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Demokratie mit Hindernissen: Führungskräfteseminar in Tunesien

Dienstag, 19. Februar 2019

Die zweite Reisestation des Führungskräfteseminars 2019 war Tunis. Der Besuch in Tunesien offenbarte zahlreiche demokratische Entwicklungen und zugleich viele Felder, in denen die tunesische Demokratie durch vertiefte Kooperation noch gefördert werden könnte.

Auf einer Straße gesäumt von Palmen steht eine große Menschenmenge, die zahlreiche Flaggen Tunesiens und Plakate in arabischer Sprache mit sich führt.

Tunesien wird oft als Ursprungsland des Arabischen Frühlings von 2011 bezeichnet. Hier im Bild: Straßenproteste Anfang 2012. Foto: Amine GHRABI/Flickr/CC BY-NC 2.0

Ein einstündiger Flug führte das Führungskräfteseminar von Algier, der „weißen Stadt am Meer“, nach Tunis. Tunesien war 2011 der Ausgangspunkt des „Arabischen Frühlings“. Dieser führte in Tunis zu bahnbrechenden Veränderungen, die auch heute noch zu spüren sind. Der durch die Proteste der Straße unter Druck geratene Präsident Ben Ali verließ das Land, Militär und die Eliten des Landes hielten still und Wahlen erwiesen sich als konsensbasierter Ausweg aus der ungewissen Situation. Damit war die Demokratie geboren und das repressive Regime Geschichte.

Eine Gruppe geschäftlich gekleideter Menschen steht vor einem Bürogebäude, am dem ein Wappen mit dem Bundesadler prangt.

Das Seminar wurde vom deutschen Botschafter
Dr. Andreas Reinicke (m.) in Tunesien empfangen.
Foto: BAKS/Weigel

Auch in Tunis führte das Seminar intensive Gespräche und Diskussionen mit zahlreichen Experten und Entscheidungsträgern. Besonders eindrucksvoll waren dabei die Aussprachen mit Parlamentariern sowohl der Regierungsparteien als auch der Opposition. Im Auswärtigen Ausschuss des tunesischen Parlaments traf das Seminar auf eine Vielzahl von Frauen, die in einem offenen Austausch eine klare Vorstellung für die weitere Entwicklung des Landes formulierten. Der Wunsch nach wirtschaftlicher und politischer Stabilität, der bereits beim Übergang zur Demokratie prägend war, ist noch immer bestimmend.

Im Vergleich zu den anderen nordafrikanischen Staaten ist Tunesien flächenmäßig ein kleines Land, das dazu über keine nennenswerten Bodenschätze verfügt. Die Wasserversorgung bleibt eine große Herausforderung. Wirtschaftsförderung ist ein wesentlicher Schlüssel zur Stützung der noch jungen Demokratie. Zahlreiche nationale und EU-Akteure bemühen sich auf unterschiedlichen Ebenen darum. Dabei profitiert das Land von der bereits vor der Revolution weit fortgeschrittenen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Allerdings "brodelt es in der Gesellschaft", wie ein Gesprächspartner es formulierte. Die Zeit scheint knapper zu werden, besonders die tunesische Jugend fordert erkennbare Fortschritte.

Illegale Migration kein beherrschendes Thema

Wandel braucht jedoch seine Zeit. Staatsbetriebe setzen mehr auf Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als auf Wirtschaftlichkeit, und der übergroße Verwaltungsapparat steht dem in nichts nach. Wirtschaftspotenziale sind jedoch vorhanden, dies trifft insbesondere für den Agrar- und den Textilsektor zu. Das Beharrungsvermögen in den Sicherheitsbehörden ist naturgemäß besonders hoch - hier bedarf es dringender Reformen.

Ein Mann mit Schutzbrille und Arbeitskleidung bedient eine in einen Ständer eingespannte Bohrmaschine und blickt konzentriert auf das zu durchbohrende Werkstück.

Zeitlich begrenzte Visa zur Aus- und Weiterbildung in Europa waren eines der Gesprächsthemen in Tunis. Foto: Pixabay/CC0

Illegale Migration ist kein beherrschendes Thema. Tunesien sieht sich weder als Transit- noch als Ursprungsland nennenswerter Flüchtlingsströme. Drakonische Strafen bis hin zur noch verhängbaren aber seit zehn Jahren nicht mehr vollstreckten Todesstrafe tragen mit dazu bei. Tunesier wollen primär legal nach Europa, viele auch von vornherein mit der Absicht, wieder zurückzukehren. Hier könnten zeitlich begrenzte Visa ansetzen, die eine über mehrere Jahre dauernde Ausbildung oder Weiterbildung ermöglichen und bereits bei der Ausstellung auf die Rückkehr abzielen.

Ein Fazit des Seminars: Die Demokratie in Tunesien ist noch ein „zartes Pflänzchen“, das jedoch Strahlkraft entwickelt. Mit auf allen Ebenen wohl abgestimmter Unterstützung kann es zum Blühen gebracht werden, ein Verharren könnte jedoch die Nachhaltigkeit des Prozesses mit unabsehbaren Folgen gefährden.

Libyen: Milizen statt staatlichem Gewaltmonopol

Während der Station in Tunis waren auch die Situation und Entwicklung im Nachbarland Libyen Gegenstand zahlreicher Gespräche, etwa mit der nach Tunis ausgelagerten deutschen Botschaft, mit einem Vertreter der UN-Mission für Libyen UNSMIL, mit zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie der Vertretung der Europäischen Union. Der differenzierte Blick auf das Land konnte zumindest etwas Licht in den oft einseitigen Blick auf Libyen bringen. Optimismus sucht man allerdings vergebens, vielmehr herrscht eine ernüchterte Einschätzung der Lage vor, die mit viel Ungewissheit gespickt ist.

Derzeit stockt der politische Prozess, auch wenn seit kurzem wieder eine gewisse Dynamik zu verzeichnen ist. Im Hintergrund schwelt schon seit Jahren ein Konflikt um die Verteilung der libyschen Ressourcen. Erschwert wird eine politische Einigung nicht nur durch verschiedene Gruppen im Land, die unterschiedliche Teile des Landes kontrollieren, auch externe Akteure verfolgen teilweise gegensätzliche Interessen in Libyen. Die größte Gefahr besteht in der Fragmentierung des Landes. Primäres Ziel ist daher die Förderung eines staatlichen Gewaltmonopols. Im Zentrum deutscher Bemühungen steht die Stärkung libyscher Institutionen. Es ist allerdings noch ein weiter Weg. Die Situation in Libyen bleibt kritisch.

Autoren: Peter Härle und Jan Grebe