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Digitalisierung: Raus aus dem Dschungel, und zwar schnell

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Digitalisierung durchdringt die Wirtschaft, die Arbeitswelt und den Alltag, und sie stellt auch die Sicherheitspolitik vor neue Herausforderungen. Grund genug für die BAKS, sich mit einem neuen Weiterbildungsformat des Themas „Digitalisierung und Sicherheitspolitik“ anzunehmen. Die für Deutschland relevanten technischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können dabei in Berlin gut ausgeleuchtet werden. Um zu erleben, womit technisch und wirtschaftlich insgesamt zu rechnen ist, muss man allerdings dahin reisen, wo Wirtschaftskraft, Finanzvolumen und Wissenschaft sich treffen – ins Silicon Valley.

Mehrere Menschen stehen Smartphones in der Hand haltend auf der Dachterrasse des Bundeskanzleramts in Berlin und blicken fotografierend zum Reichstag hinüber.

Perspektivwechsel: Das Fachseminar Digitalisierung und Sicherheitspolitik beginnt in Berlin, unter anderem mit Gesprächen im Bundeskanzleramt. Foto: BAKS/Sommerfeld

Der zweite Durchgang des Fachseminars Digitalisierung und Sicherheitspolitik liegt hinter uns. Erneut hat die BAKS Führungskräften aus Ministerien, Behörden, Medien, Nichtregierungsorganisationen und der Wissenschaft die Möglichkeit geboten, den Themenkomplex Digitalisierung und Sicherheitspolitik mit Politikern, Wissenschaftlern, Vertretern der Administration, der Wirtschaft und aus Think Tanks hier in Berlin und in San Francisco und dem Silicon Valley zu diskutieren und hautnah zu erleben. Am Ende stehen tiefe Eindrücke aus erster Hand und eine beginnende Vernetzung der Seminargruppen, die den Gedankenaustausch untereinander und in den Organisationen der Teilnehmenden dauerhaft befeuern werden.

Was bleibt, wo stehen wir? Während in einzelnen Regionen der Welt rasante digitale Entwicklungen vehement Einzug in Wirtschaft und Alltag halten, befinden sich Deutschland und auch Europa gefühlt noch eher am Beginn einer Phase des technischen Übergangs. Die gesellschaftlichen Diskussion und politische Normenfindung verlaufen bislang schleppend. Wesentliche internationale Mitstreiter haben diese Phase offenbar schon hinter sich; grundlegende Entscheidungen sind getroffen und die Umsetzung läuft. Noch schneller sind freilich die Gegner der freiheitlichen Demokratie: Vor allem in totalitär regierten Ländern ist die zielgerichtete Nutzung der digitalen Welt bereits Programm.

Deutschland ist Digitalisierungsdschungel

Eine Gruppe von Menschen steht vor einem Gebäude mit einer großen Videowand daran, die das Logo von Facebook und jenes der BAKS zeigt.

Im Silicon Valley, hier zum Beispiel der Facebook-Zentrale, nimmt das Seminar Chancen und Risiken der Digitalisierung in den Blick. Foto: BAKS/Knoechelmann

In Deutschland tut man sich schwer. Die Zielfindung zwischen Technologiegläubigkeit und Angst vor dem Neuen gestaltet sich denkbar schwierig. Zuständigkeiten in Bund und Ländern sind fragmentiert, der digitale Wandel hat weder in der öffentlichen Verwaltung, der Lehre an Schulen und Universitäten, noch in weiten Teilen der Wirtschaft so richtig gegriffen. Der politische Wille ist erkennbar, kann sich in dem vom Ressort- und Föderalprinzip geprägten Kompetenz- und Zuständigkeitsdschungel aber nicht so richtig durchsetzen. Wer packt an, wer übernimmt spürbar Führung? Während die Jüngeren wie selbstverständlich Technologie und deren Nutzungsmöglichkeiten erkennen und anwenden, warnen die Älteren (und damit oft auch die Entscheidungsträger) vor dem Verlust der digitalen Selbstbestimmung und dem Missbrauch durch Staaten, global agierende Wirtschaftsunternehmen und mitunter international tätigen kriminelle Organisationen.

