu begegnen und Erpressbarkeiten zu minimieren, sollte Rohstoffsicherheit Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie werden.

Rohstoffpolitische Zeitenwende: Auch Abhängigkeiten im Bereich der Rohstoffe müssen reduziert werden. Foto: Pixabay/soualexandrerocha

Im Schatten der Energiediskussion: Alte und neue Abhängigkeiten bei kritischen Metallrohstoffen

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat nicht nur grundlegende Annahmen der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik erschüttert. Er hat zudem zahlreiche Fragen zur bisherigen Ausrichtung der Energie- und Rohstoffpolitik Berlins aufgeworfen. Das Interessante an dieser Debatte sind nicht allein die Themen, die derzeit breit diskutiert, reflektiert und evaluiert werden. Deutsche Politik-Mantras wie „Wandel durch Handel“ oder „Annäherung durch Verflechtung“ und energiepolitische Großprojekte wie die Erdgas¬pipeline Nord Stream 2 wurden bereits vor dem Ukraine-Krieg kontrovers diskutiert. Ebenso ist die Erkenntnis, dass Energie- und Rohstoffpolitik auch eine sicherheits- und geopolitische Dimension haben können, spätestens seit der ersten Erdölkrise von 1973 und jüngst seit dem kurzen chinesischen Lieferstopp von Seltenen Erden nach Japan im Jahr 2010 nicht mehr neu.

Insbesondere die Rohstoffsicherheit verdient – auch als Folge und Lehre aus dem aktuellen Krieg – mehr politische Aufmerksamkeit. Sie stand und steht seit Jahren im Schatten der Großdiskussionen um die Zukunft der Energieversorgung, die Bekämpfung des Klimawandels und die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Aber gerade für den Umbau der Energiesysteme, die weniger auf fossilen und stärker auf erneuerbaren Energieträgern basieren (sollen), werden künftig große Mengen zahlreicher Mineralien und Metalle benötigt. Während Öl, Gas und Kohle also auf mittel- und langfristige Sicht an Bedeutung verlieren werden, werden Kupfer, Aluminium, Lithium, Kobalt, Nickel, Seltene Erden und weitere Elemente immer wichtiger werden. Dieser Wandel der Rohstoffe und Systemstrukturen von fuel-intensive zu material-intensive1 findet parallel und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Intensitäten statt. Wahrscheinlich wird Deutschland eine längere, keineswegs konfliktfreie Übergangsphase erleben, die mit zahlreichen Ungewissheiten und Risiken verbunden ist. Eines dieser Transformationsrisiken betrifft die Verfügbarkeit dieser Rohstoffe und die damit einhergehenden Fragen nach der Kontrolle von Lagerstätten, Verarbeitungskapazitäten und Lieferwegen/-ketten. Über allem schwebt – wenn auch nicht akut, so dennoch virulent möglich – das Risiko von Rohstoffkonflikten oder rohstoffbedingten Erpressbarkeiten.

Es mangelt nicht an wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen zu den zahlreichen politischen und geoökonomischen Herausforderungen der kommenden Rohstoffwende. Die Prognosen der Internationalen Energieagentur etwa zu den stark wachsenden Bedarfsentwicklungen von Lithium, Nickel, Kobalt und Seltenen Erden sind eindeutig. Je nach Szenario, Nachfrage und Technologiepfad könnte der weltweite Bedarf allein für Lithium und Nickel bis zum Jahr 2040 um das Vierzigfache anwachsen2. Es ist nicht allein diese prognostizierte Entwicklung, die Besorgnis erweckt, sondern zudem eine Reihe seit Langem bekannter, aber ungelöster Probleme. So sind die technisch möglichen Recyclingraten für viele dieser kritischen Metalle nach wie vor sehr gering. Für die Industrie stellt sich die Frage, ob der steigende Bedarf mit den verfügbaren weltweiten Minen- und Produktionskapazitäten überhaupt gedeckt werden kann.

Erneuerbare „Freiheitsenergien“ und ihre Abhängigkeit von Rohstoffen

Der Hauptproblemkomplex ist indes weniger technischer und – nach bisherigen Erkenntnissen – auch nicht geologischer Art, sondern liegt in dem Zusammenspiel ökonomischer und politischer Faktoren. So kontrolliert China seit etwa zwei Jahrzehnten beinahe die gesamte Wertschöpfungskette für Seltene Erden. Bei Kobalt stammt ein Großteil der Weltproduktion aus der politisch instabilen und bürgerkriegsgeplagten Demokratischen Republik Kongo. Und der globale Lithium-Markt hat bereits Oligopol-Strukturen ausgebildet: wenige Bergbauunternehmen außerhalb Europas dominieren die Branche.

