Blaulichtkräfte und Bundeswehr stützen sich auf ein hohes Vertrauen der Menschen in Deutschland. Sascha Stoltenow wirbt dafür, sie im gesamten Bundesgebiet stärker als glaubwürdige Gesichter des Dialogs über Sicherheit einzubinden. Foto: Bundeswehr / Anne Weinrich
„Hast Du eigentlich auch so einen Notvorrat zuhause?“ – Die Frage meines Branchenkollegen, mit dem ich mich zum Mittagessen verabredet hatte, kam überraschend. Gewöhnlich sprachen wir über Fachthemen. Doch halt, war nicht genau das ein echtes aktuelles Fachthema? Denn als ich ihn fragte, wie er darauf käme, antwortete er, dass er dazu irgendwo etwas gelesen habe. Wo und vom wem genau, konnte er nicht sagen. Ob sich die Kolleginnen und Kollegen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das vermutlich die Quelle seiner Informationen war, eher darüber freuen, dass diese angekommen sind, oder sich eher fragen, warum sie als Absender nicht bekannt sind, kann ich nicht einschätzen. Diese Anekdote zeigt jedoch, dass sicherheitsrelevante Themen, die bislang wenig präsent waren, im Alltag vieler Menschen angekommen sind.
Doch wie ist es um den sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland insgesamt bestellt? Wie informiert und kompetent sprechen wir als Gesellschaft über Fragen der nationalen Sicherheit? Inwiefern sind Themen, Konzepte und Aktivitäten bekannt, die die Bundesregierung in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie von 2023 unter dem Stichwort „Integrierte Sicherheit“ skizziert hat? Und welche Möglichkeiten gibt es, das darin von der Bundesregierung formulierte Ziel zu erreichen, „ein in der Breite unserer Gesellschaft verankertes Verständnis von Integrierter Sicherheit zu entwickeln“? Dieses Arbeitspapier will Impulse geben, sich diesen Fragen anzunähern. Ausgangspunkt dafür ist eine Klärung grundlegender Begriffe. Anschließend erfolgt eine kompakte Darstellung und – bewusst subjektive – Bewertung des Status Quo der sicherheitspolitischen Kommunikation und der damit verbundenen kommunikativen Herausforderungen, bevor mögliche Handlungsoptionen für die Kommunikation aufgezeigt werden.
Integrierte Sicherheit, Gesamtverteidigung, Integrierte Kommunikation, Strategische Kommunikation
Bevor man sich den strategischen Überlegungen zur Kommunikation zuwendet, ist eine Klärung zentraler Begriffe sinnvoll: Integrierte Sicherheit, Gesamtverteidigung, Integrierte Kommunikation und Strategische Kommunikation. Diese werden – auch von Verantwortlichen in staatlichen Institutionen und bei Behörden – häufig nicht einheitlich verwendet, obwohl sie einen relevanten Bezugspunkt ihrer Arbeit bilden sollten.
Im Juni 2023 hat die Bundesregierung erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie beschlossen. Darin wird auch das Konzept der Integrierten Sicherheit erläutert. Es betont die Vernetzung und Interdependenz verschiedener Sicherheitsdimensionen und Akteure. Integrierte Sicherheit erkennt an, dass äußere und innere Sicherheit nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen sind und dass eine Vielzahl von Politikfeldern (Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Innen-, Gesundheits-, Bildungs-, Cyberpolitik und weitere) zur nationalen Sicherheit beitragen müssen. Der Ansatz beschreibt konzeptionell unter anderem eine horizontale Integration im Sinne einer Zusammenarbeit und Kohärenz zwischen verschiedenen Politikfeldern und vertikal über Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Ferner beinhaltet das Konzept der Integrierten Sicherheit die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure wie Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und auch der einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Integrierte Sicherheit sieht also einen gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen, ganzheitlichen Ansatz vor. Die Bürgerinnen und Bürger werden dabei nicht nur als Empfänger von Sicherheit aufgefasst, sondern sind aufgerufen, selbst aktiv einen Beitrag für die nationale Sicherheit zu leisten. Dabei bildet integrierte Sicherheit nicht nur die unmittelbare Reaktion auf Krisen ab, sondern schließt auch die vorausschauende Vorbereitung und den Aufbau von Resilienz zum Abschrecken als auch zum raschen Überwinden von Krisen mit ein. Darüber hinaus berücksichtigt das Konzept ein breites Spektrum möglicher Bedrohungen, von militärischen Aggressionen über Terrorismus, Cyberangriffe, Desinformationskampagnen, Pandemien und Klimawandelfolgen bis hin zu Störungen kritischer Infrastrukturen.
