Am 4. Januar 2011 hatten 31 ausgewählte Führungskräfte aus Bundes- und Länderressorts, sowie aus den Bereichen Wissenschaft und Gesellschaft und dem internationalen Bereich, das sechsmonatige Seminar für Sicherheitspolitik 2011 (SP11) begonnen.
An der Führungsakademie der Bundeswehr
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Das SP11 ist in neun aufeinander aufbauende Ausbildungsabschnitte („Module“) strukturiert und hat sich im Januar zunächst mit sicherheitspolitischen Grundlagen und Rahmenbedingungen befasst. Ziel des SP11 ist die Vermittlung eines umfassenden, vernetzten Sicherheitsbegriffes, was die Betrachtung der Themenstellung auf strategischer Ebene impliziert. Im Zeitraum vom 24. Januar bis 11.Februar 2011 wurde nun mit dem zweiten Modul der Themenbereich „Handlungsfelder nationaler Sicherheitsvorsorge“ erfasst. Hauptsächlicher Lernort war Berlin mit den Seminarräumlichkeiten der BAKS in Niederschönhausen. Das Programm wurde ergänzt durch eine zweitägige Fachexkursion nach HAMBURG („Themen der Maritimen Sicherheit“ und Führungsakademie der Bundeswehr), und weiter je eine Ganztagsexkursion nach SWIECKO/Polen („Binationale und europäische Polizeikooperation“) und nach POTSDAM („Innenpolitische Agenda, Polizeikooperation EU-Brandenburg sowie: Landeskommando“)“.
Vorträge, Diskussionen und Arbeitsgruppensitzungen wurden komplettiert durch Spitzen- und Hintergrundgespräche mit herausragenden Entscheidungsträgern bzw. Persönlichkeiten wie:
Bezirksbürgermeister Heinz BUSCHKOWSKY (NEUKÖLLN), Senator a.D. Eckart WERTHEBACH und Generalmajor Robert BERGMANN, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr (HAMBURG).
Der nachstehende Beitrag gibt die sicherheitspolitischen Erkenntnisse aus der Innensicht einer Gruppe von acht Seminarteilnehmern und Seminarteilnehmerinnen des SP11 wieder.
Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Neukölln
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Nachdem sich die Teilnehmer des diesjährigen Seminars für Sicherheitspolitik (SP 11) im Modul 1 mit sicherheitspolitischen Grundlagen und Rahmenbedingungen des umfassenden, vernetzten Sicherheitsbegriffs befasst hatten, ging es im Modul 2 (24.01-11.02.) um Handlungsfelder und Prioritäten nationaler Sicherheitsvorsorge.
Schwerpunkt des 2. Moduls war die Auseinandersetzung mit den verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren im Bereich der Sicherheitsvorsorge und den Ihnen zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Handlungsinstrumenten, einerseits unter Berücksichtigung der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie andererseits hinsichtlich der Interdependenzen zu EU-Institutionen und Einrichtungen.
Im 21. Jahrhundert bestimmen hochkomplexe prozedurale, institutionelle und politische Systeme, Wissen und Hochtechnologie die Zukunft öffentlicher und privater Sicherheit. Sicherheitsvorsorge wird zunehmend zur Gemeinschaftsaufgabe von staatlichen Behörden, NGOs, Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft. Anhand von ausgewählten Themenkomplexen ging es daher im Modul 2 darum, Handlungsfelder zu identifizieren, die die deutsche Sicherheitspolitik des Inneren zukünftig determinieren werden, um mögliche Strategieansätze für diese Herausforderungen unter Berücksichtigung der nationalen Rahmenbedingungen zu diskutieren.
Innensenator Eckart Werthebach
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Reisen und Feldstudien führten die Teilnehmer u.a. zum Gemeinsamen Zentrum der Deutsch-Polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit nach Swiecko/Polen und nach Hamburg (Führungsakademie der Bundeswehr, Gespräche bei der Innenbehörde, Wasserschutzpolizei, der Handelskammer u.a.). Neben vielfältigen Vorträgen und Workshops an der Bundesakademie sind besonders die intensiven Diskussionen mit Dr. Eckart Werthebach, Senator a.D., Generalmajor Bergmann, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Heino Vahldieck, Innensenator Hamburg, und Staatssekretär Fritsche, Bundesministerium des Innern zu erwähnen.
Folgende Handlungsfelder wurden im Rahmen des Moduls 2 beispielhaft näher beleuchtet:
- Nationale Sicherheitsarchitektur
- Schutz Kritischer Infrastrukturen
- Cybersecurity / Cyberwar
- Maritime Sicherheit, inkl. Schutz von Handels- und Transportwegen
- Integration als Schlüsselaufgabe für Deutschland
1. Nationale Sicherheitsarchitektur
Die nationale Sicherheitsarchitektur wird für den Bereich der inneren Sicherheit durch die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bestimmt, nach der für diesen Bereich eine grundsätzliche Zuständigkeit der Länder grundgesetzlich vorgegeben ist. Zuständigkeiten des Bundes konzentrieren sich im wesentlichen auf Koordinationsaufgaben und begrenzte (Sonder-) Zuständigkeitsbereiche (BKA, BfV und Bundespolizei).
