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Der dornige Weg zum Gipfel - Hindernisse des chinesischen Aufstiegs

Mittwoch, 21. Oktober 2009

„Der dornige Weg zum Gipfel – Hindernisse des chinesischen Aufstiegs“ – Die übergeordnete Frage war wie sich der Aufstieg Chinas in unterschiedlichen Bereichen gestaltet und welche Bedeutung dieser für Europa und Deutschland heute und zukünftig hat bzw. haben wird.

Die verbotene Stadt von Bejing
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Zur Klärung dieser Frage kamen am 21. Oktober 2009 ca. 80 deutsche Wissenschaftler, China-Interessierte und Studenten aus unterschiedlichen Fächern deutscher Universitäten zusammen, um im Rahmen der „Trierer China-Gespräche 2009“ den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik China zu diskutieren. Veranstaltet wurden die Trierer China-Gespräche von der Juniorprofessur für Politikwissenschaft / Internationale Beziehungen und der BAKS. Zu Beginn widmete man sich dem Themenkomplex die „Folgen der Finanzkrise“ und stellte die Grundsatzfrage, ob für China ein Aufstieg trotz der aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen möglich sei. Dabei wurde insbesondere das Spannungsfeld von den wirtschaftlichen Problemfeldern, wie Arbeitslosigkeit und Einkommensdisparitäten, bis hin zum gleichzeitig geforderten Wachstumsziel der chinesischen Volkswirtschaft von jährlich acht Prozent dargestellt.

Im Ergebnis der ersten Diskussionsrunde konnten drei Besonderheiten, welche den Umgang Chinas mit der derzeitigen Finanzkrise charakterisieren, herausgearbeitet werden:

  1. Der Umgang der chinesischen Regierung mit der Finanzkrise ist bisher erfolgreicher und effektiver verlaufen als in vielen westlichen und kapitalistischen Systemen. Grund dafür ist unter anderem seit langer Zeit nicht mehr angewandte Verfahren der Kommandowirtschaft, die die Verwaltung in dieser Krisenzeit eingesetzt hat,
  2. eine besondere Agilität in der Umsetzung der Maßnahmen des Konjunkturprogramms, und
  3. die Forcierung bereits vorhandener langfristiger Entwicklungsvorhaben. Leider ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Deutschland und Europa oft China besonders im Bereich der Innovationsleistung unterschätzen. Eine politische Krise wird in China in nächster Zeit immer wahrscheinlicher, aber der Aufstieg Chinas als Nation und vor allem der chinesischen Unternehmen auf dem Weltmarkt ist dabei kaum aufhaltbar.

Die zweite Themenrunde beschäftigte sich mit der „China-Politik der USA“. Hierbei sollte auf die zentrale Leitfrage, ob Washington D.C. gegenüber Beijing eine Politik der Einhegung betreibe, eine Antwort gesucht werden. Aber was bedeutet in diesem Kontext „Einhegung“? Nach einer kurzen gemeinsamen Begriffserarbeitung wurde die positive als auch die negative Sichtweise innerhalb der USA bzgl. des chinesischen Aufstiegs skizziert, um abschließend die amerikanische Strategie gegenüber der Volksrepublik zu erläutern. In den USA gibt es vermehrt Strömungen, die den Aufstieg Chinas, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, begrüßen bzw. nicht gegen ihn aktiv arbeiten. Dies zeigt sich bspw. in der Hinnahme des massiven Handelsbilanzdefizits auf Seiten der USA und der Unterstützung des chinesischen Beitritts zur WHO. Auf der anderen Seite herrscht in den USA Misstrauen gegenüber der Volksrepublik. Washington D.C. betreibt gegenüber Beijing eine Politik mit dem Ziel, seinen eigenen Vorsprung in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht weiter aufrechtzuerhalten. Dieser Abstand soll den Drang Beijing zur Gegenmachtbildung dämpfen. Gleichzeitig hält Washington D.C. an einer Politik der Kooperation fest. Solange China von der Pax Americana profitiert, könnten die USA darauf hoffen, dass ihr derzeitiger hegemonialer Status wenigstens geduldet wird. Dies kann man durchaus als Strategie „Abstandswahrung durch Einbindung“ bezeichnen.

In der dritten Runde sollten die „Folgen der Umweltmisere für China und die Welt“ thematisch diskutiert werden. Es stellte sich schnell heraus, dass der Rolle Chinas in den Verhandlungen um ein Klimaschutz-Abkommen insbesondere in Bezug auf seine Rolle als Interessenvertreter der Entwicklungsländer gegenüber den Industrieländern ein besonderer Stellenwert zukommen wird. Zunächst wurde jedoch auf die inländischen Fakten kurz hingewiesen, wie z.B. das Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sowie auf das Umweltbewusstsein, das erst in den letzten Jahren in der chinesischen Regierung entstanden ist. Hierbei konnten sehr deutlich die vorhandenen Disparitäten der chinesischen Entwicklung und die damit zusammenhängenden Umweltprobleme herausgestellt werden. Besonders der starke Trend zur Urbanisierung in China und die unzulänglichen Möglichkeiten der Abwasserreinigung und Luftreinhaltung in den Städten stellt für Beijing ein wesentliches und quasi unlösbares Dilemma dar. Zwar konzentriert sich Beijing in letzter Zeit vermehrt auf die Umweltpolitik – insbesondere auf die Förderung erneuerbarer Energien, neuer Technologien zur CO2-Einsparung und die Aufwertung der Umweltbehörde zum Umweltministerium –, aber aus dem eingeschränkten Informationszugang und der unterschiedlichen Umsetzung von Politiken auf zentraler und lokaler Ebene ergeben sich automatisch konkrete Probleme in der Umsetzung.

