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Sicherheitspolitische Herausforderungen im Weltraum: Handlungsbedarfe und Empfehlungen für Deutschland

8/2021
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Seit Juli 2021 verfügt die Bundeswehr über ein Weltraumkommando unter der Führung der Luftwaffe. Deutschland folgt somit dem internationalen Trend, die militärischen weltraumbasierten Fähigkeiten und Dienste zu bündeln, um der gestiegenen Relevanz des Weltraums Rechnung zu tragen. Vor dem Hintergrund der wachsenden gesamtstaatlichen Abhängigkeit vom Weltraum findet eine geopolitische Rivalität um die Vormachtstellung im All statt, die auch die Entwicklung von Counterspace-Technologien fördert und eine ernstzunehmende sicherheitspolitische Herausforderung für die Bundesrepublik darstellt. Deutschland hat in diesem Kontext bereits wichtige Weichen gestellt – die weiterführende Umsetzung steht aber noch aus.

Eine Rakete verlässt vor einem Feuerschweif einen Startkanister eines Kriegsschiffs; daneben ist eine Schiffsglocke mit dem Motto des Schiffs erkennbar.

Anti-Satellitenraketen sind ein Beispiel für Counterspace-Systeme. Vom US-Kreuzer Lake Erie wird 2008 eine modifzierte Flugabwehrrakete gestartet, um in fast 250 Kilometern Höhe einen ausgedienten US-Satelliten im Orbit zu treffen.
Foto: US Navy

1. Crowded, Congested and Contested – Charakteristika der Dimension Weltraum im 21. Jahrhundert

Das Thema Weltraum hat Konjunktur in Deutschland. Vor allem die wirtschaftlichen Potentiale, die unter dem Schlagwort New Space eine Vielzahl an Start-Ups und neuen Geschäftsmodellen hervorgebracht haben, finden mehr und mehr Eingang in die mediale Berichterstattung. Die sicherheitspolitische Relevanz des Weltraums sowie die daraus entstehenden Herausforderungen und Handlungsbedarfe für die Bundesrepublik bleiben allerdings oftmals unterbelichtet. Stellenweise wird vor einer drohenden Militarisierung des Weltraums gewarnt. Zwar verkennen diese Warnungen, dass der Weltraum als wesentliches Element der Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion bereits sehr früh im Kalten Krieg für militärische Zwecke genutzt wurde und seither als militarisiert betrachtet werden kann. Doch unterstreichen diese Befürchtungen, dass sich die Bedingungen der Weltraumnutzung verändern und zunehmend von einer riskanten Dynamik geprägt sind.

Zum einen ist die Abhängigkeit hochtechnologisierter Streitkräfte von weltraumbasierten Fähigkeiten stetig gewachsen. So sind zum Beispiel die Einsätze der Bundeswehr mit Blick auf Kommunikation, Frühwarnsysteme, Aufklärung und Lagebild sowie Ortsbestimmung und Navigation in Echtzeit auf Satellitensysteme angewiesen. Die militärische Einsatz- und Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik ist also in großem Maße vom ungehinderten Zugang zum Weltraum und der freien Nutzung ihrer weltraumgestützten Dienste abhängig. Diese Abhängigkeit, die mit voranschreitender Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung noch weiter wachsen wird, erhöht zugleich die eigene Verwundbarkeit. Deshalb müssen die notwendigen Komponenten wie zum Beispiel Satelliten, Bodenstationen und Starteinrichtungen als kritische Infrastrukturen resilient gegenüber Angriffen gestaltet werden.

Zum anderen nimmt die Anzahl der Akteure und der Satellitensysteme im Orbit kontinuierlich zu. Technologischer Fortschritt, Wissenstransfer und geringere Produktionskosten haben dazu geführt, dass mehr Staaten über aktive Weltraumprogramme verfügen und der Weltraum durch nichtstaatliche Akteure zunehmend kommerzialisiert wird. Miniaturisierung und Mega-Konstellationen von hunderten und möglicherweise bald tausenden Kleinsatelliten verändern die Natur von Satellitensystemen und werden die Anzahl der Objekte im All in den kommenden Jahren steigen lassen. Mehr Akteure und mehr Satellitensysteme erhöhen jedoch das Risiko von Missverständnissen, ungewollten Kollisionen oder Konflikten, die potentiell Weltraumschrott hervorbringen und somit zivile wie militärische Systeme im Orbit gefährden können. Daher wird die Bedeutung der Weltraumlagebilderstellung, der unabhängigen Lagebeurteilungsfähigkeit sowie des Space Traffic Managements zur Koordination und Kollisionsvermeidung von Satelliten zunehmen.

