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Wettrüsten in Asien? Die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte und die Reaktionen regionaler Mächte

Montag, 20. Juni 2011

Veranstaltet wurden die Trierer China-Gespräche 2011 von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der Juniorprofessur für Politikwissenschaft/Internationale Beziehungen der Universität Trier. Nachdem die Kooperationspartner bereits 2009 (damals allerdings ohne die KAS) Wissenschaftler und Studenten an die Universität Trier eingeladen hatten, um den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg des Reiches der Mitte zu diskutieren, fanden die zweiten Trierer China-Gespräche dieses Mal in Berlin statt. Über 50 Teilnehmer fanden sich dazu in den Räumlichkeiten der BAKS ein. Innerhalb von fünf Panels, die auf jeweils einen Teilaspekt der Fragestellung abzielten, wurden zunächst anhand eines Vortrags Impulse gesetzt. Dem folgten unter der Moderation von Shi Ming (Journalist der Deutschen Welle) und Dr. Stefan Friedrich (Teamleiter Asien und Pazifik der KAS) rege Diskussionen im Plenum.

Ansicht eines Versammlungsraumes mit Stuhlreihen und Zuhörern

Blick in den Saal Rosenburg auf das Teilnehmerfeld der 2. Trierer China-Gespräche
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Nach den Begrüßungsworten des Präsidenten der BAKS, Generalleutnant a.D. Kersten Lahl, und Dr. Stefan Friedrich (KAS) führte Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener in die Thematik der Konferenz ein. Es skizzierte zwei in Asien parallel existierende Welten: Neben einer von der Globalisierung beeinflussten Welt des Handels existiere auch eine von Rüstungsprozessen bestimmte Welt des Sicherheitsdilemmas. Daraus ergebe sich das Paradoxon, dass China zwar ein eminent wichtiger Handelspartner der anderen regionalen Mächte sei, deren Misstrauen aber dennoch nicht abnehme. Die verstärkten Handelsbeziehungen schafften laut Wagener zwar Interdependenzen und Wirtschaftswachstum, hätten jedoch auch sicherheitspolitische Konsequenzen: Erstens bewirke ein größeres Bruttoinlandsprodukt mehr Steuereinnahmen, was die Aufstockung des Verteidigungsetats erlaube; die höhere Nachfrage nach Rohstoffen und Energieträgern könne bei Knappheit, zweitens, Konflikte auslösen, was die Akteure dazu bewege, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen (beispielsweise in Form von Aufrüstung der Seestreitkräfte zum Schutz der Seewege); drittens bestärke das Wirtschaftswachstum einzelne Staaten in ihrem Statusstreben und Wunsch, ihrer Position als Großmacht mithilfe von militärischen Prestigeobjekten wie Flugzeugträgern Ausdruck zu verleihen; schließlich strebten die wirtschaftlich erstarkten Mächte, viertens, danach, den internationalen Ordnungsrahmen mitzubestimmen. Ergebnis sei ein „Wettrüsten neuen Typs“, das man in Asien beobachten könne: Die Großmächte vertieften ihre wirtschaftlichen Beziehungen untereinander. Die dadurch ausgelösten sicherheitspolitischen Folgeprobleme trügen jedoch dazu bei, dass die Akteure einander nicht nachhaltig vertrauten. Im Zentrum dieser Entwicklung befinde sich China.

