Am 9. Januar 2012 startete das SP12 der BAKS. Im Sinne des Begriffes der ‚Vernetzten Sicherheit‘ wurden hierfür 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Bereichen der obersten Bundes- und Landesbehörden, der zivilen Notfall- und Katastrophenvorsorge, der evangelischen Kirche, der Wirtschaft sowie Vertreter der Partnernationen Ungarn, Polen, Frankreich und dem Vereinigten Königreich ausgewählt. Im folgenden lesen Sie eine Zusammenfassung der Erkenntnisse des Modul 1, die von der Arbeitsgruppe "Asien" des SP12 verfasst wurde.
Die Seminargruppe mit MdEP Gahler im Europäischen Parlament in Brüssel
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Einführung
Im gemeinsamen kritischen Dialog mit Entscheidungsträgern, Wissenschaftlern und Vertretern aus Politik, Gesellschaft, Militär und Wirtschaft werden in den kommenden sechs Monaten die vielfältigen Herausforderungen der nationalen und internationalen Sicherheitspolitik analysiert. Neben der Analyse steht die aktive Vernetzung sicherheitspolitisch relevanter Akteure im Mittelpunkt des Seminars. Ferner ist es das Ziel des Seminars, in einer übergreifenden Methodik Thesen und Handlungsempfehlungen für die zukünftige Gestaltung der Sicherheitsarchitektur zu generieren und dem Bundeskanzleramt zum Abschluss des Seminars vorzustellen.
Der Seminarplan unterteilt sich in acht Module, die in sich geschlossen die unterschiedlichen Aspekte der heutigen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik betrachten.
Die Akademie bietet mit ihren modern ausgestatteten Tagungs- und Gruppenräumen in Berlin-Niederschönhausen, ihrer hochkarätigen akademischen Leitung und dem engagierten technischen Unterstützungsteam ein hervorragendes Lern- und Dialogumfeld, an einem zudem sehr geschichtsträchtigen Ort.
Methodik
Ziel der Akademie ist es, im ersten Modul einen gemeinsamen Kenntnisstand über die Grundlagen und Rahmenbedingungen der Deutschen Sicherheitspolitik, sowie ihre Einbettung in den internationalen Kontext zu vermitteln. Dies wurde erreicht durch Vorträge mit anschließenden kritischen Dialogen und eigendidaktischen Recherchen. Darüber hinaus fanden Exkursionen und Studienreisen zu ausgewählten Bundesressorts, zu deutschen und internationalen Vertretungen bei der Europäischen Union und zum Hauptquartier der NATO in Brüssel statt. Die Interaktionen mit den Entscheidungsträgern und Studien wurden durch Dialoge mit ausländischen Journalisten und renommierten Wissenschaftlern, sowie durch gruppeninterne Beiträge ergänzt.
Grundlagen
Artikel 1 des Grundgesetzes verpflichtet alle staatliche Gewalt zum Schutz der Menschenwürde. Somit bietet es den Ausgangspunkt für einen umfassenden Sicherheitsbegriff, der die innere und äußere Sicherheit umfasst.
Als nationale Grundlagendokumente stehen derzeit u.a. zur Verfügung: das Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr (2006) als einziges ressortübergreifendes Dachdokument zur Sicherheitspolitik, die Verteidigungs-politischen Richtlinien (2011) des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg) und der Aktionsplan Krisenprävention (2004) des Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Im internationalen Kontext sind die 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie „A Secure Europe in a better World“, der Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie 2008 und die Folgerungen des Vertrages von Lissabon 2009 für die gemeinsame „European Security and Defense Policy“ (ESDP) von Bedeutung. Letztere wurde begleitet durch die Aufstellung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (European External Action Service – EEAS) im Januar 2011.
Im Rahmen der NATO sind von Bedeutung: Die strategischen Beschlüsse von Kehl und Lissabon, das aktuelle Strategische Konzept der NATO (2010). Der im Mai 2012 bevorstehende NATO-Gipfel in Chicago wirft bereits heute seine Schatten voraus; weitere sicherheitspolitisch relevante Beschlüsse werden erörtert.
