Amerika ist sicher das „Mekka“ der Think Tanks, wurde doch auch eine der ältesten „Denkfabriken“, die Brookings Institution 1916 in Washington D.C. gegründet. Eine der bekanntesten ist heute die 1948 gegründete Rand Corporation.
Die Seminarteilnehmer zu Besuch im Stimson Center.
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff Think Tank. Man schätzt, dass es zurzeit etwa 4.500 dieser Organisationen existieren, wovon die Hälfte erst nach 1980 gegründet wurde. Das SP09 besuchte am vierten Tag seiner USA-Reise einen dieser Think Tanks. Im Rahmen eines Expertenpanels wurde das Thema „Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle, Raketenabwehrschild und Iran“ im Stimson Center (benannt nach Henry Lewis Stimson, US Außenminister 1929- 1933 unter US Präsident Herbert Hoover) diskutiert.
Neben zahlreichen Wissenschaftlern findet man in Think Tanks auch viele ehemalige Repräsentanten aus vorherigen Regierungen die, „wartend auf eine erneute Wahl“, Konzepte und Ideen für die Zeit einer erneuten Berufung in ein politisches Amt entwickeln. „running for appointment“ nennen die Amerikaner dies selbstironisch. Der Vorteil solcher Denkfabriken besteht aber zweifelsohne in der Tatsache, dass dort Experten aus unterschiedlichen Bereichen zusammentreffen und die Möglichkeit haben „outside the box“ tätig zu sein. Nicht in politisches Tagesgeschäft und damit auch Abhängigkeiten eingebunden zu sein, wirkt befreiend auf die Entwicklung von Ideen, Konzepten und Strategien zur Bewältigung sich stellender Herausforderungen.
Eine der zu lösenden Herausforderungen ist dabei die Frage der Zukunft hinsichtlich der Ende 2007 ausgelaufenen START II Verträge, der ja 2000 zwar von der DUMA ratifiziert wurde, wegen der Kündigung des ABM Vertrages 2002 durch die Amerikaner offiziell jedoch nie in Kraft trat. Auch die 2001 statt Start III geschlossenen SORT (Strategic Offensive Reduction Treaty) Verträge zwischen Bush und Putin, die sich entgegen der START Verträge auf einsatzbereite, nicht eingelagerte Sprengköpfe und nicht auf Trägersysteme beziehen und weder einen detaillierten Zeitplan noch Verifikationsmechanismen enthalten, gilt es weiterzuentwickeln.
Washington Impressionen: Das Jefferson Memorial bei Nacht.
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Hier hat der neue Präsident – und das auch in seiner Rede vor der Siegessäule in Berlin – schon Ziele formuliert. Neben der Reduzierung von Bombern und Trägersystemen will er ein System, mit dem die vorhandenen Regeln in den SALT Verträgen vereinfacht werden um wirkliche Reduzierungen zu erreichen. Hauptdiskussionspunkt dürfte dabei aber nach wie vor der von den USA einseitig gekündigte und von Russland zur Bedingung gemachte ABM Vertrag sein. Wahrscheinlich wird hier keine Lösung vor Dezember 2009 zu erwarten sein und es ist damit zu rechnen, dass die bestehenden Vereinbarungen zunächst für weitere 5 Jahre festgeschrieben werden. Inwieweit sich beide Seiten in den Positionen zu missile defense und dem von den Amerikanern beabsichtigten verbundenen Radarsystem für Tschechien und dem Raketenabwehrsystem in Polen annähern werden, bleibt abzuwarten.
In diesem Zusammenhang beschäftigen sich die Think Tanks natürlich auch mit dem Thema Iran. Es lassen sich derzeit verschiedene Strömungen, die der Ideologen, die der Reformer und die der Pragmatiker ausmachen. Abhängig davon, welche Kräfte dort zum Zuge kommen wird sich auch das künftige Verhältnis zu den Machthabern entwickeln. Die letzten zwanzig Jahre waren diesbezüglich von einer sehr wechselhaften Entwicklung gekennzeichnet. Mal zurück, mal seitwärts, mal vorwärts. Die neue US-Administration hat hierzu bereits die Bedeutung der Diplomatie für eine Verbesserung der Beziehungen signalisiert. Nach Juni wird man sehen welche Entwicklung dieses Angebot hat. Sicher wird dies nicht unmittelbar zum Aufbau bilateraler Beziehungen führen aber das Signal der Gesprächsbereitschaft ist ein erstes Angebot das Eis zwischen den Akteuren zu brechen.