Ein Großteil dieser Rohstoffe wird zudem fast ausschließlich in China weiterverarbeitet. Die Volksrepublik ist zum globalen Zentrum der Verarbeitung nicht nur kritischer, sondern fast aller mineralischen und metallischen Rohstoffe avanciert, zu dem bislang keine gleichwertigen Alternativen existieren. Die Industriemächte USA und EU, die beide den Sprung zur klimaneutralen Wirtschaft initiiert haben, sind bei der Verarbeitung der dafür notwendigen Rohstoffe und Zwischenprodukte längst abgehängt worden.

Das allein wäre weniger problematisch, wenn es noch große, international agierende deutsche Rohstoff-unternehmen gäbe, die am Markt vertreten wären, um die nationale und europäische Industrie mit diesen Rohstoffen versorgen zu können. Dies ist jedoch schon seit den 1990er Jahren nicht mehr der Fall. Die deutsche Industrie ist heute vollständig auf funktionierende Weltmärkte angewiesen. Seit über einem Jahrzehnt versuchen Berlin und Brüssel, die Importabhängigkeiten der durch die EU-Kommission als kritisch eingestuften Rohstoffe, die jeweils zwischen 80 und 100 Prozent liegen, zu minimieren und die Bezugsquellen zu diversifizieren. Die Bilanz ist bescheiden: Bei der Verkündung des European Green Deal im Jahr 2019 war die EU bereits hochgradig abhängig von ausländischen Rohstofflieferungen; auch fördert sie bislang nicht die eigenen Vorkommen in Europa. Die Kehrseite der angestrebten erneuerbaren „Freiheitsenergien“ (Bundesfinanzminister Christian Lindner) sind somit die benötigten Rohstoffe aus China, Russland und autokratischen Staaten in Afrika und Asien, auf die Deutschland und die EU auch in Zukunft nicht verzichten können.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat mit Blick auf die deutsch-russischen Energiebeziehungen unmittelbar existenzielle Fragen nach gesicherten Lieferoptionen, volkswirtschaftlicher Versorgungs-sicherheit und politischen Erpressbarkeiten aufgeworfen – bei einer vergleichsweise weniger hohen Abhängigkeit als im Fall kritischer Metalle3. Die Rohstoffe sind zwar verschieden, aber im Kern dreht sich alles um Versorgungssicherheit. Dieselben rohstoffstrategischen Fragen wie im Fall von Russland muss sich Deutschland fortan auch bei den Abhängigkeiten von chinesischen Seltenen Erden, kongolesischem Kobalt oder Lithium aus Lateinamerika stellen:

Wie agieren Deutschland und die EU, wenn in Zukunft nicht mehr fossile Energieträger, sondern kritische Metalle im Zentrum von geopolitischen Rohstoffkonflikten stehen? Wie reagieren deutsche Wirtschaft und Politik, falls lateinamerikanische Regierungen ihre Lithium-Vorkommen verstaatlichen und den Rohstoff nicht mehr liefern? Welche Antworten und Optionen haben Berlin und Brüssel, wenn andere Staaten und Unternehmen beginnen, Rohstoffe vom Meeresboden abzubauen oder nach dem Auslaufen des Antarktis-Vertrags zur Mitte dieses Jahrhunderts auch diese Region als potenzielle Lagerstätte betrachten? Fragen dieser Art wurden in Deutschland bis dato kaum diskutiert, geschweige denn strategisch vertieft betrachtet. Die Bundesregierung hat nun Anlass und Chance, das zu ändern – etwa im Zuge der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie.