Vernetzte Sicherheit erfordert eine ganzheitliche Sicherheitspolitik unter Berücksichtigung der äußeren und inneren Dimension. Die Einsätze im Kosovo und in Afghanistan haben gezeigt, dass ein "whole of government"-Ansatz zu kurz greift und mittlerweile ein "whole of society"-Ansatz erforderlich ist, um Sicherheitspolitik nachhaltig zu gestalten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Vernetzten Sicherheit "3.0".
Bisherige Erkenntnisse
Staatsminister Eckart von Klaeden zu Besuch beim SP 12.
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Bundesrepublik Deutschland
Der Übergang von symmetrischen zu asymmetrischen Bedrohungen ist längst vollzogen und wird auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Herausforderungen wie terroristische Angriffe, Klimawandel, demographische Altersverschiebungen, Finanz- und Wirtschaftskrisen, Cyberattacken, der Arabische Frühling und noch unbekannte Entwicklungen, erfordern ein Denken und Handeln in erweiterten Strukturen.
Das Zusammenwirken aller relevanten Akteure ist hierzu unumgänglich. Dies umfasst staatliche Institutionen, die Wirtschaft und viele gesellschaftliche Bereiche, die vernetzt in der Bedrohungsanalyse, in der Prävention sowie in der Bewältigung von Risiken und Gefahren agieren. Die althergebrachte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit hat wenig Bestand und wird neu definiert.
Dennoch scheint es, als ob das jeweilige Eigenverständnis der Akteure und die verfassungsrechtlich festgelegte Ressorthoheit die Vernetzung limitieren. Darüber hinaus ist es teilweise unklar, welche Akteure zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form einzubinden sind. Dies verstärkt sich mit Blick auf internationale Bündnisse und deren Beitragsverpflichtungen.
Die deutsche Sicherheitspolitik ist wertegeleitet und bekennt sich zur aktiven Mitgestaltung und Übernahme von Verantwortung in inter- und supranationalen Organisationen. Vor dem Hintergrund notwendiger Handlungseffizienz und eingeschränkter Ressourcen werden die strategischen Überlegungen zunehmend von der Bereitstellung und gemeinsamen Nutzung von Fähigkeiten (Pooling & Sharing) bestimmt. Die Erarbeitung einer neuen deutschen Sicherheitsstrategie, z.B. in Form eines Weißbuches wird perspektivisch und mit dem Ziel eines ressortübergreifenden Konsenses angestrebt.
Außenwahrnehmung
Aufgrund ihrer Größe und geographischen Lage in Zentraleuropa, ihrer starken Wirtschaft und ihrer militärischen Fähigkeiten, aber auch wegen ihrer Geschichte nimmt die Bundesrepublik Deutschland in den Bündnissen eine besondere Rolle wahr. Diese impliziert zunehmende Erwartungen, die die Bundesrepublik vor differenzierte Herausforderungen stellt.
Der hohe finanzielle Beitrag, den Deutschland in die Bündnisse einbringt wird von Partnern anerkannt, der militärische Beitrag Deutschlands wird jedoch unterschiedlich bewertet. Als führende Industrienation wird von Deutschland - neben einer signifikanten Truppenstärke - die Bereitstellung von hochwertiger Technologie für NATO-/und EU – Missionen erwartet. Art, Inhalt und Umfang des deutschen Engagements haben einen bedeutsamen Einfluss auf andere Bündnispartner und deren Bereitschaft zum militärischen Engagement bei Großoperationen.
Europa
Gegenwärtig stellen die Eurokrise und zum Zeitpunkt der Brüssel - Exkursion des Seminars die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran die dominanten Themen dar. Anstehende Wahlen in Frankreich und den USA werfen ebenfalls ihre Schatten voraus.
