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Kernseminar: Flüchtlingspolitik jetzt strategisch betrachten

Freitag, 13. Mai 2016

Am 4. Mai diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kernseminars mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu und dem Migrationsexperten Prof. Karl-Heinz Meier-Braun über die politischen Herausforderungen der gegenwärtigen Flüchtlingskrise.

Hungerstreikende Flüchtlinge sitzen in Berlin vorm Brandenburger Tor

Hungerstreikende Flüchtlinge demonstrieren 2013 vor dem Brandenburger Tor. Foto: PanchoS/wikimedia commons/CC BY 2.0

Spaltet die Flüchtlingspolitik unsere Gesellschaft? Diese Frage diskutierten die 23 Teilnehmenden am Kernseminar Sicherheitspolitik am 4.5.2016 mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu und dem Migrationsexperten und Buchautor Prof. Karl-Heinz Meier-Braun. Felgentreu vertritt den Berliner Wahlkreis Neukölln im Bundestag und brachte seine über zwanzigjährige Erfahrung aus dem „Integrationslabor“ Neukölln in die Diskussion ein. Meier-Braun blickt auf 40 Jahre Befassung mit den Themen Integration und Migration zurück, unter anderem als Integrationsbeauftragter des Südwestrundfunks und Vorstandsmitglied im Rat für Migration.

Flüchtlingspolitik wichtigste gesellschaftspolitische Frage

Dies wurde in der zweistündigen, sehr engagierten und kontroversen Diskussion schnell deutlich.  Wenig verwunderlich, rühren doch die mit der gefühlten „Flüchtlingswelle“ verbundenen Ängste und Sorgen an den hochemotionalen Themen Heimat, Überfremdung und gesellschaftlicher Identitätsverlust. Folgerichtig schälte sich in der Diskussion auch das überdurchschnittlich hohe Spaltpotential des Flüchtlingsthemas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland heraus. Mögliche Bruchlinien durchziehen unsere Gesellschaft nicht nur im Hinblick auf Zuwanderungsfragen in vielen Bereichen: Jung/Alt, Männer/Frauen, Familien/Singles, Ost/West, religiöse Orientierung.

Aber keine Frage scheint so viel Sprengkraft zu besitzen, wie die nach Migrationshintergrund, Integration und nationaler Identität. Für die vier Millionen Muslime in Deutschland ist die Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes derzeit besonders schwer. Die öffentliche Ablehnung ihrer Religion als „nicht zu Deutschland gehörend“ in weiten Teilen der Bevölkerung, und auch aus einer Regierungspartei heraus erschwert es den Menschen, sich in diese Gesellschaft integriert und ihr zugehörig zu fühlen und kann Radikalisierung begünstigen.

Die Erfahrungen mit der Flüchtlingspolitik seit September 2015 haben in weiten Teilen der Bevölkerung erhebliche Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Politik entstehen lassen. Die Frustration mit der Politik scheint direkte Folge des erlebten Kontrollverlusts und der wahrgenommene Ohnmacht des Staates zur Durchsetzung von Recht und Ordnung zu sein. Vielleicht ist die Kernfrage gar nicht die nach dem „ob“, sondern die nach dem „wie“ in der Flüchtlingspolitik.

Politik muss vom Krisenmodus auf strategische Steuerung umschalten

Wie ein roter Faden zogen sich zwei Elemente durch die Diskussion möglicher Lösungsansätze. Zum einen muss die Politik, aber auch andere relevante gesellschaftlichen Gruppen wie Wirtschaft, Sport, Kirche oder Medien, die angstbesetzten und kontroversen Themen rund um Zuwanderung und Integration aufgreifen und eine breite und transparente Debatte darüber in Gang bringen, wie wir als Gesellschaft zusammen leben wollen. Dabei müssen wesentlich mehr Daten und Fakten eingebracht werden, zum Beispiel über Flucht- und Migrationsursachen und zu erwartende Wanderungsbewegungen für die Zukunft. Aber auch über die lange Zuwanderungs- und Integrationsgeschichte Deutschlands und dabei gemachte gute und schlechte Erfahrungen.

Gleichzeitig muss die Politik zum anderen von Krisenmodus auf strategiegeleitete Steuerung umschalten, damit die Menschen wieder Vertrauen fassen, dass wir „das schaffen“ und vor allem „wie“ wir das schaffen. In der Flüchtlingspolitik sind Ansätze für eine solche Strategie mit Integrationsgesetz, Türkei-Abkommen, Abkommen mit weiteren Herkunfts- und Transitstaaten, Maßnahmen auf EU-Ebene zur Weiterentwicklung eines gemeinsamen Asylsystems und zur Wiederherstellung des Schengen-Raums erkennbar.

Derzeit scheint aber fraglich, ob das bereits ausreicht, um verloren gegangenes Vertrauen in die Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit der Politik zurück zu gewinnen und, wie es ein Kursteilnehmer in der Diskussion formulierte, „das Sicherheitsgefühl wieder in die Bevölkerung zurück zu bringen“. Ein guter Indikator für den Erfolg der Regierung bei dieser Arbeit könnte das Wahlergebnis der AfD bei den nächsten Wahlen sein.

Autorin: Andrea Muck