Allerdings ist der völkerrechtliche Rahmen weit hinter die technologischen und politischen Entwicklungen zurückgefallen. Kern der heutigen Rechtsbasis ist der Weltraumvertrag von 1967. Er schreibt zentrale Prinzipien zur Weltraumnutzung fest: freier Zugang für alle Staaten, Gebot der friedlichen und gemeinwohlorientierten Erforschung, Aneignungsverbot des Weltraums und der Himmelskörper, staatliche Haftung für Aktivitäten aller, einschließlich nichtstaatlicher Akteure sowie das Verbot von Nuklearwaffen und weiteren Massenvernichtungswaffen im Weltraum. Andere sogenannte Counterspace-Fähigkeiten, also Waffen und Technologien, welche die Nutzung von weltraumbasierten Fähigkeiten entweder dauerhaft oder zeitweilig auf unterschiedliche Weise unterbinden, werden hingegen nicht erfasst. Das Spektrum der möglichen und zum Teil heute bereits gängigen Counterspace-Systeme ist breit und reicht von im Orbit stationierten Waffen über Antisatellitenraketen (ASAT) bis hin zu elektronischen oder cyber-basierten Angriffen auf kritische Weltrauminfrastrukturen. Bisherige Versuche, das Weltraumvölkerrecht in diesem Kontext weiterzuentwickeln, sind gescheitert.

2. Of Mars and Venus – Geopolitische Rivalität im Weltraum

In dieses völkerrechtliche Beinahe-Vakuum fällt die geopolitische Rivalität zwischen verschiedenen Weltraumakteuren, sowohl etablierten als auch aufstrebenden. Neben seiner zentralen Funktion für heutzutage nahezu jedwede militärische Operation gewinnt der Weltraum als Mittel der globalen Machtprojektion und als potentieller Startpunkt und weiterer Austragungsort künftiger Konflikte an Relevanz. Diese facettenreiche Dynamik äußert sich im Bereich der zivilen Forschung und Raumfahrt, mit Blick auf die Förderung nationaler Weltraumindustrien und technologischer Innovationskraft sowie in den Modernisierungsprozessen der militärischen Weltraumprogramme weltweit.
Besonders im Fokus standen die USA, als sie im Dezember 2019 mit der US Space Force die sechste Teilstreitkraft der amerikanischen Streitkräfte schufen und das US Space Command als zugehöriges Kommando wieder in Dienst stellten, das für sämtliche militärischen weltraumbezogenen Aktivitäten verantwortlich ist. Zudem veröffentlichte die Trump-Administration 2020 eine Defense Space Strategy, welche die Dimension Weltraum als potentiellen Kriegsschauplatz („warfighting domain“) definierte und das Ziel formulierte, die militärische Vormachtstellung der USA im Weltraum vor allem gegenüber den Hauptkonkurrenten China und Russland zu behaupten, die ihre militärischen Weltraumprogramme bereits zuvor zentralisiert und ausgebaut hatten. Doch auch deutlich schwächere Weltraumnationen arbeiten konsequent am Ausbau ihrer militärischen Weltraumfähigkeiten, um ihre militärische Unterlegenheit durch die Entwicklung von Counterspace-Technologien auszugleichen und im Konfliktfall die Nutzung von weltraumbasierten Fähigkeiten seitens des Gegners unterbinden zu können. Während also Warnungen vor der Militarisierung des Weltraums zu kurz greifen, sind Befürchtungen vor einem Rüstungswettlauf mit Konflikt- und Eskalationsgefahr durchaus ernst zu nehmen.