Das erste Panel eröffnete Brigadegeneral Hans-Werner Wiermann vom Bundesministerium der Verteidigung mit einem Vortrag zum Thema „Die Volksbefreiungsarmee Chinas: Strategische Ausrichtung und Fähigkeitsprofil“. Um einen Eindruck des chinesischen militärischen Selbstverständnisses zu vermitteln, ging Wiermann zunächst auf historische Ereignisse ein, die sich auf die heutige strategische Ausrichtung der Volksbefreiungsarmee auswirkten. So nannte er den Opiumkrieg, den Koreakrieg, das Aufrüsten der Sowjetunion im Kalten Krieg, die Irakkriege sowie die Taiwankrise als Anlässe für China, sein Verhalten im Hinblick auf Bündnisbildung, auf die Priorität seiner Staatsziele oder die Vernetzung seiner Streitkräfte zu überdenken. Die Volksrepublik selbst sehe sich als hochgradig strategische Nation und werde auch von außen so wahrgenommen. Im Zusammenhang mit der aktuellen geopolitischen Lage Chinas bemerkte Wiermann, es bestehe keine Bedrohung der territorialen Einheit des Landes durch fremde Streitkräfte. Zwar existierten Grenzstreitigkeiten wie z.B. mit Indien in Arunachal Pradesh, doch bliebe Taiwan das einzige Problem von größerer Bedeutung, an dessen Beispiel sich zeige, dass die chinesische Marine zwar gut aufgestellt sei, was regional begrenzte militärische Einsätze angehe. Einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA sei die Volksbefreiungsarmee allerdings nicht gewachsen. Dies liege einerseits am derzeitigen technologischen Rückstand von zehn bis zwanzig Jahren, andererseits an der mangelnden Informationstechnologie und Vernetzung der Teilstreitkräfte, die sich als wichtiger als die Modernisierung einzelner Rüstungselemente erweisen könne. Im Falle einer Abspaltung Taiwans, gegen die sich China laut seinem Antisezessionsgesetz von 2005 nichtfriedliche Mittel vorbehält, sähe sich die Volksbefreiungsarmee also der doppelten Herausforderung gegenüber gestellt, nicht nur die taiwanischen Streitkräfte schlagen, sondern auch die militärisch deutlich überlegenen USA vom Kriegsschauplatz fernhalten zu müssen. Folglich sei das Reich der Mitte, obschon es eine umfassende Modernisierung seiner Streitkräfte bis 2050 verfolge, eher an der Projektion von Fähigkeiten zur Abschreckung als einem Wettrüsten in der Region interessiert. Hier spiegele sich laut Wiermann auch die allgemeine strategische Ambivalenz Chinas wider: Auf der einen Seite sähen sich die Entscheidungsträger noch immer in der konfuzianischen Tradition einer harmonischen Politikgestaltung, die beispielsweise im Rahmen der UNO auf Kooperation setze und deren oberstes Staatsziel der Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas bleibe. Auf der anderen Seite verschreibe sich Peking zunehmend neuen strategischen Zielen wie der Aufrüstung und Abschreckung. Eine Balance gelte es, besonders hinsichtlich der Wahrung globaler wirtschaftlicher Interessen, noch zu finden.

Ein Herr hält einen Vortrag

Brigadegeneral Wiermann bei seinem Einführungsvortrag
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Im Anschluss an diese Bestandsaufnahme der strategischen Ausrichtung und militärischen Fähigkeiten Chinas widmete sich Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener folgender Thematik: „Gegenmachtbildung? Militärische Aspekte der China-Politik der USA“. Nach einer Beschreibung des Prozesses der Gegenmachtbildung identifizierte Wagener zunächst die relevanten Interessenkonflikte der beiden Länder. So nannte er den allgemeinen Streit um die Vorherrschaft in Ostasien und die divergierenden Einstellungen zu Taiwan, das von Peking als „abtrünnige Provinz“ betrachtet, von Washington dagegen mittels Waffenlieferungen unterstützt werde. Des Weiteren trügen die unterschiedlichen Positionierungen in Bezug auf die Koreanische Halbinsel und die pazifischen Randmeere zum gegenseitigen Misstrauen bei, welches trotz umfassender wirtschaftlicher Verflechtungen wohl auch in Zukunft nicht überwunden werde. Auf amerikanischer Seite spiegele sich dieses Misstrauen deutlich in strategischen Dokumenten und Aussagen zentraler Entscheidungsträger wider, die zeigten, dass die Entwicklung der Volksbefreiungsarmee als größte militärische Bedrohung Ostasiens wahrgenommen werde. Um für den Fall einer möglichen chinesischen Aggression gewappnet zu sein und die eigenen Interessen in der Region zu wahren, ergreife Washington folgende Maßnahmen: Neben seinen Bündnissen mit Japan, Südkorea, Australien, Thailand und den Philippinen verfüge es über eine Vornepräsenz von ca. 75.000 Soldaten (ohne Hawaii) in der Region. Der Ausbau der Raketenabwehrfähigkeiten sowie die Arbeiten am AirSea-Battle-Konzept erfolgten vor allem vor dem Hintergrund möglicher chinesischer Bedrohungen, insbesondere zunehmender Fähigkeiten in den Bereichen Anti-Access/Area Denial (A2AD). Zudem diversifizierten die USA, dem Konzept der places, not bases folgend, ihr Militäraufgebot in Ostasien und bauten Guam als Ausweichbasis u.a. für den Fall aus, dass man die Stützpunkte in Nordostasien verliere. Insgesamt ähnele die amerikanische Militärpräsenz in der Region einem „Feuerring“, der präventiv um China gelegt werde und den Washington im Konfliktfall auch durchaus zu aktivieren gewillt sei. Die Entsendung zweier Flugzeugträgergruppen im Zuge der Taiwankrise 1995/1996 oder der militärische Geleitschutz für die USNS Impeccable im März 2009 seien laut Wagener als Machtdemonstrationen zu lesen. Ebenso müsse die Erklärung Washingtons vom Herbst 2010, der Bündnisvertrag zwischen den USA und Japan beziehe sich auch auf die Senkaku-/Diaoyu-Inseln, als Warnung an China verstanden werden. Angesichts des beschriebenen Ausbaus der amerikanischen Militärpräsenz in der Region sowie des demonstrierten amerikanischen Willens, im Falle einer chinesischen Aggression einzuschreiten, kam Wagener zu dem Fazit, die USA betrieben Gegenmachtbildung gegenüber dem Reich der Mitte. Wenngleich ökonomische Interdependenzen einem Konfliktausbruch vorbeugten, so erzeugten sie doch kein gegenseitiges Vertrauen. Washington bereite sich auf einen potentiellen militärischen Schlagabtausch mit der Volksrepublik vor und stehe somit in einem Wettrüsten mit dem Konkurrenten.

