Wer weiß noch, wie genau es vor 23 Jahren war, als in Pankow die Revolution gegen die DDR-Obrigkeit ausbrach? Wie Waffenlager der Volkspolizei sichergestellt, konspirative Häuser aufgedeckt und die Stasi entmachtet wurden?
(v.l.n.r.) Autor Heiko Hübner, Hannelore Sigbjoernsen, Vorstandsmitglied des Kulturrings in Berlin e.V., Moderator Dr. Martin Albrecht, Schauspieler Fank-Alexander Kunze, Zeitzeuge Siegfried Zoels
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Das Buch „Konfrontationen. Kontroversen. Konsequenzen“ von Archivar Haiko Hübner, herausgegeben vom Kulturring in Berlin e. V., zeichnet die Geschichte jener Menschen nach, die sich im Herbst 1989 an sogenannten „Runden Tischen“ in den Pankower Stadtteilen Weißensee, Prenzlauer Berg und Pankow zusammensetzten und sicherstellten, dass der Übergang von der SED-Diktatur zur Demokratie umgesetzt wurde. Obwohl die Berliner Mauer am 9. November 1989 geöffnet wurde, blieben die Institutionen und Machtstrukturen der DDR in Kraft, stemmten sich Regimetreue des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), der Nationalen Volksarme (NVA) und der Volkspolizei (VP) gegen die aufbrechenden Veränderungen, gegen den Freiheitsdrang des DDR-Volkes.
Runde Tische: Ursprung und Bedeutung
Das Vorbild der Einrichtung von Runden Tischen stammt aus Polen, wo sich im Frühjahr 1989 Vertreter der kommunistischen Regierung erstmals mit der Opposition zusammensetzten und den Übergang von autoritärer Staatsführung zur demokratischen Republik besprachen und aushandelten. Dieses Beispiel wurde in der DDR nach dem Abgang des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Übergangsphase vom SED-Regime zur Demokratie aufgegriffen. Am 7. Dezember 1989 trat erstmals ein sogenannter „Zentraler Runder Tisch“ in Berlin-Mitte zusammen. Ab der vierten Sitzung am 27. Dezember 1989 bis zur 16. und letzten Sitzung am 12. März 1990 tagte der Runde Tisch im Konferenzgebäude des Ministerrates der DDR am Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow. Dieser Raum wird heute „Historischer Saal“ genannt und ist ein wesentlicher Bestandteil der Bundesakademie für Sicherheitspolitik im „Haus Berlin“.
An diesem geschichtsträchtigen Ort kam am 17. April nun ein Teil jener Akteure zusammen, die an einem der anderen „Runden Tischen“ in der DDR auf lokaler Ebene engagiert waren: in Pankow. Der Archivar Haiko Hübner verwies darauf, dass vieles von damals in der breiten deutschen Öffentlichkeit nie bekannt geworden beziehungsweise schon wieder weitgehend verdrängt und vergessen worden ist. So ist es denn auch kein deutscher Historiker, der diese basisdemokratische Einrichtung würdigt, sondern der britische Geschichtswissenschaftler Timothy Garton Ash; er bezeichnete die Runden Tische als "a work of genius" – als geniale Leistung.
Der "Mann vom Runden Tisch" in Pankow, Siegfried Zoels: "Was wußten wir schon von der Stasi?"
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Neben der ausführlichen Dokumentation Hübners beeindruckte vor allem der Zeitzeuge Siegfried Zoels. Er fasste noch einmal die Gründe zusammen, die die Runden Tische ins Leben riefen. Allen voran stand der Unmut über den Ausgang der Kommunalwahlen im Frühjahr 1989 in dem wieder einmal nach offizieller Bekanntgabe 99 Prozent die Sozialistische Einheitspartei (SED) gewählt haben sollten. Die Bürger hatten damals den Verdacht auf massive Wahlmanipulation. In Berlin war es der „Weißenseer Friedenskreis“, der als Erster das laut DDR-Gesetz verbürgte Recht auf Wahlbeobachtung wahrnahm. Die Auseinandersetzungen über den Wahlbetrug zogen sich bis ins Frühjahr 1990 hin und waren ein wesentlicher Bestandteil der Gespräche der Runden Tische.
Wie wurde man Mitglied am Tisch? „Janz einfach: zufällig“, scherzte Zoels und sagte, er hatte für eine Bürgerversammlung als einziger eine Reihe von Argumenten vorher zuhause zusammengetragen. „Und da haben die dann gesagt: Geh hin, Du bist am besten vorbereitet.“
Erst am Runden Tisch habe er, Zoels, erfahren, welche SED-Strategien es gab, und: „Wir waren ja so naiv. Was wussten wir schon von der Stasi?“
Die Runden Tische endeten mit der letzten Wahl zur Volkskammer der DDR; es war gleichzeitig die einzige, die demokratischen Grundsätzen entsprach. Sie fand am 18. März 1990 statt.
Mit Lesungen dieser Art versucht die Bundesakademie für Sicherheitspolitik zusammen mit dem Kulturring in Berlin e.V. und dem Verein für Pankow e.V. das Bewusstsein für maßgebliche historische Zusammenhänge in der jüngeren deutschen Geschichte zu fördern.
Autor: Tom Goeller