Der Begriff der Gesamtverteidigung umfasst die koordinierte Anstrengung aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte, um die staatliche Souveränität, die territoriale Integrität und die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens im Falle eines bewaffneten Angriffs von außen aufrechtzuerhalten. Gesamtverteidigung umfasst organisatorisch die militärische und gleichrangig die zivile Verteidigung, wobei beide als Gesamtverteidigung in einem unauflösbaren Zusammenhang und teilweise in direkter Abhängigkeit stehen. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind in den Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung von 2024 zusammengefasst. Diese beschreiben auch detailliert das Zusammenspiel beider Felder der Verteidigung. Zentrale Ziele der Gesamtverteidigung sind die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten, Bevölkerung und Institutionen zu schützen sowie das Territorium gegen Angriffe und Bedrohungen von außen zu verteidigen. Während die Aufgabe der Streitkräfte darin liegt, einen Angreifer abzuschrecken, abzuwehren und das Staatsgebiet zu verteidigen, fokussiert sich die zivile Verteidigung auf die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, auf Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen, wie des Gesundheitswesens, der Energieversorgung, der Wasserversorgung, der Ernährungssicherung und des Verkehrs.
Im Bereich der zivilen Verteidigung spielen Organisationen wie das Technische Hilfswerk (THW), Feuerwehren, Rettungsdienste und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine zentrale Rolle. Bei der Neuauflage der Rahmenrichtlinien im Jahr 2024 wurde diese unter anderem um den Schutz vor Bedrohungen aus dem Cyberraum und die Herstellung digitaler Souveränität ergänzt. Hierbei geht es sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich insbesondere um die Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz und die Warnung vor Desinformation. Das zeigt, dass das Konzept der Gesamtverteidigung im Lichte neuer, insbesondere hybrider Bedrohungen, neu gedacht und angepasst wurde und dabei auch dezidiert kommunikative Aspekte eine Rolle spielen.
Das Konzept der Integrierten Kommunikation hat seine Ursprünge in der Marketinglehre der 1980er und 1990er Jahre. Bereits damals stellte die zunehmende Vielfalt von Kanälen die Kommunikationsverantwortlichen vor die Herausforderung, ihre Maßnahmen besser zu koordinieren. Das Ziel dieses Ansatzes ist, Kommunikationsmaßnahmen inhaltlich, formal, zeitlich und organisatorisch so aufeinander abzustimmen, dass sie im Gegensatz zu Einzelaktivitäten ein günstigeres Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und kommunikativer Wirkung erreichen. Die stark gewachsene Zahl der Kanäle und die weiter ausdifferenzierten Erwartungen der Stakeholder in der digital vernetzten Medienwelt unterstreichen die Bedeutung koordinierter Vorgehensweisen nach dem Prinzip der Integrierten Kommunikation.
Strategische Kommunikation schließlich bezeichnet den langfristig geplanten Einsatz kommunikativer Aktivitäten und Maßnahmen, um bei definierten Zielgruppen die Akzeptanz für die eigenen Positionen zu gewinnen oder zu stärken. Die Bundesregierung versteht strategische Kommunikation demgegenüber als mittel- bis langfristig geplante Kommunikation im Rahmen der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit gegenüber dem In- und Ausland. Es gelte, im Rahmen des demokratischen Öffentlichkeitsprinzips, verlässliche Informationen zielgruppengerecht und nachhaltig zu vermitteln, um sowohl im digitalen Raum, aber auch in direktem Kontakt mit Menschen im In- und Ausland Werte und Interessen der deutschen Außenpolitik (bislang ist nur von dieser die Rede) sichtbar und Positionen verständlich zu machen.[1]
Sprachlos in einer Welt konkurrierender Narrative
