Aktuelles

Alumni-Treffen 2011

Freitag, 24. Juni 2011

Ein Kernelement der Alumni-Treffen sind Gesprächsgruppen, die von ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern inhaltlich gestaltet und moderiert werden. Der enge Bezug zum jeweiligen Arbeitsgebiet des bzw. der Ehemaligen macht dabei einen „Blick hinter die Kulissen“ möglich.

Bei Protesten in Ägypten wird ein Schild hoch gehalten

Die Nutzung neuer Medien wie Facebook durch Jugendliche hat die revolutionäre Bewegung unterstützt.
Quelle: Essam Sharaf, Wikimedia Commons

In diesem Jahr wurden folgende Themen angeboten:

  • Neuausrichtung der Bundeswehr
  • Euro am Ende?
  • Pirateriebekämpfung durch die Bundespolizei
  • Das THW in Japan: Geschichte eines schwierigen Einsatzes
  • Krisen in der arabischen Welt und Rüstungsgeschäfte

Das letztgenannte Thema schlug den inhaltlichen Bogen zum Themenschwerpunkt des Alumni-Treffens. Experten aus den Bereichen Medien, politische Stiftungen und Entwicklungszusammenarbeit trugen ihre Einschätzungen zur aktuellen politischen Situation in Nordafrika vor.

Die Diskussion wurde mit der Frage eröffnet, ob die politischen Umwälzungen in den nordafrikanischen Ländern vorhersehbar gewesen sind. Zwar scheine es eine herrschende Meinung auf nationaler und internationaler Ebene zu geben, dass der Umbruch „aus heiterem Himmel“ kam. Doch müsse man sich eingestehen, dass Informationen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, wie sie zum Beispiel im Arab Human Development Report (hrsg. vom United Nations Development Program - UNDP) bereits 2002 veröffentlicht wurden, in ihrer Tragweite nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Daraus wäre ersichtlich gewesen, dass gesellschaftliche Strukturen, wie zum Beispiel die fehlende Säkularisierung, ein kaum vorhandenes Wirtschaftswachstum, eine hohe Arbeitslosigkeit oder rasantes Bevölkerungswachstum in diesen Ländern zu großen Spannungen führten und ein Aufbegehren der Bevölkerung damit durchaus vorstellbar gewesen wäre.

Einen wichtigen Aspekt stellten Überlegungen dar, wie sich die Situation in den arabischen Staaten weiterentwickeln könnte. Die Gefahr einer islamischen Radikalisierung dürfe nicht unterschätzt werden, insbesondere dort, wo islamische Kräfte unterdrückt worden sind. Sowohl die Bundesrepublik als auch die Europäische Union sollten zukünftig im Dialog mit den arabischen Staaten verstärkt auf konstruktive Zusammenarbeit setzen, um den Aufbau und die Festigung demokratischer Strukturen zu fördern.

Das Thema „Umbruch in Nordafrika“ wurde am zweiten Tag der Veranstaltung mit einer Panel-Diskussion fortgesetzt. Mittels einer Skype-Schaltung berichtete eine Auslandskorrespondentin der Deutschen Welle in Kairo über die Geschehnisse in Ägypten. Zum einen seien die Aufbruchstimmung und die Hoffnung auf Wandel ganz deutlich spürbar. Zum anderen sei aber auch ein gewisses Chaos eingezogen, da die ständigen Demonstrationen auf Kairos Strassen doch erheblich in das tägliche Leben eingriffen. Trotz der Hoffnung auf einen schnellen Wandel mache sich eine große Ungeduld in der Bevölkerung breit. Diese Zustandsbeschreibung sei aber nicht auf alle arabischen Länder übertragbar, die sich momentan in einem Wandel befinden. Die einzelnen Länder hätten unterschiedliche Dynamiken und Grundlagen, weshalb man jedes Land für sich betrachten müsse. Deutschland könne Ägypten einen großen Dienst erweisen, indem es das Land wirtschaftlich unterstütze.

Auch die Auswirkungen der Unruhen auf die öffentliche Sicherheit wurden thematisiert. Die Kriminalität in Ägypten habe spürbar zugenommen; in Jemen und Syrien sei die Sicherheitslage weit kritischer, so dass Unternehmen und Organisationen ihre Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen abzögen. Festzuhalten bleibe, dass der Wandlungsprozess langwierig und teilweise unvorhersehbar sein werde. Westliche Solidaritätsbekundungen sollten in Taten umgesetzt werden.

Der Ruf der Deutschen in den arabischen Ländern sei weiterhin gut. Grundsätzlich gelte, dass die arabischen Länder für die weitere Entwicklung selbst verantwortlich seien und nicht darauf spekulieren sollten, dass der Westen hier die Führung übernehmen werde. An Unterstützung solle es auch von deutscher Seite keinesfalls fehlen, aber das Motto laute Hilfe zur Selbsthilfe. Deutsche Firmen sollten die Chance nutzen, in diesen Staaten investieren.

Bezüglich der Frage, wie die Demokratisierungsprozessen in den arabischen Ländern einzuschätzen seien, wurde davor gewarnt, verfrüht von „demokratischer Bewegung“ zu sprechen – zu unterschiedlich sei die Lage in den jeweiligen Ländern. Während der Demonstrationen und Aufstände seien immer wieder zwei Begriffe gefallen: „Freiheit“ und „Würde“. Besonders wichtig sei hier der Begriff der Würde. Nach der Erfahrung mit autokratischen Regimen sei insbesondere die jüngere Generation nicht mehr bereit, eine weitere Unterdrückung seitens des Staates hinzunehmen. Die Frage nach dem islamischen Charakter des Staates bleibe vorerst unbeantwortet, ein Dialog der Religionen sei aber notwendig. Auch Länder, die von den Revolutionsaufständen weitgehend verschont geblieben seien, wie zum Beispiel Marokko, spürten den Druck der Straße, weshalb Marokkos jetzige Reformvorhaben als überaus positiv zu bewerten seien.

Eine immer wiederkehrende Frage an den zwei Veranstaltungstagen war, wie man mit den Regimen künftig umgehen solle. Grundkonsens war, dass in den arabischen Staaten eine Form von Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Zuverlässigkeit etabliert werden sollte. Als Voraussetzung hierfür müsse die wirtschaftliche Entwicklung in den jeweiligen Ländern nachhaltig gefördert werden. Auch auf Deutschland kämen neue Aufgaben und Herausforderungen zu. Bisweilen sei die Bundesrepublik der einzige europäische Staat, welcher als autarker und authentischer Unterhändler in der Region tätig werden könne. Aber auch auf europäischer Ebene solle eine klare und einheitliche Linie formuliert werden, welche die Kontinuität und Werteorientierung europäischer Politik demonstriert und nach außen trägt.

Autor: Matthias Hieber