Im Rahmen eines halbtägigen Kolloquiums widmete sich die Bundesakademie für Sicherheitspolitik den Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf den staatlichen Sicherheitssektor.
Präsident Lahl
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Im Mittelpunkt der Veranstaltung mit mehreren Fachvorträgen renommierter Referenten stand die Frage, welche Konsequenzen - aber auch welche Chancen und Perspektiven - sich für die nationale Sicherheitsvorsorge angesichts immer massiverer Sparzwänge und Budgetrestriktionen ergeben. In diesem Zusammenhang sollte geklärt werden, ob durch eine stärkere Vernetzung der sicherheitspolitischen Akteure und eine konsequente Bündelung der verfügbaren Mittel dem wachsenden Ressourcendruck begegnet werden kann.
In seiner einführenden Begrüßung skizzierte der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Generalleutnant a.D. Lahl das Leitthema der Veranstaltung und machte sogleich auf ein Dilemma aufmerksam: Auf der einen Seite verstärke die Finanzkrise Tendenzen des Staatenzerfalls gerade in den ärmsten Ländern und erhöhe eigentlich den Bedarf an globaler Sicherheitsvorsorge. Auf der anderen Seite würden Finanzkrise, Ressourcendruck und die chronisch klammen öffentlichen Haushalte vielfach als Argument genutzt, um „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“ zu betreiben. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sah Lahl in den Möglichkeiten der multinationalen Sicherheitskooperation, um etwa mit Blick auf die gemeinsamen europäischen Verteidigungsanstrengungen weitere Synergieeffekte zu erzielen.
Dr. Theo Sommer
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
In seinem anschließenden Vortrag über "Tektonische Verschiebungen der globalen Ordnung? – Gewinner und Verlierer der Finanz- und Wirtschaftskrise" zeichnete Dr. Theo Sommer, Die Zeit (Hamburg), ein Bild der Weltordnung des beginnenden 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der jüngsten Finanzkrise. Er identifizierte dabei drei historisch bedeutsame geostrategische Machtverschiebungen der letzten 500 Jahre, die sich im Aufstieg Europas seit 1492, im Aufstieg Amerikas seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und im Aufstieg Asiens im 21. Jahrhunderts manifestierten. Die Finanzkrise habe in diesem Zusammenhang keine neue Entwicklung eingeleitet, sondern nur die schon bestehenden Tendenzen beschleunigt. Sommer skizzierte diesbezüglich den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Indiens und Chinas und die aus dieser tektonischen Machtverschiebung erwachsenen sicherheitspolitischen Konsequenzen, Risiken und Chancen. Sommer plädierte dafür, über die Finanzkrise hinaus zu denken und plädierte für eine verstärkte europäische Kooperation, um dem schwindenden Einfluss des Alten Kontinents nicht zuletzt auch im Hinblick auf den demographischen Faktor entgegenzuwirken.
Dr. Linnenkamp am Rednerpult
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Im zweiten Vortrag beleuchtete Dr. Hilmar Linnenkamp von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin) die sicherheitspolitischen Auswirkungen von Budgetrestriktionen in den Verteidigungshaushalten der EU-Mitgliedstaaten.
Linnenkamp skizzierte zunächst den aktuellen Beitrag der Bundeswehr zu den Konsolidierungsbemühungen des Bundeshaushalts. Die Finanzkrise als Budgetkrise betreffe zwar alle EU-Staaten – was indes die konkreten Kooperationsanstrengungen vor dem Hintergrund schrumpfender Verteidigungsetats anging, gab sich Linnenkamp eher skeptisch-pessimistisch. Er differenzierte drei Kooperationsstufen: Stufe 0 beträfe souveränitätsbewehrte Felder militärischer Aktivität, die unverzichtbar in nationaler Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben und die für Kooperation nicht verhandelbar seien; Stufe 1 beträfe Bereiche, in denen sich Kooperation lohne, und Stufe 2 beträfe Fähigkeiten, die der Arbeitsteilung und damit der gegenseitigen Abhängigkeit unterliegen könnten.
Vor dieser Aufteilung analysierte Linnenkamp dann verschiedene positive und zukunftsweisende europäische Kooperationsprojekte wie etwa die jüngste britisch-französischen Initiative, die Europäische Lufttransportflotte sowie diverse zivil-militärische Rüstungsprojekte (etwa im Bereich Drohnen). Der Vortragende plädierte in diesem Zusammenhang für mehr Wettbewerb und Transparenz auf dem Rüstungsmarkt, der allerdings auch durch den Vertrag von Lissabon nicht liberalisiert worden sei. Seiner Einschätzung nach sei die Gemeisame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) immer noch durch zu viele Entscheidungs- und Souveränitätsvorbehalte der EU-Mitgliedstaaten gekennzeichnet, die darauf beruhten, dass das Militär nach wie vor als kultureller Faktor nationaler Identität wahrgenommen würde.
Staatssekretär Werner Gatzer
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Der Abschlussvortrag von Staatssekretär Werner Gatzer vom Bundesministerium der Finanzen trug den provokanten Titel "Verliert Deutschland die Handlungsfähigkeit?" Trotz massiver Budgetrestriktionen und eines weiterhin angespannten Bundeshaushalts (die Neuverschuldung der Bundesrepublik wird im Jahr 2010 rund 50 Mrd. Euro betragen, im Vergleich zu 11 Mrd. Euro im Jahr 2008!) konnte der Staatssekretär diese Frage mit einem beruhigenden „Nein“ beantworten. Gleichwohl räumte er ein, dass auf der kommunalen Ebene einige Gemeinden gerade noch ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben erfüllen könnten. Auf Bundesebene verlange die verfassungsrechtliche Schuldenbremse eine Drosselung der Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (also auf rund 10 Mrd. Euro). Insoweit seien weitere Konsolidierungsmaßnahmen notwendig. Aufgrund guter Konjunkturlage habe sich die Lage aber entspannter entwickelt als befürchtet. In diesem Zusammenhang wies Gatzer auf die Lage in Schweden hin, wo bei guter Konjunkturlage 1 Prozent Überschüsse erwirtschaftet werden müssten.
Die aktuellen europäischen Maßnahmen zur Linderung der Auswirkungen der Finanzkrise (Euro-Rettungsschirm etc.) schätzte Gatzer im Ergebnis als sinnvoll ein.
Alle drei Vortragende sahen Auswege aus der Finanzkrise folglich nur in einer verstärkten Kooperation der europäischen Staaten, im Überwinden nationalen Souveränitätsdenkens und der Besinnung auf die eigenen Stärken.
Autor: Dr. Roman Schmidt-Radefeldt und Dr. Gerd Föhrenbach