Der Blick in digitale Hochburgen des Westens wie zum Beispiel die Bay Area rund um San Francisco liefert den maximalen Kontrast: „Was geht wird auch gemacht“, das kann man kaum greifbarer erfahren, als hier. Das Silicon Valley ist eine eigene Ökosphäre und ein digitales Erlebnis. Eingerahmt von den beiden Eliteuniversitäten University of California, Berkeley (staatlich) im Norden und der Stanford University (privat) im Süden, treffen hier auf der Basis von Hochtechnologieforschung und herausragender wissenschaftlicher Ausbildung ungezügelte Wirtschaftskraft und ein voluminöser und nahezu ungeregelt erscheinender Finanzmarkt aufeinander. Auf dieser Grundlage und durch den ständigen technologischen und personellen Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sind die Weltmarkführer digitaler Technik und sozialer Medien sowie eine innovationskräftige und dynamische Startup-Szene entstanden. Eine Blaupause kann und soll die Region für Deutschland nicht sein – Finanzmarkt, Wirtschaft und Wissenschaft unterliegen hier aus gutem Grund anderen Regeln. Mit der Dynamik gehen zudem auch negative Entwicklungen wie Wohnungsnot, Mietenexplosion und soziale Spannungen bis hin zu steigender Obdachlosigkeit einher, die wir sicherlich nicht kopieren wollen.

Aufholen und Gestalten – schnell, und solange es noch geht

Ein Mann sitzt an einem Computer mit zahlreichen Bildschirm; dahinter stehen zwei weitere Männer, und an der Wand hängen weitere Bildschirme.

Wer übernimmt die Führung? In Deutschland sind zahlreiche Behörden mit der Digitalisierung befasst. Foto: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

Der Blick ins Silicon Valley zeigt aber, dass Deutschland und Europa schnell einen eigenen Weg aus dem Dschungel in die nachhaltige digitale Transformation werden finden müssen. Es stellt sich nicht die Frage, wo wir überall mitmachen wollen. Wir können uns vermutlich nur noch entscheiden, wie schnell wir umfassend, konsequent und nachdrücklich wir digitale Technik und Verfahren einführen und wie wir diese dann gegen Missbrauch im staatlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Umfeld absichern können.  Um den Anschluss nicht vollends zu verlieren, bedarf es eines schnellen Einstiegs in eine umfassende gesellschaftliche Diskussion, die machbare Lösungen und zügige Entscheidungen fördert. Gleichzeitig gilt es den Aufbau einer europäischen, konkurrenzfähigen Digitalwirtschaft zu fördern. Deutschland kann und muss mit den bereits vorhandenen Fähigkeiten und in enger Kooperation mit europäischen Partnern diesen Prozess in Gang setzen.

Wenn wir noch lange mit Bestandsaufnahmen und mit Abwarten beschäftigt sind, werden uns in anderen Regionen der Welt Entscheidungen auch zu den Themen abgenommen, bei denen wir heute noch selber Einfluss nehmen könnten und bei denen andere Länder auf unsere Kompetenz und Leistungsfähigkeit bauen. Das Beispiel der zwar auch im Silicon Valley noch immer diskutierten, aber durch die dortige Wirtschaft bereits weithin adaptierten Datenschutzgrundverordnung zeigt, dass wir derzeit zwar technisch um den Anschluss ringen, aber in organisatorischen und rechtlichen Fragen des Umgangs mit Digitalisierung Standards setzen können. Noch ist Raum, um unsere Vorstellungen zum Beispiel zu Recht und Ethik im digitalen Raum zu formulieren und als Standardisierungsvorschlag einzubringen – sie werden zumindest in einigen Regionen der Welt auf fruchtbaren Boden fallen.

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik wird das Thema Digitalisierung auch weiterhin im Fokus behalten. Das nächste Fachseminar ist bereits terminiert, und auch in vielen anderen Formaten und Angeboten der BAKS werden Digitalisierung und Sicherheitspolitik weiterhin prominent Raum einnehmen.

Autor: Jörg Knoechelmann ist Seminarleiter des Fachseminars Digitalisierung und Sicherheitspolitik. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.