Im dritten Panel fokussierte Dr. Saskia Hieber von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing in ihrem Vortrag einen weiteren Teilaspekt der Leitfrage der Konferenz. Unter dem Titel „Zwischen Rüstungsexporten und langfristigen Sorgen: Militärische Aspekte der China-Politik Russlands“ stellte sie zunächst die sicherheitspolitische Umgebung und den regionalen Kooperationsrahmen beider Mächte vor. Hier hob sie die Bedeutung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit hervor, in der die beiden Länder (in Kooperation mit weiteren Mitgliedstaaten) gemeinsam gegen die „drei Übel“ Terrorismus, Separatismus und Extremismus vorgingen. Insgesamt jedoch falle die russisch-chinesische Kooperation aufgrund der sehr unterschiedlichen Interessenlagen eher instabil und selektiv aus, so dass sie nur punktuell, beispielsweise im gemeinsamen Aufbegehren gegen das Hegemoniestreben der USA, in der Terrorismusbekämpfung oder im UN-Sicherheitsrat, zu beobachten sei. Russische Rüstungsexporte – mit Russland als wichtigstem Rüstungslieferanten Chinas – spielten weiterhin eine wichtige Rolle im ansonsten geringen wirtschaftlichen Austausch, seien aber als lediglich eine Dimension in den Beziehungen der beiden Länder nicht überzubewerten. Sie seien keinesfalls ein Anzeichen dafür, dass es zu einem ständigen anti-amerikanischen Bündnis zwischen Russland und China komme – in der Tat sei die Chance auf eine solche Allianz eher gering. Vielmehr sei das bestimmende Motiv in der Rüstungsexportpolitik Russlands die Erhaltung der eigenen Industrie. Wie auch das Kooperationspotential sei die russisch-chinesische Konfrontationsgefahr, dem verbreiteten gegenseitigen Misstrauen zum Trotz, ebenfalls gering. Konkurrenz existiere zwar in Bezug auf den Zugang zu südlichen Häfen, die militärische Präsenz im westlichen Pazifik oder den Waffenhandel; dennoch blieben die Vereinigten Staaten für beide Mächte die größte sicherheitspolitische Herausforderung. Auf die Leitfrage Bezug nehmend erklärte Hieber in ihrem Fazit, im Falle der Beziehungen zwischen Russland und China könne nicht von einem Wettrüsten gesprochen werden. Weder in Moskau noch in Peking nehme man den Nachbarn als Bedrohung wahr oder treffe militärische Maßnahmen gegen ihn; stattdessen kämpften die Länder mit den jeweils eigenen innenpolitischen Herausforderungen. So sei Russland mit seiner Armeereform und Georgien beschäftigt, während die Volksrepublik um wirtschaftliche und politische Stabilität ringe. Laut Hieber finde ein Wettrüsten zu Lande oder Luft in Asien folglich nicht statt; als Wettrüsten könne man höchstens die Bestrebungen der Mächte im Weltraum und Cyberspace betrachten.

