Am 4. Januar 2011 begannen 31 ausgewählte Führungskräfte aus Bundes- und Länderressorts, sowie aus den Bereichen Wissenschaft und Gesellschaft und dem internationalen Bereich, das sechsmonatige Seminar für Sicherheitspolitik 2011 (SP11).
Ronald Pofalla, Chef des Bundeskanzleramts, im Gespräch mit den Seminarteilnehmern
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Das SP11 ist in neun aufeinander aufbauende Ausbildungsabschnitte strukturiert und hat sich im Januar mit sicherheitspolitischen Grundlagen und Rahmenbedingungen befasst. Ziel des SP11 ist die Vermittlung eines umfassenden, vernetzten Sicherheitsbegriffes, was die Betrachtung der Themenstellung auf strategischer Ebene impliziert. Hauptsächlicher Lernort war Berlin mit den Seminarräumlichkeiten der BAKS in Niederschönhausen, ergänzt durch eine mehrtägige Fachexkursion nach BRÜSSEL zu EU und NATO. Vorträge, Diskussionen und Arbeitsgruppensitzungen wurden komplettiert durch Spitzen- und Hintergrundgespräche mit Bundesminister Ronald Pofalla, MdB, Chef des Bundeskanzleramts, dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, sowie Dialogen mit Politikern wie Cem Özdemir.
Der nachstehende Beitrag reflektiert die sicherheitspolitischen Erkenntnisse aus der Innensicht einer Gruppe von acht Seminarteilnehmern und –teilnehmerinnen des SP11.
Grundlagen und Rahmenbedingungen deutscher und internationaler Sicherheitspolitik
Sicherheit ist das beherrschende Stichwort in der multipolaren Welt, das im letzten Jahrzehnt einen tiefgreifenden Wandel erfahren hat. Der Sicherheitsbegriff des 21. Jahrhunderts beinhaltet mehr als ausschließlich mit militärischen Mitteln herzustellen ist. Er hat sich entwickelt hin zu einem umfassenden Begriff, der global ausgerichtet ist, und den internationalen Terrorismus, soziale Unruhen, Angriffe auf Infrastruktur und Wirtschaft, Cyber War und Pandemien einschließt. Diese modifizierte und ihrem Wesen nach diffuse Bedrohungssituation wird von den jeweiligen Staaten, Bevölkerungen und Organisationen unterschiedlich perzipiert. Sie erfordert daher Abstimmung und ressortübergreifende Vernetzung sowie die Einbeziehung staatlicher und anderer Akteure (horizontal/vertikal – europäisch/transatlantisch – international/national – lokal/regional – staatlich/nicht staatlich).
Generalinspekteur Volker Wieker im Gespräch mit den Seminarteilnehmern
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Umstritten ist bisher die Strategie, die den Sicherheitsinteressen Deutschlands dient. Einigkeit besteht darüber, dass diese Strategie große Komplexität aufweisen muss und globaler Perspektive und internationaler Abstimmung bedarf. Deutschland ist gefordert, seine Interessen in einer nationalen Sicherheitsstrategie auf der Grundlage seines Wertekanons (Grundgesetz, internationale Verträge) zu definieren.
Voraussetzung für eine Verständigung über den neuen Sicherheitsbegriff ist die Kenntnis der wichtigsten Sachfragen, der unterschiedlichen Bedrohungsperzeptionen und Interessen. Deshalb war das erste Modul der Vermittlung von Grundeinsichten zu politisch-militärischen Aspekten von Sicherheit und der Begegnung mit wichtigen Repräsentanten gewidmet. Bei einer Studienreise nach Brüssel konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Vertretern der EU, der NATO und Deutschlands in Gespräch und Diskussion eintreten.
Politische und rechtliche Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik
Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik sind das Grundgesetz und die internationalen Verträge, die Deutschland unterzeichnet hat, sowie die politischen und ökonomischen Institutionen und Organisationen, in die das Land eingebunden ist. Sicherheit als Voraussetzung des friedlichen Zusammenlebens der Völker bedarf einer Vielzahl von Mitteln und insbesondere präventiver Maßnahmen. Die Existenz von „failed states“ macht dies offenkundig. Aber auch neue, international tätige Akteure (Terrorismus, Organisierte Kriminalität), die Entterritorialisierung der Kriegsführung, unterschiedliche Bedrohungsperzeptionen, neue Märkte, ökonomische Möglichkeiten und veränderte mentale Dispositionen der Bevölkerungen nötigen der deutschen Politik die Verständigung über die mit der nationalen Sicherheitspolitik global zu verfolgenden Interessen auf.
