Arbeitspapiere

Gegenseitiges Vertrauen durch gemeinsame Exportkontrolle: Eine Erwiderung auf Anne-Marie Descôtes

10/2019
Die Rüstungsexportpolitik ist derzeit eines der kontroversesten Themen zwischen Deutschland und Frankreich. Wir Grüne sehen in einer Kooperation mit Frankreich und anderen europäischen Partnern durchaus Chancen für Synergien und damit verbundenen Einspareffekten. Zukünftige europäische Rüstungsprojekte von vornherein als Exportschlager darzustellen, halten wir hingegen für das falsche Ziel. Wir argumentieren, dass es aus sicherheitspolitischen Erwägungen geboten ist, bei der Wahl potentieller Käufer genauer hinzuschauen. Mit neuen Abhängigkeiten von unsicheren, diktatorischen Regimen konterkarieren wir die Sinnhaftigkeit einer europäischen Sicherheitspolitik. Daher braucht es Vertrauen durch gemeinsame Kontrollen und Regeln.

Rüstungsexporte als Frage der europäischen Souveränität

Die Rüstungsexportpolitik ist derzeit eines der kontroversesten Themen zwischen Deutschland und Frankreich. Unstreitig geht es bei dieser Frage um ein zentrales außenpolitisches Thema und die Frage der europäischen Souveränität. Niemand sieht darin vor allem ein innenpolitisches Thema – auch nicht in Deutschland. Eine solche Behauptung ist allenfalls als Versuch zu werten, die sachlichen Argumente der anderen Seite zu delegitimieren. Vor wenigen Wochen veröffentliche die französische Botschafterin in Berlin, Anne-Marie Descôtes, an dieser Stelle einen Beitrag zum zukünftigen Umgang mit Rüstungsexporten. Wir möchten diesen Beitrag aufgreifen und auf einige Aspekte eingehen, die uns in der Diskussion zu kurz kommen oder von uns anders gesehen werden. Auf diese Weise möchten wir die notwendige Diskussion um zukünftige europäische Rüstungsexporte anregen und weiterführen. Zunächst einmal müssen wir der französischen Botschafterin an einigen Punkten ausdrücklich Recht geben.

Das deutsche Rüstungsexportkontrollsystem ist nicht restriktiv, sondern unberechenbar

Die Bundesregierung weigert sich seit Jahren, ihre Exportentscheidungen außen- und sicherheitspolitisch zu begründen. Eine klare Linie ist nicht erkennbar. Das in den Politischen Grundsätzen für den Export von Rüstungsgütern festgeschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis für Exporte in Drittstaaten ist in der Praxis längst in sein Gegenteil verkehrt worden. Drittstaaten gehören nach wie vor zu den größten Empfängern deutscher Rüstungsexporte, aber niemand weiß warum, und auch die Unternehmen selbst können die Genehmigungspraxis der Regierung nicht vorhersehen. Deshalb fordern wir Grüne seit Jahren verbindliche gesetzliche Kriterien und eine außen- und sicherheitspolitische Begründung solcher Genehmigungen. Mit einem solchen Rüstungsexportkontrollgesetz wäre eine rechtssichere, begründet restriktive und für Unternehmen vorhersehbare Genehmigungspraxis erstmals wirklich umsetzbar. Die Botschafterin verweist außerdem zu Recht darauf, dass das französische Kontrollsystem nicht immer exportfreundlicher ist als das deutsche. Im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung achtet Frankreich besser darauf, dass seine Waffenausfuhrkontrollinstrumente durch ausländische Niederlassungen französischer Unternehmen nicht umgangen werden.

Seit über zwei Jahren weisen wir die Bundesregierung darauf hin, dass Firmen wie Rheinmetall die mangelnde Genehmigungspflicht für ausländische Investitionen im Rüstungsbereich und bei der technischen Unterstützung ausnutzen, um das deutsche Außenwirtschaftsrecht zu umgehen. Trotz konkreter Vorschläge zur Schließung dieser Regelungslücke verweigert die Bundesregierung hier jedes Tätigwerden und sorgt dafür, dass der Jemenkrieg weiter mit Munition von Rheinmetall befeuert wird. Um das zu verhindern, sollte Deutschland eine Genehmigungspflicht für Auslandsinvestitionen einführen, wie sie in Frankreich bereits besteht.

