Seit 1992 führt die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) jährlich ein Medienforum durch. Das zweitägige Symposium richtet sich an Chefredakteure und Ressortleiter deutscher und internationaler Medien, die hier die Möglichkeit nutzen können, mit hochrangigen Experten der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über sicherheitspolitische Fragestellungen zu diskutieren.
Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendienstes
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Thema des diesjährigen Medienforums war die allgegenwärtige Finanzkrise, der sich in der Betrachtung auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik nicht entziehen kann. Ziel der Veranstaltung war jedoch, über Deutschland und die Krise hinaus zu denken und die sicherheitspolitischen Aspekte zu berücksichtigen. Unter dem Titel: „Die Karten neu gemischt? – Sicherheitspolitische Auswirkungen der Finanzkrise“ wurde folgenden Fragen nachgegangen:
- Welche Konsequenzen ergeben sich für Entwicklungs- und Schwellenländer?
- Wie wirkt sich die Finanzkrise auf den Wirtschaftsboom in den asiatischen „Tigerstaaten“ aus?
- Besteht durch die Krise die Chance für eine Verstärkung gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte innerhalb der Europäischen Union?
- Lässt sich durch die Finanzkrise eine „tektonische Verschiebung“ der globalen Kräfteverhältnisse erwarten?
- Sind in der Politik Ansätze zu erkennen, dass aus der Krise Lehren gezogen werden, die zu einem Prämissenwechsel weg von der kurzfristigen „Brandbekämpfung“ und hin zum langfristig orientiertem Handeln führen?
Bevor diesen Fragen nachgegangen wurde, skizzierte in seinem Eröffnungsvortrag der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, Auswirkungen, Maßnahmen und Prognosen zur Krise aus Sicht des BND . Uhrlau gehe der BND von drei Szenarien aus:
- Die Konjunkturpakete helfen global (schnelle Stärkung der Märkte – trotzdem ist mit regionalen Instabilitäten zu rechnen).
- Die Konjunkturpakete helfen nur teilweise (gegenüber den USA und Europa geht China gestärkt hervor, da der Anteil des chinesischen Konjunkturpakets am Bruttoinlandsprodukt größer ist).
- Die Konjunkturpakete erweisen sich nicht als zeit- und problemgerecht und zeigen keine Wirkung (andauernder globaler Abschwung – alle würden verlieren).
Wichtig sei zudem der Faktor Zeit, denn je länger die Rezession dauere, desto drastischere Konsequenzen seien zu erwarten, so Uhrlau.
Für Entwicklungs- und Schwellenländer seien explizite Auswirkungen der Finanzkrise erst 2010 zu erwarten, so Dr. Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe. Grund sei hierfür die Neuverteilung der Entwicklungsgelder in den Haushalten der Staatengemeinschaft aufgrund der Finanzkrise. Hier sei wie allgemein mit Kürzungen zu rechnen, die sich nachteilig auf die bislang geleistete Entwicklungszusammenarbeit auswirken werden. Preuß machte aber deutlich, dass die elementaren Probleme armer Länder (wachsende Weltbevölkerung, Wasser- und Nahrungsknappheit) bereits vor der Finanzkrise alarmierend waren. Die Lösung der Probleme würde nun durch die Finanzkrise zusätzlich erschwert.
Für China konnte Prof. Dr. Eberhard Sandschneider, Otto Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Auswirkungen der Finanzkrise schon jetzt benennen. Bereits im November 2008 mussten in Folge der Krise 8.000 Firmen in Süd-China geschlossen werden. Demgegenüber stehe allerdings immer noch ein zu erwartendes Wirtschaftswachstum von 5%. Diese Zahl sei jedoch in Relation zu sehen: 5 % Wirtschaftswachstum in China würden 3% in Europa entsprechen. China besitze zwar weiterhin Potential für Wirtschaftswachstum, andererseits aber auch ein hohes Potential für soziale Unruhen. Sandschneider warnte vor diesem Hintergrund davor, allzu große Erwartungen auf eine „allheilende“ Wirtschaftskraft Chinas zu setzen. Es sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass China innen- sowie außenpolitisch nicht in marktwirtschaftlichen Kategorien denkt, sondern in Kategorien der Kontrolle.
Der Chefstratege der EADS , Klaus Winter, bestätigte, dass in Europa mit einer Kürzung der Verteidigungshaushalte zu rechnen sei. Für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik konnte er vier Zukunftstrends ausmachen: vermehrtes Outsourcing, engere Kooperationen der europäischen Staaten, zunehmender Protektionismus, industrielle Konsolidierung. Dies alles liege im Bereich des Möglichen.
Was Europas strategische Ausrichtung betrifft, so stehen laut Prof. Dr. Albert A. Stahel von der Universität Zürich, derzeit die Türen für ein verstärktes Engagement im eurasischen Raum offen. Die USA hätten ihre Dominanz über Zentralasien und Eurasien verloren und könnten sich aufgrund der Finanzkrise nicht mehr ihre gewohnten Rüstungsausgaben leisten. Ausgehend von der Heartland-Theorie des britischen Geographen Halford Mackinder und den Strategien des amerikanischen Politikberaters Zbigniew Brzezinski ließ Prof. Stahel noch einmal die großen geopolitischen Entwicklungen vom 19. Jahrhundert bis zur heutigen Lage Revue passieren. Er schloss mit dem Fazit, dass die Strategie Brzezinskis, Russland zu isolieren, derzeit fehlgeschlagen sei.
MdB Paul Schäfer (Die Linke), Dr. Thomas Kurze, Vizepräsident der BAKS, MdB Rainer Arnold (SPD), MdB Bernd Siebert (CDU)
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
In der abschließenden Podiumsdiskussion, zu der die verteidigungspolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien geladen waren, konnten Bernd Siebert (CDU - Christlich Demokratische Union), Rainer Arnold (SPD ) und Paul Schäfer (Die Linke) begrüßt werden. Unter dem Titel „Von der Brandbekämpfung zur Strategie – aus Krisen lernen“ diskutierten die Parlamentarier mit den vertretenen Journalisten über ein zukünftiges Engagement von Deutschland in Krisenregionen, Aufgaben der NATO und die Schaffung eines gemeinsamen Titels für „Vernetzte Sicherheit“ im Bundeshaushalt.
Autor: Björn Hawlitschka