Aktuelles

USA-Reise des Seminars für Sicherheitspolitik 2011

Montag, 28. Februar 2011

In den letzten Monaten ist viel passiert, was die USA nicht zu Ihren Gunsten beeinflussen konnten. Die Wikileaks-Lawine überrollte Washington. Südkorea setzte ohne nennenswerten Widerstand neue Bedingungen für ein Freihandelsabkommen durch. Und schließlich stürzte das ägyptische Volk seinen Präsidenten, den langjährigen Verbündeten Hosni Mubarak, ohne dass die USA mitreden konnten. Ganz zu schweigen davon, dass die USA generell in Anbetracht der sich überschlagenden Ereignisse in der arabischen Welt keinerlei planmäßiges oder gar strategisches Vorgehen erkennen ließen.

Bild des Skyline von New York

Die Skyline von New York City
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Was sind die Gründe für diese offenkundige Schwäche der USA? So lange scheinen außenpolitische, internationale Erfolge der Weltmacht, wie der Untergang der Sowjetunion oder die „coalition oft the willings“ zur Befreiung Kuwaits, doch noch nicht zurück zu liegen. Eine mögliche Ursache könnte die steigende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sein. Die USA mussten in den letzten Jahren ja alles sein: Weltpolizist, moralischer „Friedensengel“ und globaler Wirtschaftsmotor. Können die USA das alles heute noch leisten oder sehen wir die Weltmacht an Größe und Zahl der Herausforderungen und Aufgaben scheitern? Das Selbstverständnis der USA scheint weiterhin vom Supermacht-Status zu Zeiten des Kalten Krieges auszugehen. Aber hätte sich die Supermacht nach dem Wegfall einer bipolaren Konfrontation nicht längst schon anders definieren müssen, angesichts eines vollkommen anders gearteten und vielseitigen Bedrohungsszenarios und aufstrebenden Regionalmächten?

Respekt verdient der amerikanische Verteidigungsminister Bob Gates, der Anfang März bei einer bemerkenswerten Rede in West Point, der Kaderschmiede für zukünftige Spitzenmilitärs, sich eines Zitats des Weltkriegsgenerals Douglas MacArthur bediente und feststellte: „Jeder künftige Verteidigungsminister, der dem Präsidenten raten sollte, eine große Landarmee nach Asien, dem Mittleren Osten oder nach Afrika zu schicken, der sollte seinen Kopf untersuchen lassen.“ Gates weiß, wovon er sprach, denn schließlich erbte er von seinem glücklosen Vorgänger Donald Rumsfeld zwei Kriege, die sich entgegen Ihrer ursprünglichen Zielsetzung als ausgesprochen langjährige und kostspielige Engagements entpuppten. Wenngleich finanziellen Berechnungen zu den Kriegen im Irak und Afghanistan immer mit einer gewissen Skepsis begegnet werden muss, so kann doch bilanziert werden, dass ein durchschnittlicher Kriegstag im Irak mindestens 700 Millionen Dollar kostete. Wie viele Grundschulen bzw. Stipendien hätten damit in den USA finanziert werden können? Klar ist, dass es sich um Kriege handelt, die zu Hause die Zukunft junger Menschen kosten.

Aber wie können diese Kriege beendet werden, ohne dass die USA als Verlierer dastehen? Zum einen gilt es, in den Krisenregionen noch möglichst positive Ergebnisse zur erzielen, um sich so ohne Gesichtsverslust zurückziehen zu können,  und zum anderen muss dem erheblichen Spardruck schnellstmöglich nachgegeben werden. Bisher wurden bei den Entwürfen des US-Haushaltes allzu große Einsparbemühungen im Bereich Verteidigung mit dem Argument abgeschmettert, die „national security“ würde durch zu offensive Forderungen gefährdet. Aber wie lange lässt sich mit diesem Vorwurf noch punkten? Müssen denn wirklich ganze 16 verschiedene Nachrichtendienste, die nicht wirklich effizient von einem gemeinsamen Zentrum aus koordiniert werden, die Sicherheit Amerikas gewährleisten? Und lassen nicht das Kompetenzgerangel und die Aufgabenüberschneidung zwischen den beiden Bundesbehörden Homeland Security und dem FBI deutliche Einsparmöglichkeiten erkennen? Wie dem auch sei, Defizite und Schulden werden  die USA noch lange begleiten und die politische und militärische Handlungsfähigkeit der USA zusehends einschränken. Dass die USA angesichts der Ereignisse in der arabischen Welt insbesondere militärische Zurückhaltung üben, ist daher nur folgerichtig. Möglicherweise ist zum jetzigen Zeitpunkt auch für die USA eine „Transformationspartnerschaft“ mit den reformorientierten arabischen Staaten, die auf Bildungsförderung und Wirtschaftsaufbau abhebt und besonders von uns Deutschen angestrebt wird, der attraktivere Weg.