Strategische Relevanz versus Stückkosten

Einen zentralen Dissens zu der Position der französischen Botschafterin haben wir allerdings, wenn es um die strategische Ausrichtung einer bilateralen und europäischen Zusammenarbeit im Rüstungsbereich geht. Wenn es uns wirklich um europäische Autonomie und Souveränität geht, dann können nicht die Stückkosten zukünftiger europäischer Gemeinschaftsprojekte mit strategischer Relevanz wie ein gemeinsamer Kampfpanzer, ein Kampfflugzeug oder eine bewaffnete Drohne im Vordergrund stehen. Kosteneinsparungen sollen nicht etwa durch höhere Exportzahlen, sondern durch die Zusammenlegung der Systeme erfolgen. Ziel der Gemeinschaftsprojekte ist es doch gerade, die Effizienz nicht länger durch Dopplungen (178 verschiedene Waffensysteme), Fragmentierung und industrielle Überkapazitäten zu belasten. Laut Europäischer Kommission verschwendet das aktuelle System 25 bis 100 Milliarden Euro von jährlich etwa 200 Milliarden Euro an addierten Wehrausgaben der 28 EU-Mitgliedstaaten. Wir trauen der europäischen Industrie durchaus zu, einen einheitlichen Panzer oder ein Kampfflugzeug für den europäischen Markt und die eigenen Bündnispartner zu produzieren.

Ein sicherheitspolitischer Mehrwert ergibt sich aber vor allem dann, wenn dieses eigene Know-how nicht gleichzeitig auch an Drittstaaten veräußert wird, die völlig andere strategische Interessen verfolgen und nicht den europäischen Sicherheitsinteressen verpflichtet sind. Welche zahlungskräftigen Drittstaaten sollen denn überhaupt als Abnehmer für derartige Systeme in Betracht kommen? Das dürften neben Algerien in erster Linie die arabischen Golfstaaten sein. Es macht aber offensichtlich keinen Sinn, die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten reduzieren zu wollen, indem man die Abhängigkeit von Saudi-Arabien erhöht. Europas Sicherheit und ihre Finanzierung darf nicht von Exporten abhängen, sondern muss auf einem möglichst bedarfsorientierten System basieren.

Kontrollen als andere Seite der gleichen Medaille

Für uns bedeutet europäische Souveränität im Rüstungsbereich auch mehr europäische Souveränität beim Thema Waffenexportkontrolle. Für uns geht beides logischerweise zusammen, damit ein kohärentes System entsteht, das der europäischen Sicherheit dient. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Und mehr noch: Ohne einen von allen Mitgliedstaaten akzeptierten und respektierten Ansatz bei Waffenexporten wird der Versuch sicherlich scheitern, die europäische Rüstungskooperation vernünftig weiterzuentwickeln.

Wir müssen aktuell feststellen, dass ein kohärentes System auf europäischer Ebene, welches Rüstungszusammenarbeit und Exportkontrolle umfasst, aktiv verhindert wird. Durch das rüstungsindustrielle Entwicklungsprogramm (EDIDP) und den Verteidigungsfonds (EDF) interveniert die Europäische Union seit Anfang 2019 zum ersten Mal massiv mit EU-Subventionen in den nationalen Rüstungssektoren. Aufgrund französischer Intervention in letzter Minute wurde im Falle EDIDP ein Kompromiss zwischen Rat, Kommission und Parlament wieder aufgelöst. Dieser hatte vorgesehen, dass die Kommission das Recht bekommt, bei Exporten von EU-geförderten Rüstungstechnologie an Drittstaaten Kontrolle auszuüben und im Extremfall ein Veto einzulegen. Auch im Kontext der Verhandlungen zum EDF wurde aufgrund straken Drucks seitens des Rates der Kommissionsvorschlag verworfen, den Export von Technologien zu kontrollieren, die in EU-geförderten Gemeinschaftsprojekten generiert werden. Ursprünglich hatte die Ratsposition diese zukünftige Rolle für die Kommission nicht in Frage gestellt. Aber nun ist womöglich bis Ende 2027 die Chance vertan, eine im Gemeinschaftsrecht verankerte Exportkontrolle durch die Kommission einzuführen.

Stärkung des Rechts gelingt nur bei Einhaltung desselben

Diese Einseitigkeit zugunsten unkontrollierter Exporte ist für uns nicht nur aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein Risiko, sondern auch aus rechtlichen. Unter Leitung der französischen EU-Ratspräsidentschaft wurde 2008 der rechtlich bindende Gemeinsame Standpunkt der EU (2008/944/GASP) zu Waffenexporten entwickelt und angenommen. Etwas später wurde dieser Text auch dafür genutzt, um den globalen Vertrag zum Waffenhandel (ATT) zu schreiben. Auch der ATT ist für die Länder bindend, die ihn wie Frankreich unterschrieben und ratifiziert haben. Wir wollen ein starkes Europa der Werte und des Rechts.