Die Europäische Union verspricht sich durch die Schaffung des Auswärtigen Dienstes eine gemeinsame Stimme von und für die Europäische Union. Die amtierende Hohe Repräsentantin, Catherine Ashton, ist gleichzeitig die stellvertretende Kommissionspräsidentin. Der Dienst umfasst ca. 3.600 Mitarbeiter (incl. 200 Soldaten des EU-Militärstabes) und befindet sich noch in der Aufbauphase.
Eine Erwartung der Mitgliedstaaten an den Auswärtigen Dienst ist die Ausübung der intellektuellen Führungsrolle zu europäischen sicherheitspolitischen Themen. Eine Überarbeitung der vorhandenen Sicherheitsstrategie wird momentan jedoch nicht verfolgt.
Die laufenden acht internationalen Feldmissionen der EU dienen vor allem der Entwicklung, dem Aufbau und Unterstützung der Zivilgesellschaften.
Vorhandene europäische militärische Einsatzfähigkeiten in Form von Battlegroups wurden bisher noch nicht abgerufen. Der Aufbau eigener Operationsführungszentren wird kritisch - vor allem von den USA und GBR - bewertet. Mögliche Einsätze kamen in der Vergangenheit aufgrund von fehlenden gemeinsamen politischen Handlungswillen nicht zum Tragen. Darüber hinaus zeigt sich, dass die gemeinsame Nutzung von kritischen Fähigkeiten (Pooling & Sharing) sehr eingeschränkt erfolgt. Die Europäische Union wird deshalb derzeitig als wenig starkes Sicherheitsbündnis, bezogen auf den politischen Willen militärische Fähigkeiten einzusetzen, wahrgenommen.
Frankreich verfolgt die Vision eines starken Europas und damit einhergehend auch die geostrategische Ausrichtung auf Länder in der Sub-Sahelzone, während das Vereinigte Königreich weiterhin die Bedeutung der NATO als Sicherheitsbündnis hervorhebt.
Darüber hinaus – besonders bei nicht vorhandenem gemeinsamen politischen Handlungswillen der EU – behalten sich Frankreich und das Vereinigte Königreich die Option offen, bilaterale Operationen auf Basis völkerrechtlicher Grundlage durchzuführen.
Besuch des Ehrenmal für die Gefallenen der Bundeswehr
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
NATO
Positionen in der NATO vertreten. Ein Novum erlebte die Allianz im vergangenen Jahr durch die Führungsrolle Frankreichs während der NATO Offensive gegen das libysche Regime 2011 und der Enthaltung Deutschlands im UN Sicherheitsrat.
2011 kündigte Präsident Obama eine stärkere strategische Ausrichtung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum an, wodurch gleichzeitig eine stärkere Verantwortungsübernahme durch die Europäer und somit vor allem durch Deutschland für Europa und die angrenzenden Regionen erwartet wird.
Eine besondere Herausforderung bildet das Verhältnis der NATO zu Russland. Dieses wird belastet durch die begonnene Implementierung des Raketenabwehrsystems und die avisierte weitere Neuaufnahme von Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.
Die NATO-Strategie von Kehl 2010 stellt den „Comprehensive Approach“, das Dreieck aus Diplomatie, Entwicklung und Verteidigung, in den Kern aller Überlegungen. Neben Aufgaben z.B. ‚Cyber Defense‘, ‚Counter Terrorism‘, Energiesicherheit, aber auch die Koordination von Einsatzkräften im Katastrophenschutz dominieren vor allem die verteidigungsrelevanten Fähigkeiten.
Statement
Die Expertendialoge und insbesondere die Reise nach Brüssel haben gezeigt: Überlegungen zur vernetzten Sicherheit sind bei allen Institutionen im Gange. Die Wertigkeit und Umsetzungsmöglichkeiten werden unterschiedlich eingeschätzt und gelebt. Ein gemeinsames Verständnis ist bislang noch nicht erreicht.
Autoren: Arbeitsgruppe "Asien" des Seminars für Sicherheitspolitik 2012