Im vierten Panel referierte Dr. Alexandra Sakaki von der Universität Duisburg-Essen zum Thema „Zwischen Modernisierung der SDF und der Allianz mit den USA: Militärische Aspekte der China-Politik Japans“. Die Politikwissenschaftlerin stellte zunächst dar, wie Chinas Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee und seine undurchsichtigen militärischen Absichten in Japan große Besorgnis erregten. Diese Sorge habe ein solches Ausmaß erreicht, dass sie sich immer expliziter in strategischen Dokumenten, beispielsweise im „Diplomatischen Blaubuch 2011“, äußere. Mit dem bisherigen „stillen Wettrüsten“, in dem Tokio Nordkorea als Rechtfertigung seiner Verteidigungsanstrengungen genutzt habe, sei es nach dieser eindeutigen Benennung der chinesischen Bedrohung nun folglich vorbei. Aufgrund sowohl quantitativer als auch qualitativer Änderungen der Ereignisse im Ostchinesischen Meer (wie der chinesischen Manöver nahe der Senkaku-/Diaoyu-Inseln) überrasche es nicht, dass Japans strategische Neuausrichtung Maßnahmen (wie die Verstärkung des Militäraufgebots auf Okinawa und den Nansei-Inseln) beinhalte, die als Reaktion auf Pekings Militärpolitik zu verstehen seien. Habe Japan sein Verteidigungsbudget auch in den letzten zehn Jahren um fünf Prozent beschnitten, so sei es laut Sakaki dennoch daran interessiert, seine militärischen Fähigkeiten zu steigern und das Bündnis mit den USA zu stärken. Weiterhin sei Japan daran gelegen, einer Destabilisierung der Beziehungen mit der Volksrepublik im Zuge eines Wettrüstens entgegenzuwirken. Es fahre daher eine zweigleisige Strategie der Stabilisierung: Zum einen strebe es nach einer Einbindung Chinas und nach einer Verbesserung der diplomatischen Beziehungen, was sich an der Initiierung eines Dialogs zwischen Verteidigungsexperten der beiden Länder sowie der Gründung einer gemeinsamen Schulbuchkommission ablesen lasse. Nichtsdestotrotz fielen die Ergebnisse dieser Bemühungen eher bescheiden aus. Zum anderen versuche Tokio, durch glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit eine Machtbalance herzustellen. Dabei setze man weiterhin auf die in der Verfassung verankerte „minimal nötige Verteidigungsfähigkeit“ – nicht zuletzt auch, um eine Provokation Pekings zu vermeiden. Gleichzeitig werde die Präsenz der USA als wertvolles Kollektivgut betrachtet, auf das man keinesfalls verzichten wolle; 79 Prozent der Japaner fürchteten gar, der Abzug der USA könne ein sino-japanisches Wettrüsten auslösen. Nach der Einschätzung, dass nach der japanischen Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 (Erdbeben, Tsunami, Reaktorprobleme) weitere Einsparungen im Verteidigungsetat zu erwarten seien, schloss Sakaki ihren Vortrag mit folgendem Fazit: Beim Wettrüsten zwischen Peking und Tokio handele es sich, erstens, nicht mehr um ein „stilles Wettrüsten“. Zweitens gebe es durchaus Anzeichen dafür, dass Japan direkt auf die Aufrüstung und Provokationen der Volksrepublik reagiere, was jedoch drittens – aufgrund der beschriebenen Strategie der Stabilisierung, japanischer Haushaltsengpässe sowie der engen wirtschaftlichen Verflechtungen der beiden Länder – nicht dazu führen müsse, dass das Wettrüsten außer Kontrolle geraten werde.