Deutschlands Rohstoffpolitik: Stiefmütterlich behandelt und unzeitgemäß

Die bisherige deutsche Rohstoffpolitik ist für eine Welt konzipiert worden, in der die geltenden inter-nationalen Handelsregeln durch alle Staaten weitgehend respektiert werden. Der Blick in die einschlägigen Dokumente zur deutschen Rohstoffpolitik zeigt diese Sichtweise und Handlungsimperative; von geopolitischer Rivalität und der neuen Konkurrenz der Mächte ist noch nicht viel zu spüren. So heißt es in der aktuellen Rohstoffstrategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2020, dass der „marktwirtschaftliche Ansatz auf Basis eines freien und fairen Welthandels […] auch weiterhin den ordnungspolitischen Rahmen der deutschen Rohstoffpolitik“4 bilde. Gleichzeitig wird zugestanden, dass aufgrund des sich veränderten internationalen Marktumfelds „dieser marktwirtschaftliche Ansatz, der auf einem freien und fairen Zugang zu Rohstoffen fußt, häufig nicht mehr ausreicht.“5 Bereits im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr von 2016 zählte die Bundesregierung die gesicherte Rohstoffzufuhr zu den strategischen Prioritäten Deutschlands. Die Feststellung, dass Rohstoffsicherheit im größeren außen- und sicher-heitspolitischen Gesamtkontext eine Rolle spielt, war und ist wichtig. Dennoch bleiben die Ausführungen des Weißbuchs zu allgemein. Unklar bleibt, welcher konkrete strategische Handlungsauftrag sich für die Bundesregierung respektive die zuständigen Ressorts ableitet.

Ähnlich vage sind auch die Passagen im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, dem zufolge die Unterstützung der Wirtschaft bei der Rohstoffsicherung bekräftigt wird und der heimische Bergbau erleichtert werden soll. Allerdings wurden solche Aussagen auch wiederholt in den Vorjahren getroffen, ohne dass sich grundsätzlich etwas an den Marktgegebenheiten und der hohen deutschen Rohstoff-abhängigkeit vom Ausland geändert hätte.

Dass sich die prekäre Lage der europäischen Rohstoffversorgung durchaus klar und lageangemessen beschreiben lässt, zeigt die EU-Kommission in einer Mitteilung zur Widerstandsfähigkeit der EU bei kritischen Rohstoffen. Dieser zufolge sei der gesicherte Zugang zu diesen Ressourcen „von strategischer Bedeutung für das Ziel Europas, den Grünen Deal zu verwirklichen.“6 Die Union müsse sich zudem auf künftige Schocks vorbereiten und ihre Lieferketten stärken. Für eine adäquate Vorausschau solle daher „der geopolitische Aspekt […] eine wesentliche Rolle spielen.“7 Während also auf EU-Ebene die Frage der Rohstoffsicherheit nicht mehr ausschließlich als ökonomisches, regulatorisches und technologisches Nischenproblem, sondern als aktuelle geopolitische Herausforderung verstanden wird, ist die deutsche Positionsbestimmung noch stark alten Denk- und Handlungsmustern verhaftet. Ihr rohstoffpolitischer Ansatz, der sich im Kern um multilateral verregelte Wirtschaftsbeziehungen und die friedliche Streit-belegung dreht und dabei sicherheitspolitische Aspekte ausspart, hat immer weniger mit der Realität zu tun. Vielmehr erfordern verschiedene Trends – das globale Mächteringen zwischen den USA und China, strapazierte Lieferketten, die sich abzeichnende Herausbildung von entkoppelten Großwirtschaftsräumen – eine Neuorientierung.

Deutschland sollte sich daher in seiner neuen Nationalen Sicherheitsstrategie klar dazu bekennen, welchen politisch-strategischen Stellenwert das Thema Rohstoffsicherheit in den nächsten Jahr(zehnt)en haben wird und welche Initiativen und Mittel für dieses Politikfeld aufgewendet werden. Nachfolgend werden drei Handlungsfelder benannt, in denen die Bundesregierung hierfür Weichenstellungen vornehmen könnte. Dabei soll es nicht um einen großen strategischen oder politisch-institutionellen Wurf gehen, der zu hohe Kosten und Widerstände produziert und infolgedessen politisch verschleppt werden könnte. Im Zentrum der Überlegungen stehen vielmehr Handlungsfelder und Maßnahmen, die schon mit verhältnismäßig geringem politisch-organisatorischem, regulatorischem und finanziellem Aufwand umgesetzt werden können.