Washingtoner Impressionen
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Das weitere Programm führte die Delegation anschließend in das Außenministerium der Vereinigten Staaten. Eine Woche nach dem Besuch des deutschen Außenministers bei seiner Amtskollegin Hillary Clinton, konnten die Teilnehmer des SP09 mit Vertretern des Außenministeriums Fragen der deutsch – amerikanischen und europäischen Zusammenarbeit diskutieren.
Natürlich war insbesondere das transatlantische Verhältnis und die Verbesserung der in den vergangenen Jahren unter der Vorgängerregierung etwas abgekühlten Beziehungen Thema der Gespräche. Auch hier – und das habe ich bereits mehrfach im Reisebericht erwähnt – scheint der „wind of change“ schnell Raum gegriffen zu haben und mit einer hohen Erwartungshaltung auf beiden Seiten verknüpft zu sein. Man wolle die „substantiellen und prozessbedingten unterschiedlichen Ansichten der letzten Jahre überwinden“, so Claire Pierangelo, die zuständige Direktorin der Abteilung Zentraleuropa. Dies schließt natürlich das Verhältnis zu Russland ein, dass so der Vizepräsident Biden engagiert, kooperativ und unter Einbeziehung der NATO- Partner stattfinden soll. „Press the reset button in the Russia relations“, so der Vizepräsident Biden auf der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz. Genau an dieser Stelle zeigt sich die neue Denkrichtung der amerikanischen Regierung – oder zumindest der Wille, gemeinsame Herausforderungen auch kooperativ und unter Berücksichtigung anderer Sichtweisen als der amerikanischen gestalten zu wollen. Eine Trennung zwischen altem und neuem Europa wird es demnach zukünftig nicht mehr geben. Die neue Administration ist fest gewillt, hierzu den notwendigen Dialog zu beginnen. Das Engagement der Vergangenheit sei diesbezüglich weder strukturiert noch systematisch gewesen.
Die Seminarteilnehmer vor dem Weißen Haus.
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Natürlich sind hierzu viele Einzelmaßnahmen notwendig. Dies sehen auch die Vertreter des Außenministeriums so und knüpfen besonders an den bevorstehenden NATO-Gipfel im April hohe Erwartungen. Neben der notwendigen Befassung mit einem den Herausforderungen angepassten strategischem Konzept für das Bündnis wird vor allem dem Erfolg der Allianz in Afghanistan besondere Bedeutung beigemessen. Mit der Erkenntnis, dass nicht die militärische Schwerpunktsetzung, sondern nur ein ganzheitlicher und umfassender Ansatz in Afghanistan Erfolg zu versprechen scheint, schwenken die Amerikaner auf eine europäische Sicht der Dinge ein. Dabei ist Deutschland als Motor für den vernetzten ganzheitlichen Ansatz ein Schlüsselpartner für die Allianz, so die Vertreter des Außenministeriums.
Auch die europäischen Bemühungen im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) bezeichnen die Amerikaner als gewinnbringend und fruchtbar für das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Eine effiziente und enge Kooperation in diesen Fragen wird auch Ergebnisse liefern von der alle Seiten profitieren können. Ziel muss es sein, in den einzelnen Gremien zu gemeinsamen akzeptierten Entscheidungen zu kommen, anstatt über die jeweils getroffenen Entscheidungen ergebnislos zu streiten. Wichtige Bedeutung kommt dabei den gemeinsamen Konsultationen und Gesprächen zu und die herausgehobene Bedeutung diplomatischer Beziehungen. Hier ist bereits heute ein neues Klima zu spüren und eine Verbesserung in der Zusammenarbeit erkennbar. Der allgemeine Trend ist positiv – auch und gerade zu Staaten, deren Verhältnis zu Amerika eher als belastet galt.
Ob Nordkorea, das Verhältnis zu China, die Taiwanfrage oder eben auch der Iran. Die Erkenntnis wächst, dass bei aller Unterschiedlichkeit in der Bewertung von Sachfragen nur eine an tragfähigen Lösungen für beide Seiten orientierte Politik Erfolg versprechend sein wird. Natürlich durfte auch das Thema Friedensprozess im Nahen und Mittleren Osten nicht fehlen.
Die Amerikaner sind bereit, wenn nötig eine Führungsrolle zur Bewältigung des Konfliktes zu übernehmen und hofft auf die Mithilfe anderer Nationen, nicht zuletzt auf die anderen Mitglieder des Nahost Quartetts zur Umsetzung der road map. Nach diesem informationsreichen Tag stand zum Abschluss noch ein Treffen mit dem Deutschen Botschafter in Washington D.C., Dr. Klaus Scharioth, auf dem Programm.