Ein junger Herr hält einen Vortrag

Junior-Professor Dr. Martin Wagener bei seinen Ausführungen
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Im fünften und letzten Panel beleuchtete Dr. Christian Wagner, Forschungsgruppenleiter Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik, die Leitfrage mit Blick auf Indien. In seinem Vortrag „,Feind Nr. 1‘? Militärische Aspekte der China-Politik Indiens“ beschrieb er zunächst den Aufstieg Indiens und seine globale Bedeutung. Er bezeichnete das Land als einen der Gewinner der neuen internationalen Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und wies darauf hin, dass sich Indien selbst als Großmacht wahrnehme und dementsprechend seine Politik gestalte. Anschließend erläuterte er anhand von drei Phasen den Übergang vom Konflikt zur Kooperation der beiden Länder: In den fünfziger Jahren habe Indien nicht nur als Modell für die Zukunft der Dritten Welt gegolten, sondern trotz Streitigkeiten in Tibet und ungeklärter Grenzfragen auch versucht, China in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Diese Phase versah Wagner mit dem Label „Bhai Bhai“ („bhai“ = Bruder). Mit der homophonen, doch inhaltlich gegensätzlichen Bezeichnung „Bye Bye“ benannte Wagner die darauffolgende Phase von 1960 bis 1988, die vom Grenzkrieg 1962, Chinas Unterstützung von Pakistan und dem Aufstieg der Volksrepublik gekennzeichnet gewesen sei. Seit 1989 befänden sich die Länder schließlich in einer Phase enger wirtschaftlicher Verflechtungen, die die politischen Konflikte in den Hintergrund rückten („Buy Buy“). Das Reich der Mitte sei der wichtigste Handelspartner Indiens, so dass man dort, ungeachtet der Streitigkeiten um die strategisch wichtige Region Arunachal Pradesh, nicht mehr unter der „China Fear“ leide und ein klares Feindbild habe, sondern vielmehr vom „China Fever“ befallen sei. Die Modernisierung der indischen Streitkräfte sei nicht gegen die Volksrepublik, sondern gegen Pakistan gerichtet, das weiterhin maßgeblich die Sicherheitspolitik Indiens bestimme. Sollte sich Indien auch bei seinen Rüstungsanstrengungen an China orientieren, könne von einem Wettrüsten demnach dennoch nicht die Rede sein. Konflikte, wie hinsichtlich Grenzfragen, des chinesisch-pakistanischen Verhältnisses, Myanmars und der Energiebeschaffung, seien zwar vorhanden. Doch dass sich Indien auf einen Rüstungswettlauf einlasse, bleibe auch in Zukunft unwahrscheinlich: Zum einen hinke das Land, was den technologischen Stand seiner Rüstung angehe, zehn bis zwanzig Jahre hinter der Volksrepublik her und erhöhe seine Rüstungsausgaben (zzt. 2-3% des BIP) im Vergleich zu China nur langsam. Überdies sei Indien maßgeblich mit der Bewältigung seiner enormen innenpolitischen Probleme beschäftigt und zudem auf China als Handelspartner angewiesen. Laut Wagner werde die Zukunft der indisch-chinesischen Beziehungen also nicht von einem Wettrüsten bestimmt. Stattdessen sei ein Verhältnis denkbar, in dem die beiden Mächte in einem Nebeneinander von Kooperation, Wettbewerb und Konflikt „business partners, not friends“ blieben.