Empfehlung I: Strategische Prioritätensetzung bei rohstoffpolitischen Zielen

In der deutschen Rohstoffpolitik tummeln sich zu viele Akteure und erschweren damit ein strategisches Vorgehen. Das für Rohstoffpolitik verantwortliche Bundeswirtschaftsministerium – neuerdings erweitert um Klimaschutzkompetenzen – muss stets die Perspektiven, Wünsche und Bedenken anderer fachlich beteiligter Bundesministerien berücksichtigen. Dazu gehören etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das entwicklungspolitische Aspekte bei Rohstofffragen berücksichtigt, das Auswärtige Amt, das die internationale Rohstoffdiplomatie mitverantwortet, sowie die beteiligten Ressorts für Klima- und Umweltfragen. Dieser breite ressortübergreifende Politikansatz ist im Grunde richtig. Allerdings darf er nicht dazu führen, dass am Ende keine Hierarchie der politisch-strategischen Ziele und Handlungsfelder existiert. Die Maßnahmen zu heimischem Bergbau, Rohstoff-partnerschaften, Lieferkettengesetz und Kreislaufwirtschaft sowie weitere rangieren derzeit alle auf derselben Ebene, ohne Prioritäten oder Abstufungen. Bislang gewichtet die Bundesregierung in ihrer Rohstoffpolitik alle Handlungsfelder weitgehend gleich. Das Argument hierfür ist, dass es sachlich schwierig und politisch konfliktbehaftet wäre, die Handlungsfelder gegeneinander auszuspielen und eine Prioritätensetzung vorzunehmen.

Die veränderte geopolitische Lage, die wachsenden Rohstoffabhängigkeiten und die begrenzten Mittel und Kapazitäten, über die Deutschland und die EU verfügen, erfordern jedoch eine klare Priorisierung. Es sollten somit diejenigen Ziele und Maßnahmen vorrangig behandelt werden, die zunächst der deutschen und europäischen Rohstoffversorgungslage aus ökonomischer und politischer Sicht am besten dienlich sind, um damit die ambitionierten umwelt- und klimapolitischen Ziele besser erreichen zu können. Denn ohne gesicherte Rohstoffverfügbarkeit fehlt die materielle Basis für diese ambitionierten Ziele.

Konkret hieße das, das Netz bestehender Rohstoffpartnerschaften mit rohstoffreichen Drittstaaten auszubauen und zu erweitern, Bergbau und Weiterverarbeitung in der EU zu ermöglichen und zu fördern sowie vorhandene Rohstoffpartnerschaften mit Leben zu füllen, um langfristig über sichere Bezugsquellen außerhalb Chinas und Russlands zu verfügen. Deutsche Unternehmen sollten bei ihren Rohstoffaktivitäten von der Exploration über die Genehmigung bis zur Beschaffung und Verarbeitung in der EU politisch und finanziell langfristig unterstützt werden. Die bisherige, weitgehend wirkungslose politische Flankierung des Staates reicht nicht mehr aus.

Das übergeordnete strategische Gesamtziel dieser Einzelmaßnahmen muss sein, industrielle europäische Rohstoff-Cluster aufzubauen, die unabhängiger von Lieferanten aus Drittstaaten sind und sprichwörtlich von der Mine bis zum Mercedes die Wertschöpfung größtmöglich regional konzentrieren. Überdies wäre nur in Deutschland und der EU sichergestellt, dass die Rohstoffgewinnung nach höchsten Umwelt-, Klima- und Sozialstandards durchgeführt wird. Im besten Fall könnten damit auf mittel- bis langfristige Sicht die europäische Rohstoffsicherheit erhöht, das Risiko politischer Erpressbarkeit durch China, Russland und andere rohstoffreiche Staaten minimiert und dringende humanitäre Probleme wie etwa Kinderarbeit in kongolesischen Minen sowie die Finanzierung von Konflikten durch illegale Rohstoffförderung reduziert werden. Der wirtschaftspolitische Leitgedanke hierbei richtet sich nicht gegen globale Arbeitsteilung und die Diversifizierung der Bezugsströme. Vielmehr geht es um eine Kombination aus globalem und regionalem Bezug, geographischer Konzentrierung und erhöhten Resilienz-Kapazitäten, die in Summe der EU als globalem Akteur mehr Schlagkraft auf den Rohstoffmärkten verleiht.

Empfehlung II: Neue institutionelle Kompetenzzuschnitte für Rohstoffsicherheitsfragen

Um diese strategische Prioritätensetzung umzusetzen, sind zwei politisch-institutionelle Optionen denkbar. Entweder könnte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zum langfristig federführenden Ministerium für Rohstofffragen aufgewertet werden. Damit verbunden wäre eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie und möglicherweise dem Bundesnachrichtendienst, um Entwicklungen in rohstoffrelevanten Schlüsselländern auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln frühzeitig und dauerhaft intensiv beobachten zu können. Oder die bisherigen Ressortzuständigkeiten würden belassen und zugleich das Amt eines Staatssekretärs für Rohstofffragen geschaffen werden, der als dauerhafte Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft fungiert. Wichtig wäre, dass dieser Amtsträger dann über entsprechende politische und finanzielle Entscheidungsbefugnisse und Ressourcen verfügt, um jenseits der bestehenden Ressortkonkurrenzen handlungsfähig zu sein. Um die entsprechende Handlungs- und Durch-setzungsfähigkeit sicherzustellen, sollte dieser Amtsträger nicht lose ans Bundeskanzleramt angebunden, sondern im Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium angesiedelt sein. Zum einen existiert dort die notwendige fachliche Expertise für diesen Querschnittsaufgabenbereich. Zum anderen wären in den Strukturen des BMWK der personelle Aufwuchs im Fachbereich für Rohstofffragen und die enge politische Verzahnung mit dem Bundeswirtschaftsminister gewährleistet.