Einen besseren Termin für dieses Gespräch zum Abschluss der Reisewoche in Washington D.C. hätten sich die Organisatoren der Reise nicht aussuchen können. Botschafter Dr. Scharioth fasste in seinem Vortrag noch einmal die wesentlichsten Zielsetzungen der neuen US-Administration aus deutscher Sicht zusammen und ermöglichte so den Seminarteilnehmern die vielfältigen Eindrücke und Informationen der vergangenen Tage zu reflektieren. Folgende acht Themen stehen dabei im Zentrum der zukünftigen Arbeit des neuen Präsidenten und seiner Regierungsmannschaft:
- Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise als die derzeit alles beherrschende Herausforderung. Alleine die in den letzten zwölf Monaten um 3,6 Millionen angestiegene Zahl der Arbeitslosen, davon 1.3 Millionen im letzten halben Jahr und erwarteten weiteren zwei Millionen in den nächsten zwei Monaten, zeigt annähernd die Dimension der Krise. Das nach vielen Diskussionen gebilligte „stimulus-Paket“ von annähernd 780 Milliarden US $ für die nächsten 10 Jahre und das auch damit verbundene erneut sprunghaft ansteigende Haushaltsdefizit, belastet zunächst einmal, bevor es seine hoffentlich positiven Wirkungen zur Entfaltung bringt.
- Ein Konzept für eine nachhaltige Klima und Energiepolitik mit der Schwerpunktsetzung auf erneuerbare Energien, speziell Solar und Wind soll bis Dezember 2009 fertig gestellt werden. Entgegen vergangener Zeiten will die USA beim nächsten Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen eine Führungsrolle einnehmen. Anders als bei seinem demokratischen Vorgänger Bill Clinton wird Obama aber seine Vorstellungen erst im Kongress besprechen, um mit abgestimmten und auch in Amerika durchsetzbaren Positionen in die Verhandlungen zu gehen.
- Die Frage der Abrüstung, an anderer Stelle im Reisebericht bereits erwähnt, ist ein weiteres Thema auf der Agenda des neuen Präsidenten. Hier ist das Ziel, wenn auch wahrscheinlich nur in kleinen Schritten, die weitere Reduzierung nuklearer Waffen und dazu die Wiederannäherung im Hinblick auf die mit Russland geschlossenen Verträge.
- Eine der ersten Maßnahmen per directive order, der Befehl zur Schließung von Guantanamo spätestens zum Ende des Jahres 2009 hat große Anerkennung gefunden. Das Ziel ist also formuliert – jetzt stellt sich nur noch die Frage wie der Weg dahin gestaltet wird und welche Fragen zur Erfüllung des Auftrages zu beantworten sind.
- Das Thema Iran und das zuletzt in München gemachte Gesprächsangebot macht, wenngleich die Reaktion des iranischen Außenministers im Rahmen der Konferenz zurückhaltend war, Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation. Ob es nun vor oder erst nach der Wahl zu den ersten Gesprächen kommt liegt in der Entscheidung des Präsidenten.
- Ein weiteres beherrschendes Thema ist nach wie vor die Lage und Entwicklung in Afghanistan. Die Absicht vom rein militärischen Ansatz hin zu einem umfassenden und vernetzten Ansatz zu gelangen und dabei die Bemühungen zum Aufbau, Ausbau und Stabilisierung einer tragfähigen Regierung für ganz Afghanistan und zum Prozess des „winning hearts and minds“ beizutragen, stimmt zuversichtlich. Dies alles soll in enger Konstellation mit den Alliierten geschehen und ist ein erneuter Beleg für die neue Denkrichtung im Weißen Haus.
- Der Brief Obamas an den russischen Präsidenten und sein Angebot „alle Themen auf den Tisch zu legen“ ist Ausdruck des bereits vom Vizepräsident Biden in München gemachten Ausspruches „den reset button“ zu drücken. Ein erster praktischer Schritt seitens der Russen ist die Absichtserklärung keine Iskanderraketen (SS 26 stone) in Kaleningrad stationieren zu wollen.
- Und nicht zu vergessen das bereits erwähnte Thema des Nahost Friedensprozesses, in dem Amerika den Druck auf beiden Seiten aufbauen will, um den „gelähmten Prozess“ wieder in Gang zu setzen. Hierzu muss sich jedoch auch erst einmal eine tragfähige Regierung in Israel konstituieren.
Mit diesem informativen Vortrag endete die „Washington Woche“ und mit dem Amtrak Acela Express 2220 fuhr man, nach der Besichtigung einiger Museen wie das Luft – und Raumfahrtmuseum oder auch die Nationalgallerie, am folgenden Tag von Washington D.C. nach New York der zweiten Station der diesjährigen USA Reise des SP09.