Aktuelles

Moskaureise des Seminars für Sicherheitspolitik

Montag, 21. März 2011

Zweifellos – Russland ist wieder wer! Da sind der nach eigener Selbsteinschätzung gewonnene Georgienkrieg mit der quasi einsamen Anerkennung Abchasiens und Süd-Ossetiens sowie das Innehalten der NATO-Osterweiterung. Beim START-Vertrag verhandelt Russland mit den USA auf Augenhöhe und versucht den Dialog produktiv weiterzuführen sowie technologisch zu profitieren. Im Rahmen der derzeit entspannteren Kooperation mit der NATO hofft es auf ein Vetorecht in Bezug auf die Raketenabwehr allerdings wohl vergebens.

Ansicht der Basilikus Kathedrale in Moskau

Moskau bei Nacht
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Unter Medwedew haben sich gute Beziehungen zur EU, zu den USA und auch zu osteuropäischen Ländern entwickelt. Es wird ein weitgehend offener Dialog mit dem Westen geführt. Es herrscht Einklang bei Sanktionen gegen den Iran und selbst beim Militäreinsatz gegen Libyen lässt sich Russland auf eine bemerkenswerte Enthaltung im UN-Sicherheitsrat ein. Es hat wohl die Einsicht gewonnen, dass China keine positive Alternative zur EU und den USA darstellt. Der Wille ist klar erkennbar, gemeinsam mit den USA und der EU Probleme zu lösen, sei es in Afghanistan oder in Bezug auf die gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit der EU und den USA – sofern es für Russland Vorteile bringt.

Doch hinter diesem neuen außenpolitischen Glanz und selbstbewussten Auftreten, das Russland (wieder)erworben hat, offenbaren sich viele in erster Linie innenpolitische Missstände. Die Geschäftsinteressen der russischen Elite (Schevzowa) sind ein ausschlaggebendes Kriterium für das Handeln Russlands – nach innen und nach außen. In Russland hat dabei die Korruption nicht nur System – Korruption ist vielmehr das System, und findet sich sogar in Bereichen wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Wer gute Noten für seine Kinder möchte, muss manchmal zahlen. Korruption ist nicht Krankheit, sondern Folge bzw. Essenz des Systems. Dabei ist in Russland fast alles möglich, solange sich aus politischen Angelegenheiten herausgehalten wird. Macht ist erwünscht, politische Einmischung jedoch nicht. Dies alles mündet in eine stabile Instabilität. Es ist eben auch Teil des russischen Systems, das bis heute unklar geblieben ist, wer welche Entscheidungen trifft, auf wessen Anweisung und warum.

Überraschend ist, dass 42% der Bevölkerung angeben, ihrer Meinung nach liefe es schlecht für Russland, während Putin und Medwedew gleichzeitig hohe Zustimmungsraten erzielen. Ein Gefühl der politischen Alternativlosigkeit scheint die Bevölkerung zu beherrschen und gleichzeitig Korruption als System akzeptiert zu sein. Man hat sich in der Realität eingerichtet und denkt nicht an Umsturz.
Einen Lichtblick stellt in der sonst eher trüben russischen Medienlandschaft die lebendige Internetszene dar. Sie hat eine sehr viel wichtigere Rolle als andere Medien im Vergleich beispielsweise zu Europa. Das Fernsehen als echtes Massenmedium hingegen ist quasi „gleichgeschaltet“; die Printmedien sind frei, aber nahezu irrelevant.

Die hohe Abhängigkeit Russlands von den Rohstoffpreisen zeigte sich besonders während der Wirtschaftskrise 2008. Der Erölpreis fiel auf etwa 40 US-Dollar pro Barrel, und auf einmal musste die Haushaltsplanung komplett umgestaltet werden. Russland retteten die hohen Rücklagen und Währungsreserven. Der Schock sitzt jedoch tief ob der späten Einsicht, dass eine rohstofforientierte Wirtschaft in Zeiten wirtschaftlicher Instabilität hohe Risiken birgt. Das hat inzwischen auch der mächtige GAZPROM-Staat erkannt und versucht seinen Einfluss auch durch „Diversifizierung“ zu verbreitern.

Es ist ganz offensichtlich, dass echte Modernisierung Not tut in Russland. Mittel der Wahl wären Reformen im politischen und wirtschaftlichen Bereich, angestrebt wird Import und Investition im technologischen Bereich.

Dabei steckt Medwedew in der Reformfalle. Wenn er sich in Zurückhaltung übte, wäre das schlecht für das Land, wenn er zu viel auf einmal in Angriff nimmt, dann streikt ein einflussreicher Teil der Elite, vielleicht auch das dann verunsicherte Volk. So wird der Präsident den Kompromiss suchen müssen, den Zar Alexander II. fand, indem er die kritische Elite in den Veränderungsprozess mit einband. Er muss klar und deutlich umreißen, was durch die Modernisierung konkret erreicht werden soll. Und Medwedew wird nicht daran vorbeikommen, sein Verhältnis zu seinem politischen Ziehvater Putin zu klären, der als Premier noch immer von der Mehrheit der Bürger als eigentlicher Entscheidungsträger betrachtet wird. Putin steht für eine „souveräne Demokratie“ und eine „konservative Modernisierung“, Wortpaare, die sich an der Realität reiben und inhaltlich unterscheiden von Medwedews Vorstellungen: Abkehr vom Paternalismus, hin zu einem eher wirklich demokratischen Rechtsstaat. Nun müssen Taten folgen, sonst wird der Begriff „Modernisierung“ innenpolitisch zerrissen und außenpolitisch würde Medwedew an Einfluss und Anerkennung verlieren.

Dem ein oder anderen ausländischen Kritiker mag vielleicht der Nationaldichter Alexander Puschkin weiterhelfen, russische Widersprüchlichkeiten besser zu verstehen: Puschkin befand sich 1826, ein Jahr nach dem Dekabristenaufstand, in St. Petersburg unter der Beobachtung der zaristischen Polizei und stellte in einem Brief an seinen Freund Peter Vjazemskij fest: „Ich verachte natürlich mein Vaterland von Kopf bis Fuß – aber es ist mir unangenehm, wenn ein Ausländer mit mir dieses Gefühl teilt.“

Insgesamt vermittelte die Studienreise nicht zuletzt aufgrund der Vielseitigkeit des Programms und der Hochwertigkeit der Referenten ein sehr ausgewogenes, differenziertes und prägendes Russland-Bild bei den Teilnehmern. Die Wahrnehmung des Seminars von russischer Seite her war gut. Das ist ein starkes Argument gegenüber möglichen alternativen Reisen nach China oder Indien.

Autor: Boris Bovekamp