Gemessen an dem durch die Bundesregierung in der Nationalen Sicherheitsstrategie formulierten Anspruch, zur Weiterentwicklung der strategischen Kultur in Deutschland beizutragen und Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Debatte zu sein, ist Deutschland von einer kommunikativen Zeitenwende noch weit entfernt. Als ein Indiz dafür mag dienen, dass der Begriff „Kommunikation“ in der Nationalen Sicherheitsstrategie selbst nur dreimal vorkommt – zweimal als Bedrohung durch kriminelle oder gegnerische staatliche Akteure, einmal als Bestandteil des Wortes Satellitenkommunikation – nicht aber als zentrales Element der Strategie selbst. Das entspricht im Wesentlichen der Kommunikationspraxis von Bundes- und Landesregierungen sowie nachgeordneter Behörden, die bislang primär auf reine Informationsarbeit und nicht auf Dialog ausgerichtet ist. Eine Ursache dafür ist – so die Hypothese des Autors – dass Kommunikation in Ministerien und Behörden als eine dem Kerngeschäft der jeweiligen Institution nachgelagerte Funktion verstanden wird, deren Aufgabe darauf fokussiert ist, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zu positionieren. Hier geht es häufig darum, Sichtbarkeit herzustellen und nicht darum, Entscheidungen und komplexe Inhalte an die Öffentlichkeit zu vermitteln. Exemplarisch deutlich wird dieses Top-Down-Verständnis von Kommunikation an einer im Juni 2025 erschienenen Publikation der Führungsakademie der Bundeswehr. Der Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National hat darin die Ergebnisse seiner Studienphase „Gesamtverteidigung in Deutschland – Folgerungen für die Bundeswehr in Krise und Krieg“ aufbereitet. Darin widmen die Autorinnen und Autoren dem Thema „Kommunikation der Gesamtverteidigung“ zwar ein eigenes Kapitel. Als entscheidende Akteure sehen sie dabei allerdings „primär Kommunikatorinnen und Kommunikatoren der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aus Bundesministerien, Landesministerien, Sicherheitsbehörden, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, Interessen- und Wirtschaftsverbänden“[2] – also genau solche Institutionen, die sich bislang mit einer modernen, dialogorientierten Kommunikation schwertun.
Eine wesentliche Herausforderung liegt darin, dass diese offizielle Verkündigungskommunikation auf ein Publikum mit geringem Interesse an sicherheitspolitischen Themen und völlig veränderten Mediennutzungsgewohnheiten trifft. Jahrzehnte des Friedens und der relativen Stabilität in Europa haben zu einer Mentalität der Friedensdividende geführt. Die Vorstellung, dass Sicherheit und Freiheit errungen und verteidigt werden müssen, ist in weiten Teilen der Bevölkerung verblasst. Bis zur deutschen Wiedervereinigung war die Frage, ob man als junger Mann zur Bundeswehr geht oder Zivildienst leistet, zumindest kurzfristig ein zentrales Gesprächsthema in westdeutschen Familien und Freundeskreisen. Analog zur Verkleinerung der gesamtdeutschen Streitkräfte, der Verkürzung des Wehrdienstes und den Veränderungen der Einberufungspraxis trat das Thema in den Hintergrund. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 haben die Bundesregierungen zudem fast vollständig aufgehört, zu erklären, warum Sicherheit weder selbstverständlich noch kostenlos ist. Daran änderte auch die Debatte über den Afghanistan-Einsatz kaum etwas. Dieses Thema bekam zwar punktuell bei Gefechtshandlungen und deutschen Gefallenen eine etwas höhere Aufmerksamkeit; eine Gesprächskultur zu diesen Themen entwickelte sich aber nicht. Dies äußert sich in einer geringen individuellen und kollektiven Krisenvorsorge, einer oft naiven Haltung gegenüber Desinformation und einer nur sehr begrenzten Bereitschaft, persönliche Einschränkungen zugunsten gesamtstaatlicher Sicherheitsinteressen zu akzeptieren. Paradoxerweise trugen also der lange Frieden und die relative Stabilität in Westeuropa in Deutschland dazu bei, dass das Bewusstsein für die Grundlagen nationaler Sicherheit schwand. (Es könnte interessant sein, zu betrachten, ob und wie diese Entwicklung auch in anderen europäischen Ländern verlief). Die Corona-Pandemie und die Vollinvasion Russlands in die Ukraine haben diese trügerische Sicherheit erschüttert, aber gleichzeitig auch gezeigt, dass wesentliche Narrative zunehmend von Akteuren auch außerhalb der etablierten Institutionen und Hierarchien beeinflusst werden und das Vertrauen in die offiziellen Stellen bei verschiedenen Bevölkerungsteilen zumindest Risse bekommen hat.