Klar ist: Wenn europäische Regierungen diese bindenden europäischen Regeln respektieren würden, könnten sie keine Waffenexporte mehr an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Staaten der Jemen-Kriegskoalition genehmigen. Das scheint den meisten auch bewusst zu sein – sonst würde von politisch verantwortlicher Seite nicht immer wieder betont, dass die gelieferten Waffen nicht im Jemen eingesetzt würden oder wenn, dann nur für defensive Zwecke. Diese Argumentation, die auch gern von französischen Ministern vorgebracht wird, wurde von jüngsten Enthüllungen in den Medien (sowohl in Deutschland als auch in Frankreich) zunichtegemacht. Es konnte aufgezeigt werden, dass europäische und insbesondere auch französische Waffen einen entscheidenden Anteil am Einsatz des saudischen Militärs im Jemen haben – und zwar nicht defensiv.

Dass das Schicksal der Menschen, die unter Waffengewalt leiden, so wenig Eingang findet in Diskussionen um „effiziente Rüstungskooperation“ sollte die Friedensmacht Europa eigentlich beschämen. Denn Kern all dieser bindenden Verpflichtungen zu Waffenexporten ist es, schwere Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, also Kriegsverbrechen zu verhindern. Diese Verstöße werden in der Regel mit Waffen begangen. Jemen ist das aktuellste Bespiel dafür. Und ausgerechnet der vermeintliche Stabilitätsanker Saudi-Arabien ist Anführer einer Kriegskoalition, die diese Gräueltaten begeht. Dieses Beispiel spricht Bände darüber, dass die Auswahl der Drittstaaten bei der Frage von Rüstungsexporten durchaus eine wichtige Rolle spielt. Hier ist Kontrolle nötig. Daher wäre es verheerend, wenn der Eindruck entstünde, dass die rechtsverbindlichen EU-Regeln für Waffenexporte etwas wären, das verhandelbar ist. Hier geht es nicht um Pragmatismus, sondern um Anwendung von Recht und damit um die EU als Rechtsordnung. Und der von Deutschland verhängte, wenn auch zeitlich und rechtlich unbestimmte Exportstopp an Saudi-Arabien ist genau dies: eine nationale Politik im Einklang mit EU-Recht. Dazu hat auch das Europaparlament die Mitgliedstaaten mehrfach aufgerufen, und außer Großbritannien und Frankreich haben auch andere EU-Mitgliedstaaten darauf reagiert.

Wenn es Vertrauen bedarf, dann für die gegenseitige Achtung bestehender Regeln. Wir wollen Europa auch im Rüstungsbereich mit Hilfe des Rechts weiter aufbauen. Was es unserer Meinung nach dafür dringend braucht, sind nicht die Subventionen des Verteidigungsfonds, sondern ein umfassender und regulativer Ansatz, der von der Kommission bereits 2009 mit den beiden Verteidigungsgüterrichtlinien im Ansatz gestartet wurde. Um eine starke gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, brauchen wir nicht nur die Einhaltung von spezifischen EU-Regeln bei Ausschreibungen im Rüstungssektor, sondern auch rechtlich bindende Regeln für Standards und technische Normen. Zusätzlich dazu sollten Instrumente wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) dafür genutzt werden, um Teile nationaler Wehretats zusammen zu legen. Es geht nicht nur um gemeinsam Forschung und Entwicklung, sondern auch Beschaffung, Instandhaltung, Training und Versorgungssicherheit. Wir sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, das ganze Potential Europas für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu mobilisieren, um einen umfassenden Ansatz auf die Beine zu stellen, der industrielle sowie mitgliedstaatliche Zusammenarbeit mit einer restriktiven Waffenexportkontrolle auf EU-Ebene vereint.
 

Katja Keul ist Mitglied des Bundestages und abrüstungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Reinhard Bütikofer ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei.

Arbeitspapier Thema: 
EU
Rüstungsexport
Rüstungskontrolle
Verteidigungsindustrie
Wirtschaftspolitik
Region: 
Europa
Deutschland
Frankreich
Schlagworte: 
Verteidigungsindustrie
Rüstungsexport
deutsch-französische Beziehungen
EU