Zahlreiche weitere interessante Aspekte wurden in den Diskussionen im Plenum, moderiert von Shi Ming und Dr. Stefan Friedrich, angesprochen. So erklärte Brigadegeneral Hans-Werner Wiermann auf eine Rückfrage hin, die Volksrepublik werde ab 2012 zwar einen Flugzeugträger besitzen. Ungewiss aber bleibe, ob sie ihn auch werde einsetzen können, da es dazu zahlreicher weiterer Einheiten bedürfe, über die sie nicht verfüge. Auch hier werde das Reich der Mitte in nächster Zukunft also nicht mit den USA gleichziehen können. Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener gab auf die Frage nach einem geänderten diplomatischen Verhalten Chinas die Einschätzung ab, die Charme-Offensive sei 2010 in der Tat abgeflacht, so dass es in der Region wieder verstärkt zu Forderungen nach amerikanischer Präsenz komme. Es sei daher ein grober strategischer Fehler der Volksrepublik, Besitzansprüche in den pazifischen Randmeeren offensiv zu verfolgen. Als sich ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes nach der Rolle Europas in Asien erkundigte, stellte Wagener fest, die EU sei dort kein wichtiger Akteur. Trotzdem nähmen auch europäische Entscheidungen Einfluss auf das Wettrüsten in Asien, wie es das Beispiel von Deutschlands Werben für den Export des Eurofighters nach Indien veranschauliche. In der an Dr. Saskia Hiebers Vortrag anschließenden Fragerunde wurde auf weitere Komplexitäten im russisch-chinesischen Verhältnis hingewiesen: Man erfuhr, dass die Demokratie Indien immer vor China mit der neuen Generation russischer Rüstung beliefert werde. Zudem komme es auch aufgrund des russischen Verhaltens Vietnam oder der NATO gegenüber immer wieder zu Spannungen. Nach dem Vortrag von Dr. Alexandra Sakaki wurde hervorgehoben, seit Ende des Kalten Krieges herrsche in allen japanischen Parteien Konsens hinsichtlich verteidigungspolitischer Fragen wie dem Bündnis mit den USA und der Stabilisierungsstrategie gegenüber China. Zudem bejahte die Referentin die Vermutung, die 2009 erfolgte Indienststellung des ersten Helikopterträgers der Hyuga-Klasse sei u.a. als Reaktion auf die zunehmende chinesische Bedrohung der regionalen Seewege zu verstehen. In der letzten Debatte wurde die „Rückkehr“ Indiens nach Asien beschrieben, die seit Mitte der 90er Jahre zu beobachten sei. Dr. Christian Wagner wies zudem darauf hin, dass Arbeiten an der Mittelstreckenrakete Agni III reines Statusstreben seien und nicht als Hinweis auf ein Wettrüsten mit China betrachtet werden könnten.

In seinem Schlusswort kam Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener abschließend noch einmal auf die übergeordnete Leitfrage der Konferenz („Lassen sich konkrete militärische Reaktionen regionaler Großmächte auf den Ausbau der Fähigkeiten der chinesischen Streitkräfte nachweisen?“) zu sprechen. Wenngleich sich gezeigt habe, dass man diese Frage größtenteils bejahen könne, so stieße man doch auf definitorische Probleme. Wagener schlug in seinem Definitionsversuch vor, ein Wettrüsten sei der Versuch von Staaten, Machtprojektionsfähigkeiten konkurrierender Konfliktparteien durch Beschaffung defensiver oder offensiver Rüstungsgüter gezielt zu neutralisieren bzw. durch Aufbau eigener Machtprojektionsfähigkeiten gezielt zu übertrumpfen. Eine schwache Form des Wettrüstens liege vor, wenn sich zwei Staaten trotz verschiedener Formen der Zusammenarbeit langfristig nicht vertrauten und daher mit Blick auf die Machtprojektionsfähigkeiten des anderen das eigene Fähigkeitsprofil ausrichteten. Gleichzeitig schränkte er ein, Staaten, die ihre Streitkräfte mit Blick auf eine unsichere Zukunft modernisierten, nähmen nicht zwangsläufig an einem Rüstungswettlauf teil. Folge man dieser Definition, dann sei es durchaus zutreffend, von einem Wettrüsten in Asien zu sprechen. Als weitere Schwierigkeit bei der Beantwortung der Leitfrage komme allerdings hinzu, dass man nicht immer eindeutig bestimmen könne, ob das Reich der Mitte der Auslöser des Rüstungswettlaufes sei oder selbst nur auf Rüstungsanstrengungen anderer regionaler Großmächte reagiere. Unbestreitbar aber bleibe, dass Asien aus der Weltpolitik nicht mehr wegzudenken sei. Obschon momentan noch die Welt der Globalisierung die Oberhand auf dem größten Kontinent habe, so tue ein sicherheitspolitischer Dialog doch Not. Einen Beitrag zu ebendiesem leisteten die Trierer China-Gespräche.

Autor: Julia Wurr, Manfred Bohr