Nicht nur militärisch ist der „Lack“ der USA zumindest angekratzt, auch der Stern des Hoffnungsträgers Barack Obama strahlt nach zwei Jahren Amtszeit deutlich schwächer. Wenngleich er außerhalb Amerikas sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut und besonders in der arabischen Welt gerade aufgrund seiner Herkunft und seiner Erziehung geradezu Vorbildcharakter besitzt, sehen ihn seine eigenen Landsleute zusehends kritischer. Doch was nützt es, wenn der Rest der Welt von Obama überzeugt ist, aber ihn nicht wählen kann? Lediglich fein dosiert kann Obama seinen Landsleuten Nachsteuerungsbedarf und notwendige Investitionen angesichts der amerikanischen Leistungsbilanzen beispielsweise in Sachen Bildung und Produktion vermitteln. Insbesondere bei der Qualität von Exportgütern gilt es nachzubessern und nicht im Ausland nachzufragen, wie amerikanische Güter besser vertrieben werden können. Qualität würde sich schon von alleine durchsetzen. Obama weiß aber, dass seine Mitbürger eines partout hassen: Pessimismus. Jimmy Carter scheiterte im Juli 1979 mit dem ehrlichen, aber fatalen Appell: „Amerikaner müssen wieder härter und besser arbeiten.“ Mit dieser Aussage spielte er seinem Konkurrenten zu: dem Optimisten Ronald Reagan. Aus diesem Grund ist die Wiederwahl Obamas keineswegs gewiss und er wird sich bis zum Wahltag im November 2012 zweifelsohne mit unangenehmen Wahrheiten wohl eher zurückhalten. Dabei ist vieles seiner Modernisierungsagenda, die er sich mit seinem Amtsantritt im Januar 2009 auferlegt hatte, noch unerledigt. Trotz vieler Bemühungen können eine umfassende Regelung der Einwanderung, eine Reform des Bildungswesens und eine Klimagesetzgebung noch lange nicht als Erfolge auf seine Fahne geschrieben werden. Und das Motto „jobs, jobs, jobs“, das Obama täglich beim Blick aus dem Fenster des Weißen Hauses auf einem Schriftband lesen kann, sollte mit Blick auf den schwachen amerikanischen Arbeitsmarkt besser ernst genommen werden. Nicht zuletzt scheitert der Präsident allerdings mit seinen Reformvorhaben oftmals an seinem eigenen Kongress …

Obamas Dilemma ist, dass er zwar als Charismatiker und durchaus als Idealist sein Land führt, aber seine Energie und sein Charisma dafür einsetzen muss, seinen Bürgern bzw. Wählern den fortwährenden Abstieg des Landes zu erklären und unbequeme Reformen anzumahnen. Bald zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001, den Kriegen im Mittleren Osten, der Verschuldung und der Vernachlässigung der Modernisierung werden in den USA Stimmen laut, die bereits vom „verlorenen Jahrzehnt“ der Jahre zwischen 2000 und 2010 sprechen. Und in diesen zehn Jahren hat die Konkurrenz nicht geschlafen. Während die USA in Sachen Weltpolizei auf dem gesamten Globus unterwegs war, florierten andere Länder und Regionen unter dem amerikanischen Schutz. Die vergleichsweise niedrigen Militärausgaben Europas werden von den USA argwöhnisch beäugt und inzwischen offen kritisiert. Nach Ansicht der USA hat sich Europa viel zu bequem unter dem Schutzschild des „großen Bruders“ eingerichtet und investiert lieber Geld in den Sozialstaat, die Exportförderung oder die Begrenzung von Verschuldung. Als besonders schlimm daran wird von den Amerikanern empfunden, dass die Europäer immer noch keine Anstalten machen, dies zu ändern und mehr Verantwortung zu tragen. Als unwürdig wurden und werden auch die zähen Verhandlungen mit Europa um die Aufnahme einiger weniger Guantanamo-Häftlinge empfunden.

Auf die USA und Obama kommen also existenzielle Herausforderungen zu. Angetrieben durch einen pointierten Optimismus müssen der amerikanischen Jugend wieder echte Chancen geboten, Einwanderern tatsächlicher Aufstieg ermöglicht und zu guter Letzt der Job des Weltpolizisten auf sehr viel mehr Schultern verteilt werden. Uns als „zweitrangig“ angesehenen Europäern kommt dabei zweifelsohne eine Schlüsselfunktion zu. Gerade wir Deutschen sollten uns nicht ständig dafür entschuldigen, was wir nicht tun können, sondern selbstbewusst im Rahmen der historischen Freundschaft den USA und insbesondere Ihrem Präsidenten zur Seite stehen und die von uns erwartete Verantwortungsbereitschaft annehmen.

Autor: Boris Bovekamp