Narrative sollen in diesem Zusammenhang als sinnstiftende Erzählungen verstanden werden, die entscheidend beeinflussen, wie Menschen die Welt wahrnehmen und interpretieren. Erfolgreiche Narrative ermöglichen es Individuen, sich mit einem größeren Ganzen zu identifizieren, und legitimieren darüber hinaus das Handeln kollektiver Akteure. Ein weiteres Merkmal ist ihre Langlebigkeit, insbesondere, wenn sie Ausdruck von (politischen) Grundüberzeugungen sind. Das wiederum bedeutet, dass grundlegende Veränderungen einer sicherheitspolitischen Zeitenwende auch zwingend durch eine Veränderung bestehender strategischer Narrative sichtbar werden müssen. Diese ist bisher nur in Ansätzen zu erkennen. Statt einer breiten Debatte über die neuen sicherheitspolitischen Realitäten dominiert der Abschied von mehreren gewichtigen, bisher identitätsstiftenden Narrativen die öffentliche Diskussion.
Zwei dieser – vor allem westdeutschen – Narrative können als direkte Reaktion auf den durch Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg gesehen werden. „Nie wieder Krieg“ und „Frieden schaffen ohne Waffen“. Ein weiteres, vielleicht sogar wirkmächtigeres Narrativ findet sich in der Grundidee der Ostpolitik des späteren Bundeskanzlers Willy Brandt. Das Prinzip „Wandel durch Annäherung“, erstmals 1963 von Egon Bahr formuliert, prägte die deutsche Politik bis weit nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Zwar standen diese Narrative teilweise in einem Spannungsverhältnis zur Politik der Westbindung, mit der seit 1949 die Integration der Bundesrepublik in die westlichen Bündnisse erfolgte, und haben die parallel bestehende nukleare Abschreckung als Grundlage dieser kooperativen Politik mit der Zeit verdrängt. Die Kombination der Konzepte war jedoch ein wesentlicher Teil des deutschen Erfolgsrezepts, neben der europäischen Integration auch gute Beziehungen zu den drei Großmächten USA, Russland und China zu etablieren. Ebenso bestätigten der Ausgang des Ost-West-Konfliktes und das rasche Erreichen der Wiedervereinigung Deutschlands die deutsche Politik ja gleichsam in genau diesen Erzählungen – bis hin zu dem Punkt, dass manche Akteure in der politischen Debatte diese Glücksfälle als weltweit gültige Blaupause zur Konfliktbewältigung ansehen. Der deutsche Diplomat Thomas Bagger warnte bereits 2021 in diesem Zusammenhang vor einer „falschen Universalisierung“ der deutschen Transformationserfahrung.[3] Kommunikativ gewendet könnte man sagen, dass es zwar plausibel ist, der eigenen Erzählung zu vertrauen, dies aber auch Risiken mit sich bringt, zumal deutsche Regierungen die Chance hatten, genauer hinzuhören, wie andere europäische Staaten, insbesondere vormalige Mitglieder des Warschauer Pakts die Bedrohungslage einschätzten.
Heute wissen wir, dass sich diese Narrative in den vergangenen Jahren zumindest als brüchig, wenn nicht gar als überholt erwiesen haben. Die Hoffnung, durch enge wirtschaftliche Verflechtungen autoritäre Regime wie Russland oder China zu liberalisieren und zu befrieden, ist gescheitert. Stattdessen wurden gefährliche Abhängigkeiten geschaffen, die nun als Druckmittel gegen Deutschland eingesetzt werden können. Das Vertrauen in die USA als ultimativen Garanten europäischer Sicherheit ist durch isolationistische Tendenzen („America First“) und eine zunehmende Fokussierung der USA auf den indopazifischen Raum erschüttert. Auch die rein ökonomisch getriebene deutsche China-Politik wird zunehmend kritisch gesehen. Die Risiken von Abhängigkeiten, Technologietransfer, Menschenrechtsverletzungen und Chinas wachsendem geopolitischem Machtanspruch rücken in den Vordergrund. Die Erosion dieser Narrative hinterlässt ein Vakuum, das durch ein neues, realitätsbasiertes und im Idealfall breit getragenes Verständnis von Deutschlands Rolle und Verantwortung in der Welt gefüllt werden sollte. Fehlt dieses gemeinsame Verständnis, führt dies zu Verunsicherung, und die Gesellschaft wird anfällig für populistische Vereinfachungen. Erstmals deutlich wurde dies im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Die auf sachliche Informationsvermittlung fokussierte Kommunikationsarbeit von Regierung und Behörden tat sich schwer damit, politische Entscheidungen zu vermitteln, zumal diese Entscheidungen von politisch Verantwortlichen selbst nicht konsequent umgesetzt wurden – etwa, wenn einzelne Bundesländer unmittelbar nach einer Ministerpräsidentenkonferenz ankündigten, die Beschlüsse doch nicht umzusetzen, was wiederum zu einem Vertrauensverlust führte. Vergleichbare Muster lassen sich auch bei anderen kontrovers diskutierten Themen wie beispielsweise dem Klimawandel oder eben auch der Integrierten Sicherheit beobachten. Die klassische Informationsarbeit ist immer weniger dazu in der Lage, ein gemeinsames Vokabular zu etablieren und Vertrauen aufzubauen. Im Gegenteil, sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung haben keine breite gemeinsame Verständigungsbasis beim Thema nationale Sicherheit. In einer Welt, die zunehmend von konkurrierenden Narrativen geprägt ist, sind deutsche Regierungen und Behörden aktuell deshalb noch weitgehend sprachlos.