Rahmenbedingungen deutscher und internationaler Sicherheitspolitik
Sicherheitspolitik hat die Pflicht, die physische und psychische Vulnerabilität der modernen Gesellschaft zu minimieren. Verletzbar sind demokratische, postheroische Gesellschaften und offene Marktwirtschaften nicht nur durch Terrorismus, „cyber war“ oder Pandemien. Auch durch symbolische Aktionen, die in Fernsehbildern und im Internet vervielfacht werden, wird die Kollektivpsyche beeinflusst. Die systematische Erzeugung von Angst durch asymmetrisch agierende (Kriegs-)Parteien, Entmilitarisierung der Kriegsführung sowie Entstaatlichung der Akteure fordert die Politik zu neuer Choreographie heraus.
Deutschland hat durch die Teilnahme an internationalen Missionen und Einsätzen mit einer neuen Politik begonnen und die Nachkriegszeit beendet. Es fehlt aber bisher eine strategische Diskussion über die drei großen Herausforderungen der Gegenwart: Internationaler Terrorismus, Entwicklung der Dritten Welt und (Wieder-)Aufstieg Chinas. Möglicherweise sind die chinesischen Investitionen in mehreren Staaten Afrikas für die weitere Entwicklung dieser Staaten bedeutsamer als Entwicklungs- und humanitäre Hilfe oder der Einsatz für „good governance“. Gute Entwicklungsperspektiven werden gegenwärtig vor allem ressourcenarmen Staaten bescheinigt, denn diese müssen vorrangig in Bildung und Infrastruktur investieren.
Die Positionierung von Sicherheitsthemen im öffentlichen Diskurs ist schwieriger als die von ökonomischen Themen. Die Debatte konzentriert sich auf Wirtschaft, Rohstoffsicherheit, Welthandel, Piraterie, Klimawandel, Demographie, Mega-Cities und Migration. Weiterhin braucht der Sicherheitsdiskurs Sensibilität für die sogenannten „unknown unknowns“. Erfolgreiche, kohärente und nachhaltige Gefahrenabwehr ist nur durch intensive nationale und internationale Kooperation aller Akteure zu erreichen.
Cem Özdemir, Bundsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, im Gespräch mit den Seminarteilnehmern
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Sicherheitsdiskurs im europäischen Kontext
Sicherheit wird zunehmend zu einem Thema der ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft gegründeten Europäischen Union (EU). Hierzu hat sich die EU auf eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) verständigt sowie Instrumente für zivile, aber erforderlichenfalls auch militärische Kriseninterventionen geschaffen. Noch im Aufbau befindet sich ein Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD), der die gemeinsame Außenpolitik der EU fördern soll.
Die gegenwärtigen Ansätze für eine gemeinsame Militärpolitik sollen u.a. zur Entlastung nationaler Haushalte militärische Fähigkeiten bündeln. In diesem Prozess ist eine Entscheidung darüber zu treffen, welche militärischen Fähigkeiten zukünftig national bereitgestellt und welche im Rahmen von „sharing“ und „pooling“ gewährleistet werden sollen.
Sicherheitsdiskurs im NATO-Kontext
Anders als in der EU ist die Ausgangslage in der während des Kalten Krieges gegründeten NATO: Hier haben sich europäische und transatlantische Staaten zusammengeschlossen, um militärische Bedrohungen mit militärischen Mitteln abzuwehren. Die Erweiterung des Bündnisses durch die Aufnahme neuer Mitglieder nach dem Ende des Kalten Krieges und unterschiedliche Bedrohungsperzeptionen haben in der jüngeren Vergangenheit zu Spannungen („coalition of willing“) geführt.
Die neue NATO-Strategie 2010 zeigt, dass die Organisation begonnen hat, sich von einer Verteidigungs- und Abschreckungsagentur zu einer umfassenden Sicherheitsagentur zu entwickeln. Ein umfassender Ansatz („comprehensive approach“), der neben militärischen Komponenten auch zivile Fähigkeiten einschließt, steht im Mittelpunkt.
Das wesentliche Ergebnis aus dem Modul 1 kann mit folgender Aussage zusammengefasst werden:
„Umfassende Sicherheit bedarf der strategisch vernetzten Zusammenarbeit aller verantwortlichen Akteure.“
Autor: Arbeitsgruppe "Asien" des Seminar für Sicherheitspoltik