Die Zunahme an Counterspace-Technologien (siehe Abbildung im PDF), die im Fall von elektronischen und cyber-basierten Fähigkeiten heutzutage ohne ausgeprägtes Know-how relativ kostengünstig verfügbar sind, hat auch die NATO und einige europäische Verbündete dazu veranlasst, sich mit der Dimension Weltraum eingehender zu befassen und zentralisierte Strukturen zu schaffen. So widmete Frankreich mit der 2019 veröffentlichten Weltraumverteidigungsstrategie seine Luftwaffe zur Luft- und Weltraumwaffe um und richtete ein militärisches Weltraumkommando in Toulouse ein. Das Vereinigte Königreich nahm zum 1. April 2021 offiziell das UK Space Command in Betrieb. Die NATO reagierte, indem sie den Weltraum zum fünften offiziellen Operationsgebiet neben Boden, See, Luft und Cyberraum erklärte und jüngst beschloss, dass Angriffe im und vom Weltraum aus auf Systeme der Alliierten auch den Bündnisfall nach Artikel 5 nach sich ziehen können. Allerdings wird selbst innerhalb der Allianz deutlich, dass grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen zu den Herausforderungen im Weltraum und den notwendigen Ansätzen bestehen. Robert Kagans berühmte Analogie, dass die USA in der Beurteilung sicherheitspolitischer Fragen „vom Mars“ und die Europäer eher von der „Venus“ seien, lässt sich auch auf den Weltraum übertragen: Die USA, aber auch Russland und China, teilen die Auffassung des Weltraums als warfighting domain (und die damit verbundene Rolle von offensiven Counterspace-Fähigkeiten) – eine Sicht, die mit Ausnahme von Frankreich und Großbritannien unter europäischen Staaten noch oftmals ausgeblendet wird.

3. Deutschland – eine Standortbestimmung

Das Positive vorweg: In dieser geopolitischen Großwetterlage kann die Bundesrepublik Deutschland durchaus als engagierte und erfolgreiche Weltraumnation bezeichnet werden. Dies liegt zum einen an einer herausragenden wissenschaftlichen und industriellen Basis. Deutsche Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik, das im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Radarsystem GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar) am ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrum in Kalkar/Uedem neue Maßstäbe in der Weltraumbeobachtung setzen soll, gehören zur internationalen Spitze. Mit Blick auf die Weltraumindustrie sind international gesehen zwar die USA mit Abstand Spitzenreiter, doch der New Space-Standort Deutschland, bestehend aus etablierten Großunternehmen wie Airbus und einer Reihe von Start-Ups wie Isar Aerospace, ist mit Blick auf wichtige Schlüsseltechnologien durchaus konkurrenzfähig.

Zum anderen ist Deutschland auch international als fähiger militärischer Weltraumakteur anerkannt, was sich in seiner Beteiligung an exklusiven Kooperationen und Übungen widerspiegelt. Inzwischen nimmt Deutschland regelmäßig am wichtigen Weltraum-Planspiel Schriever Wargames teil und hat sich 2019 der internationalen Combined Space Operations (CSpO)-Initiative angeschlossen, der neben den Five Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland nur noch Frankreich angehört und in deren Rahmen die Zusammenarbeit in der Operationsführung, Weltraumlage und zum Schutz von kritischen Weltrauminfrastrukturen verbessert werden soll.

Aufgrund der starken wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und militärischen Abhängigkeit Deutschlands von weltraumbasierten Fähigkeiten betrachtet die Bundeswehr die Weltraumnutzung als Dauereinsatzaufgabe, unter die das Planen und Durchführen von Weltraumoperationen zum Schutz kritischer Weltrauminfrastrukturen mittels Lagebilderstellung sowie die Einsatzunterstützung durch weltraumgestützte Fähigkeiten fallen. Den strategischen Rahmen sowie wesentliche Ziele und Handlungsbedarfe hat das Bundesministerium der Verteidigung 2017 in der Strategischen Leitlinie Weltraum konzeptionell dargestellt.