Das ist besonders problematisch, weil diesen Kampf zunehmend staatliche Akteure führen. Diese setzen gezielt auf hybride Taktiken, um westliche Demokratien zu destabilisieren. Sie verbreiten Falschnachrichten und manipulative Narrative über Social Media und staatlich kontrollierte Kanäle, um die öffentliche Meinung zu spalten, Misstrauen zu säen und politische Prozesse sowie Vertrauen zu untergraben. Gezielte Attacken auf kritische Infrastrukturen, Wirtschaftsunternehmen, politische Institutionen und Medien ergänzen diese Strategien. Deutschland ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner zentralen Rolle in Europa ein Hauptziel solcher Angriffe. Genau diese Gefahren werden zwar in der Nationalen Sicherheitsstrategie und in den Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung benannt – eine adäquate, integrierte Kommunikationsstrategie ist bislang aber nicht zu erkennen.
Perspektive: Ein Netzwerk für die kommunikative Zeitenwende
Angesichts der skizzierten Ausgangslage und der Komplexität der Aufgabe sollte klar geworden sein, dass eine nachhaltig wirksame Kommunikation zu Integrierter Sicherheit und Gesamtverteidigung nicht allein von der Bundesregierung und den Ministerien getragen werden kann. Sie erfordert ein breites Bündnis von Akteuren aus allen staatlichen wie gesellschaftlichen Bereichen. Vor allem aber erfordert sie ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf den Modus der Kommunikation, weg von der reinen Informationsvermittlung, hin zu einer echten gesellschaftlichen Debatte, die nicht nur auf einen elitären Kreis begrenzt ist und vor allem an den Mediennutzungsgewohnheiten der Zielgruppen orientiert ist. Ein erster Ansatz, der in diese Richtung geht, ist das Format „Zeitenwende on Tour“ der Münchner Sicherheitskonferenz. Dabei können Bürgerinnen und Bürger mit Mitgliedern der Bundesregierung, von Landesregierungen sowie Parlamenten und renommierten Expertinnen und Experten diskutieren. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat in jüngster Zeit seine Aktivitäten ausgeweitet. Neben den an die breite Öffentlichkeit gerichteten Maßnahmen, zu denen Formate wie der Warntag und der Bevölkerungsschutztag als gemeinsame Veranstaltung von Bund und Ländern gehören, bietet die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) auch Weiterbildungen zu Kommunikationsthemen für Fach- und Führungskräfte an.