Zukünftig wird dieser Themenbereich – neben der Bewältigung der inländischen „Baustellen“ – insbesondere der Zusammenhang zwischen dem Ansehen der chinesischen Regierung in der internationalen Gemeinschaft und ihrem wenig kooperativen Verhandlungsverhalten im Bereich Klimaschutz eine Schlüsselfrage zukommen. China wird sich –vom Selbstverständnis her – so lange auf den Status eines Entwicklungslandes berufen, wie die amerikanische Regierung auch keine entscheidenden Maßnahmen zum Klimaschutz treffen werden.

Die internationale Suche Chinas nach Energieträgern war das Thema des vierten Panels. Hier drehte sich alles um die Frage, ob ggf. Rohstoffknappheit eine Wachstumsgrenze für China darstellen könnte.

Über die Darstellung der Entwicklung des chinesischen Energieverbrauchs, den Vergleich der Empfehlungen der Internationalen Energieagentur mit der chinesischen Energiepolitik und einen kurzen Blick auf die chinesische Afrikapolitik, konnten in einem ersten Schritt einige klassische Vorurteile über die chinesische Energiepolitik und den Ressourcenverbrauch geklärt werden. Natürlich wird sich in den nächsten Jahrzehnten der Energiemix Chinas wandeln. Hier kann insbesondere bei Erdöl und Erdgas mit einem steigenden Verbrauch gerechnet werden. Allerdings sind mit Stand heute die Transportwege und Pipelines für Erdöl bzw. Erdgas noch nicht so ausgebaut, dass der wachsende chinesische Energieverbrauch damit gedeckt werden kann.

Ein Ausschnitt der chinesischen Mauer
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

In dieser Fragestellung (Lösung der Ressourcenknappheit) geht Beijing aber auch andere, moderne Wege, die im Westen nicht überall bekannt sind. Insbesondere der Ausbau erneuerbarer Energien, der Einsatz von neuen Technologien und mögliche Energiekooperationen mit anderen Staaten sind im Portfolio vertreten und werden insbesondere durch die aufgelegten Konjunkturprogramme stark gefördert. Das Verhalten chinesischer Energieunternehmen in Afrika kann hingegen eher als Experiment, bei welchem die chinesischen Staatsunternehmen viel Geld verlieren und mit den westlichen Energieunternehmen kaum konkurrieren können, bewertet werden. Für den Westen stellen die unkonditionierten Leistungen Chinas für Länder, aus denen es Erdöl und andere Rohstoffe importieren möchte, eine besondere Herausforderung dar.
Sie unterlaufen damit direkt deutsche und europäische Ziele zur Förderung von Good Governance durch konditionierte Hilfsleistungen (wie z.B. in der Frage der Menschenrechtsverletzungen).

Das abschließende Panel stellte die Frage, ob China eine Chance oder eine Herausforderung für Deutschland und Europa darstellt. Hier wurde der Versuch gemacht, die bis dato gehörten Thesen und Diskussionsbeiträge einzuschließen, und in Bezug auf die dargestellten Perspektiven für die deutsche und europäische Außenpolitik zusammenfassen.
Diese Beantwortung erfolgte anhand folgender Leitfragen:

  • Welche Hilfestellungen können Europa und Deutschland leisten, um Chinas Probleme zu lösen?
  • Welche Möglichkeiten haben Deutschland und Europa für sich selbst, um die durch China entstehenden Herausforderungen zu bewältigen?

Hierbei wurde klar herausgearbeitet, dass lediglich wirtschaftlicher und technologischer Austausch und Hilfestellungen mit und für China wünschenswert bzw. hilfreich sei, hingegen seien politische Hilfestellungen weder möglich noch normativ wünschenswert.

Zu dem letzten Teil, den Implikationen für die deutsche Außenpolitik, konnte festgehalten werden, dass die Handlungsspielräume Deutschlands deutlich begrenzt sind. Zudem ist die europäische China-Strategie unrealistisch, da man sich eine Transformation Chinas nach dem eigenen Bilde derEU wünscht. Hier liegt das Problem in erster Linie bei den Einstellungen der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU zu China. Sie divergieren zu stark voneinander.

Die Frage, ob Europa sich selbstbewusster gegenüber China verhalten solle oder ob in Europa ein mangelndes Verständnis hinsichtlich Chinas vorherrsche, konnte in diesen ersten „Trierer China-Gesprächen“ nicht abschließend beantwortet werden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Beijing zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen hat bzw. auch offensiv angeht und der Aufstieg in nächster Zeit weiter weitgehend ungebremst voranschreiten wird. Die Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven hat darüber hinaus gezeigt, dass monokausale Erklärungen des chinesischen Aufstiegs in die Irre führen. Nur ein multiperspektivischer Blick ermöglicht es dem Betrachter, jene Kräfte besser zu verstehen, die das Reich der Mitte bewegen.

Autor: Manfred Bohr