Auch institutionell hat sich die Bundesrepublik in den letzten Jahren, angefangen mit der Schaffung des Weltraumlagezentrums 2009, auf die steigende Bedeutung des Weltraums eingestellt. Im Herbst 2020 wurde mit der Inbetriebnahme des Weltraumoperationszentrums (Air and Space Operations Centre, ASOC) am Standort Kalkar/Uedem eine Reihe von Fachzentren und Dienststellen der Luftwaffe, die verschiedene Aufgaben der Lagebilderstellung und Operationsführung erfüllen, zu einem zentralen Führungsgefechtsstand zusammengeführt. Seit Juli 2021 verfügt Deutschland auch über ein Weltraumkommando in Verantwortung der Luftwaffe, das im Eckpunktepapier der Bundeswehr im Mai 2021 angekündigt worden war. Zwar sind die Planungen mit Blick auf die genaue Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung innerhalb der bis dato geschaffenen Strukturen noch im Gang, doch stellt die Gründung einer militärischen Kommandobehörde für den Weltraum den nächsten evolutionären Schritt dar, die weltraumgestützten Dienste und Produkte dimensionsübergreifend zusammenzufassen, professionelle Expertise zu bündeln und einen Ankerpunkt für internationale Kooperation bereitzustellen.

Gegenwärtig umfasst das Kommando in Kalkar/Uedem etwa 80 Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Angestellte und soll bis auf 250 Dienstposten anwachsen. Es ist multidimensional angelegt; das heißt, dass Angehörige aller Teilstreitkräfte der Bundeswehr, vor allem aber aus der Luftwaffe und dem Bereich Cyber-und Informationsraum, dort zusammenarbeiten. Zudem wird eine Multinationalisierung mit Vertretern von Partnerstaaten und Verbündeten angestrebt. In enger Zusammenarbeit mit dem DLR werden dort nun Aufgaben der Satelliten- und Weltraumschrottüberwachung sowie der militärischen Aufklärung und Lagebilderstellung erfüllt. Fortan soll das Weltraumkommando auch die Planung und Durchführung der militärischen Weltraumoperationen verantworten, die laut Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ausschließlich defensiver Natur sein werden.

4. Empfehlungen für die Bundesrepublik

Es ist also bereits sehr viel in Deutschland angestoßen worden. Die Reformen der Bundesregierung, die auf die Zentralisierung der militärischen Weltraumaktivitäten und die Verständnisförderung für den Weltraum als zentraler Faktor in nahezu sämtlichen Militäreinsätzen abzielen, sind begrüßenswert und sollten konsequent weitergeführt werden. Dennoch steht die Bundesrepublik noch am Anfang einer tiefgründigeren Auseinandersetzung mit dem Weltraum als sicherheits- und verteidigungsrelevanter Faktor. Folgende Handlungsfelder ergeben sich:

  • Bewusstsein schaffen: Gegenwärtig beschränkt sich die öffentlich-politische Diskussion meist auf die wachsende New Space-Industrie oder Fortschritte in der zivilen Raumfahrtforschung. Die verteidigungs-politische und militärische Dimension ist in der deutschen Debatte hingegen kaum präsent. Aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung des Weltraums gilt es, ein öffentliches und politisches Bewusstsein für sicherheitsrelevante Entwicklungen, Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten zu schaffen. Es bedarf einer ernsthaften Auseinandersetzung über die sicherheitspolitischen Herausforderungen und auch darüber, welche Rolle die Bundesrepublik als fähiger Weltraumakteur in dieser geopolitischen Konstellation einnehmen möchte. Diese Debatte muss auf ausreichend politischer und wissenschaftlicher Expertise basieren, die gemessen an der noch sehr kleinen Fachcommunity deutlich ausbaufähig ist.
  • Vorausschauende militärische Fähigkeitsplanung und ausreichende Finanzierung: Die gegenwärtige Fokussierung auf den Ausbau eigener Kapazitäten zur Weltraumnutzung und -lagebeobachtung ist durchaus positiv – schon um externe Abhängigkeiten zu minimieren. Als Querschnittsfunktion müssen gleichwohl die notwendigen weltraumbezogenen Fähigkeiten bei der Planung anderer militärischer Beschaffungsprojekte frühzeitig berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Mittel für den Fähigkeitsausbau der Bundeswehr konkurrieren weltraumbezogene Beschaffungsanforderungen natürlich mit anderen notwendigen Ausrüstungsprojekten. Hier gilt es, die langfristige Finanzierung bereits zugesagter Rüstungsprojekte zum Ausbau der satellitengestützten Kommunikation oder Aufklärung (zum Beispiel High Resolution Wide Swath, HRWS) zu garantieren und gegebenenfalls Beschaffungsprozesse flexibler zu gestalten, um Neuanschaffungen bei Satellitensystemen kurzfristig und am aktuellen technologischen Entwicklungsstand orientiert abdecken zu können.
  • Spezifische Expertise und Personalentwicklung: Ähnlich wie bei der Gewährleistung fachspezifischer Expertise im Cyber- und Informationsraum gilt es auch mit Blick auf die Dimension Weltraum qualifiziertes Fachpersonal zu gewinnen beziehungsweise auszubilden. Hierzu müssen die notwendigen Tätigkeitsfelder erfasst und dementsprechende Stellen geschaffen, weltraumbezogene Expertise entwickelt und vor allem langfristig erhalten werden. Ansatzpunkte hierfür bieten die Förderung von Ingenieurswissenschaften mit Fokus auf Luft- und Raumfahrttechnik, aber auch nichttechnische Bereiche wie Weltraumrecht und              -sicherheitspolitik. In den USA oder in Großbritannien werden hierfür mit dem US Space Force Space Training and Readiness Command beziehungsweise der Space Academy eigene Kaderschmieden für Weltraumspezialisten geschaffen. Für Deutschland wäre es in einem ersten Schritt ratsam, die Dimension Weltraum mit Blick auf die Durchführung von Weltraumoperationen und Einsatzunterstützung aus dem Weltraum stärker in die Ausbildung zu integrieren und die Qualifikationen mittels kooperativer Ausbildungs- und Austauschformate mit Verbündeten zu ergänzen sowie entsprechend attraktive zivile wie militärische Laufbahnmodelle innerhalb der Bundeswehr zu schaffen.
  • Ressortübergreifende Koordination und gesamtstaatliche Strategieentwicklung: Weltraumnutzung und -sicherheit bedürfen eines kohärenten nationalen Ansatzes in der Weltraumpolitik. Aufgrund der überwiegend kommerziellen und forschungsorientierten Natur deutscher Weltraumprojekte hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bei der Entwicklung eines gesamtstaatlichen Ansatzes die Federführung für die Bundesregierung inne. Zur ressortgemeinsamen Entscheidungsfindung haben sich in den letzten Jahren eher informelle Gremien gebildet – ein Ressortkreis zu Weltraumnutzung und Weltraumsicherheit auf Abteilungsleiterebene sowie ein Koordinierungsstab Weltraumsicherheit zur Lagebeurteilung und zum frühzeitigen Krisenmanagement bei Vorfällen im Weltraum. Mit wachsender Bedeutung und zunehmenden Herausforderungen wäre es für die ressortgemeinsame und gesamtstaatliche Strategiefindung ein konsequenter Schritt, die Entscheidungsvorgänge im Rahmen eines nationalen Weltraumrates zu institutionalisieren. Ähnlich wie in den USA könnte dieses Gremium alle relevanten Ministerien sowie Vertreter der Wissenschaft und Wirtschaft regelmäßig an einen runden Tisch bringen, um die zivilen, kommerziellen und sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik zu synchronisieren. Mit Blick auf die gesamtstaatliche Strategiefindung sollte die nächste Bundesregierung dringend die Raumfahrtstrategie von 2010 aktualisieren.  Dabei sollte die sicherheitspolitische Dimension von Raumfahrtforschung, technologischer Entwicklung und Industrieförderung angesichts des veränderten sicherheitspolitischen Umfeldes stärker in den Fokus rücken.