Rund um diese und ähnliche bestehende Aktivitäten könnte sich ein Netzwerk staatlicher, zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure der Integrierten Sicherheit entwickeln. Diese sollten jedoch nicht, wie bisher, einen kommunikativen Top-Down-Ansatz verfolgen, sondern ihre Kompetenzen bündeln, um einen Bottom-up-Ansatz zu initiieren. Der inhaltliche Fokus könnte darauf liegen, insbesondere Akteure aus dem Kreis der Blaulichtorganisationen in der Fläche wie THW, Feuerwehren, Polizei und Rettungskräfte zu unterstützen und zu befähigen (finanziell, materiell, argumentativ), sich aktiv in den Diskurs einzubringen und lokale Angebote zu machen. Umfragen zeigen regelmäßig, dass diese Kräfte sich durchweg auf ein sehr hohes Vertrauen in der Bevölkerung stützen können und somit vor Ort als glaubwürdige Gesichter der Integrierten Sicherheit sinnstiftend wirken und zu positivem Storytelling beitragen könnten. Ein mögliches Rollenvorbild dafür könnten die Jugendoffiziere der Bundeswehr sein. Diese sind, nachdem sie lange Jahre durch die Führung der Bundeswehr eher vernachlässigt wurden, inzwischen wieder stärker als sicherheitspolitische Referentinnen und Referenten im Bildungssystem sichtbar. Analog zum Modell der Jugendoffiziere ist es denkbar, gewissermaßen ressortübergreifend Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auszubilden, die zum Thema Integrierte Sicherheit sprechfähig sind – sowohl haupt- und nebenamtlich in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld als auch ehrenamtlich. Diese Multiplikatoren könnten in Schulen, Vereinen, Unternehmen und Kommunen informieren und für das Thema sensibilisieren. Ein zentral entwickeltes Curriculum sowie Prüfungen durch eine öffentliche Institution wären wesentliche Elemente der Qualitätssicherung. Moderne, digitale Lernangebote könnten einen niedrigschwelligen Zugang bieten und für eine schnelle Skalierung sorgen. Wichtig dabei ist, die Angebote zielgruppenspezifisch auszurichten. Dazu gehört eine Auswahl von Multiplikatoren aus unterschiedlichen Altersgruppen und sozialen Milieus. Neben diesen organisierten Akteuren sollten auch intrinsisch motivierte Personen gezielt angesprochen und gefördert werden. Ein Vorbild dafür könnte zum Beispiel David Matei sein. Er ist aktiver Jugendoffizier und hat sich über seinen Dienst heraus als Content Creator mit sicherheitspolitischem Schwerpunkt etabliert. Allein auf dem Netzwerk TikTok folgen ihm mehr als 200.000 Kontakte. Er zeigt exemplarisch, wie kompetente Einzelpersonen komplexe Themen verständlich auf Augenhöhe vermitteln und neue Zielgruppen erreichen können.
Die Vernetzung und Koordination dieser vielfältigen Akteure ist eine der größten Herausforderungen, gleichzeitig aber auch der Schlüssel zum Erfolg einer wirksamen Kommunikation zur Integrierten Sicherheit. Diese Kommunikation versteht sich nicht nur als Vermittlung abstrakter Konzepte, sondern ist ein konstituierendes Element für neue Narrative. Sie muss weg von reiner Verkündigung hin zu echtem Dialog und Partizipation über alle Kanäle. Inhaltlich sollte die Kommunikation die aktuelle Bedrohungslage und Gefahren klar und ungeschönt benennen, ohne Ängste zu schüren. Stattdessen geht es darum, aufzuzeigen, wie jeder Einzelne und die Gesellschaft als Ganzes handlungsfähig werden und zur Sicherheit beitragen können. Klar ist aber, dass dieses andere Sprechen über Sicherheit auch von substantiellen Investitionen und konkreten Angeboten begleitet werden muss. So haben die skandinavischen Staaten, die in der Kommunikation zu Gesamtverteidigung und Integrierter Sicherheit vorbildlich sind, massiv in den Ausbau des Zivilschutzes investiert. Entsprechende Maßnahmen sind nicht nur praktisch notwendig, sondern auch ein starkes kommunikatives Signal an die Bevölkerung, dass der Staat die Bedrohungslage ernst nimmt und handelt. Solche sichtbaren Maßnahmen schaffen Vertrauen und erhöhen das Sicherheitsgefühl. Wer also eine andere strategische Kultur und eine andere Einstellung der Gesellschaft zur nationalen Sicherheit in Deutschland etablieren will, muss bereit sein, dafür Zeit und Ressourcen bereit zu stellen – und das langfristig. Die kommunikative Zeitenwende ist kein Sprint, sondern ein nicht endender Dauerlauf.
P.S.: Einen Notvorrat habe ich nicht angelegt. Noch nicht. Und Sie?
Sascha Stoltenow ist Kommunikationsberater und Mitinhaber von Script Communications, einer auf Transformationsthemen spezialisierten Beratungsagentur in Frankfurt am Main. Von 1989 bis 2001 diente er als Offizier in der Fallschirmjägertruppe und der Truppe für Operative Information der Bundeswehr.
[1] Zur Rolle der strategischen Kommunikation vgl. auch das BAKS-Arbeitspapier Sicherheitspolitik Nr. 4/2023.