Empfehlung III: Vorratslager für bestimmte kritische Rohstoffe

Die deutsche Politik reagierte bislang immer erst nach Krisenereignissen mit der Schaffung von nationalen Vorräten für bestimmte Rohstoffe. Erst nach der verheerenden Ölkrise von 1973 wurden gesetzliche Vorgaben für eine Bevorratung und eine nationale Krisenreserve für Erdöl beschlossen. Und erst nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine und einem drohenden Lieferboykott durch Russland wurde das Gesetz für eine nationale Gasreserve auf den Weg gebracht. Damit dies nicht auch bei den für die Energiewende wesentlichen Metallen passiert, sollte frühzeitig über die Notwendigkeit einer Bevorratung von bestimmten kritischen Rohstoffen nachgedacht werden. Ziel einer solchen Maßnahme ist es, dass die deutsche Industrie zusätzlich zur Deckung über den Weltmarkt die Möglichkeit hat, in Krisenzeiten auf bestimmte Rohstoffe in bestimmten Mengen zugreifen zu können. Dies wären all jene Rohstoffe, deren wirtschaftliche Bedeutung besonders hoch ist, die nicht substituierbar wären und die einem hohen Lieferrisiko ausgesetzt sind.

Die wichtigste Frage hierbei wäre, wer für den Einkauf, die Bevorratung und die Veräußerung in normalen wie in Krisenzeiten verantwortlich ist. Denkbar wären eine spezielle, neu zu schaffende Bundesbehörde (‚Bundesamt für Rohstoffe‘) oder eine Erweiterung der Zuständigkeiten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) um entsprechende exekutive Befugnisse. Da die BGR bereits im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz angesiedelt ist, würde diese damit zu einer handlungsfähigen Bundesbehörde bei dem relevanten Ressort, die fortan nicht mehr nur analytisch und beratend tätig, sondern zu einem aktiven Marktakteur werden würde. Dass solche Institutionen beziehungsweise Hybridmodelle funktionieren können, zeigen die USA, Japan und Südkorea. Dort sind entweder das Militär (USA) oder spezielle staatliche Agenturen (Japan, Südkorea) in enger Absprache mit der Industrie für die Rohstoffbevorratung zuständig und gewährleisten so ein Mindestmaß an Rohstoffverfügbarkeit in Krisenzeiten. Der Leitgedanke hierbei ist nicht, dass der Staat im Vergleich mit den Industriebetrieben der bessere Rohstoffhändler wäre. Vielmehr geht es darum, eine verlässliche Option für Krisen- und Engpasszeiten zu haben, um wirtschaftlich freier und politisch unabhängiger agieren zu können – insbesondere in Zeiten, in denen der Rohstoffverfügbarkeit eine sicherheitspolitische Bedeutung zukommt.

Jakob Kullik ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Internationale Politik der Technischen Universität Chemnitz. Er ist Mitglied im Arbeitskreis „Junge Sicherheitspolitiker“ der BAKS. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

[1] International Energy Agency (2021): The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transitions, S. 28.
[2] International Energy Agency (2021), S. 98.
[3] Zu Beginn des Jahres betrugen die deutschen Importe aus Russland für Gas 55 Prozent, für Öl 35 Prozent und für Steinkohle 50 Prozent. Aktuell liegen sie für Gas bei 35 Prozent, für Öl bei 12 Prozent und für Steinkohle bei 8 Prozent. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Zweiter Fortschrittsbericht Energiesicherheit, S. 4-5.
[4] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen, S. 3.
[5] Ebd., S. 19.
[6] Europäische Kommission (2020): Widerstandsfähigkeit der EU bei kritischen Rohstoffen: Einen Pfad hin zu größerer Sicherheit und Nachhaltigkeit abstecken, S. 1.
[7] Ebd., S. 5.

 

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