  • Förderung der zivil-militärischen Zusammenarbeit und Einbindung kommerzieller Akteure: Im ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrum, betrieben durch die Raumfahrtagentur im DLR und die Bundeswehr, hat Deutschland ein erfolgreiches Modell der zivil-militärischen Kooperation geschaffen, das den Austausch von Expertise und notwendige Beschaffungsprozesse erleichtert. Diese Art der Kooperation, die durchaus internationalen Vorbildcharakter genießt, sollte beibehalten und forciert werden. Ein Trend, der sich ebenfalls im Kontext der geopolitischen Rivalität im Weltraum niederschlägt, ist die Stärkung nationaler Weltraumindustrien als Voraussetzung für die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge und Handlungsfähigkeit. Im Vergleich zu anderen fortgeschrittenen Weltraumnationen bleibt in Deutschland mit Blick auf die Förderung und Einbindung von kommerziellen Akteuren als zentrale Innovationstreiber noch Potential ungenutzt. Best-Practice-Beispiele aus den USA und weiteren Ländern können Aufschluss geben, wie öffentlich-private Synergien besser genutzt und Entwicklungsprozesse von Weltraum-fähigkeiten zielführend koordiniert werden können. Hier könnte der Staat durch den Abbau von Bürokratie bei der Beantragung von Fördergeldern sowie durch das Schaffen von Investitionsanreizen (zum Beispiel durch langfristige Abnahmegarantien) zu einer innovativen und international wettbewerbsfähigen Weltraumindustrie beitragen, um in enger Koordination die bedarfsorientierte Entwicklung von militärischen Fähigkeiten zu fördern. Nicht zuletzt sollte die nächste Bundesregierung das bereits im Koalitionsvertrag 2018 angekündigte Weltraumgesetz verabschieden, um für Unternehmen Investitions- und Rechtssicherheit für nichtstaatliche Raumfahrtaktivitäten zu gewährleisten.
  • Proaktive internationale Rolle fortführen: Aufgrund ihrer ausgeprägten Fähigkeiten kommt der Bundesrepublik in zweifacher Hinsicht eine besondere internationale Rolle zu: Im Rahmen der exklusiven Kooperationsformate mit weiteren fortgeschrittenen Weltraumnationen (CSpO-Initiative) kann und sollte Deutschland gemeinsame Richtlinien für den Einsatz und die Operationsführung erarbeiten. Gleichzeitig kann die Bundesrepublik ihre Expertise, Unterstützung und im begrenzten Maße auch Fähigkeiten anbieten, um beispielsweise weniger entwickelten Weltraumnationen innerhalb der NATO beim Aufbau ihrer Weltraumprogramme zu helfen. Darüber hinaus gilt es, einen breiten internationalen Konsens für ein verantwortungsvolles und nachhaltiges Verhalten im Weltraum zu generieren, um das Konfliktpotential zu reduzieren und die langfristige Nutzung des Weltraums zu wahren. Großbritannien hat auf UN-Ebene einen Prozess angestoßen, der Normen, Regeln und Prinzipien für ein verantwortungsvolles Verhalten im Weltraum etablieren soll. Hierfür wurden Staaten ermutigt, bis Mai 2021 ihre Vorstellungen von zentralen Herausforderungen und Lösungen zu teilen, die als Grundlage für einen Bericht des UN-Sekretariats dienen und in der UN-Generalversammlung diskutiert werden sollen. Deutschland sollte diesen Prozess dann engagiert mitgestalten, um eine breite Konsensfindung im Rahmen der Vereinten Nationen zu ermöglichen. Auch wenn ein völkerrechtlich bindender Vertrag in weiter Ferne scheint, könnte ein Verbot von weltraumschrottproduzierenden ASAT-Tests einen ersten kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen, um mögliche destruktive Folgen der zunehmenden Rivalität zu minimieren.

Andrea Rotter ist Referatsleiterin für Außen- und Sicherheitspolitik an der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung und Mitglied im Arbeitskreis Junge Sicherheitspolitiker der BAKS.

 

Arbeitspapier Thema: 
Bundeswehr
Rüstungstechnologie
Sicherheitsstrategie
Wirtschaftspolitik
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Deutschland
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