Ein wesentlicher bund-/länderübergreifender gemeinsamer Ansatz zur Vernetzung im Bereich der Sicherheitsvorsorge besteht u.a. in der Einrichtung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ), über das Maßnahmen zur Koordinierung und Information im Bereich der Terrorabwehr abgestimmt werden.
Zu berücksichtigen ist für die Fortentwicklung nationaler Sicherheitsarchitekturen, dass in einer mehr und mehr multipolaren Welt die traditionell scharfe Trennlinie zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr und mehr erodiert. Daher wird es in dieser Frage voraussichtlich im Sinne einer engeren Verzahnung zur Intensivierung von Kooperationsmodellen kommen.
2. Schutz kritischer Infrastrukturen
Im Fokus des Schutzes Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) steht die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
Prioritäre Handlungsfelder sind dabei der Schutz
- Transeuropäischer Netze (Verkehr, Energie, Telekommunikation)
- Energiesicherheit (unter Berücksichtigung des globalen Systems)
- Energieinfrastruktur
- Transportinfrastruktur
Bei der Entwicklung und Implementierung von Strategien zum Schutz Kritischer Infrastrukturen geht die Bundesrepublik von einem sog. „Allgefahrenansatz“ aus, der terroristische Gefahren, technische Ausfälle/Fehlfunktionen und Naturkatastrophen einschließt. Dabei wurde die traditionelle Perspektive, die sich auf personelle und technische Schutzmassnahmen konzentrierte, erweitert auf robuste und nachhaltige Prozesse und Organisationsformen Kritischer Infrastrukturen.
Eine Herausforderung besteht zunehmend darin, dass Kritische Infrastrukturen sich mehrheitlich nicht oder nicht mehr im Staatsbesitz befinden und so ein erheblicher Abstimmungsbedarf erforderlich ist, um das angestrebte jeweilige Schutzziel zu erreichen. Hier konkurrieren häufig die legitimen wirtschaftlichen Interessen der Betreiber mit dem Anspruch des Staates, Versorgungssicherheit auf hohem Niveau zu gewährleisten.
Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche
Quelle: Bundesakademie für Sicherheitspolitik
3. Cybersecurity / Cyberwar – Herausforderung für hochtechnisierte Nationen
Die neuen Medien und Kommunikationsmittel des Informationszeitalters haben Gesellschaft und Wirtschaft weltweit nachhaltig verändert. Neben den Möglichkeiten, schnell und unkompliziert zu kommunizieren und sich zu vernetzen, implizieren sie jedoch auch Gefahren. Die unreflektierte Nutzung sozialer Netzwerke, die Preisgabe persönlicher Daten an eine weltweite Netz-Community oder etwa die steigende Nutzung des Internetbankings bieten vielfältige Möglichkeiten, diese Informationen für kriminelle Zwecke zu nutzen. Die Vermittlung eines sorgsamen Umgangs mit personenbezogenen Daten im Internet und die Sensibilisierung vor möglichen Gefahren ist eine wichtige Aufgabe für staatliche und nichtstaatliche Akteure im Bereich der Netzsicherheit.
Seitdem Computer und Netzwerke von Armeen eingesetzt werden, sind sie logischerweise ebensolche militärische Ziele wie seit jeher etwa Nachschub, Kommunikation, Waffen oder Soldaten. Doch anscheinend erst in jüngerer Zeit wird unter dem Schlagwort "Cyber War" über Risiken und Nutzen "digitaler Bomben" diskutiert. Weitgehend unbekannt ist, dass bereits 140 Staaten an eigenen Cyberwar-Programmen arbeiten.
Interessant sind solche Programme insbesondere auch für Staaten mit geringen militärischen Kapazitäten, da mit einem relativ geringen wirtschaftlichen Einsatz einem möglichen, insbesondere hochtechnisierten und vernetzten Gegner erhebliche Schäden zugefügt werden können. Neben rein militärischen Zielen kommen dabei insbesondere Kritische Infrastrukturen für Cyberwar-Angriffe in Betracht. Aufgrund mangelnder Datenspuren ist eine Identifizierung des Angreifers nahezu unmöglich. Dementsprechend ist eine offensive Reaktion für den Angegriffenen nahezu ausgeschlossen.
Ein Land kann sich vor Cyberwarattacken nur effektiv schützen, wenn es bereits beim Systemdesign sicherheitsrelevante Faktoren berücksichtigt, seine kritischen Systeme härtet und sabotagesicher ausgestaltet („intrusion tolerance“). Systemlücken und -fehler, die mögliche Ansätze für Cyberattacken bieten, können durch Verminderung der Komplexität kritischer Systeme reduziert werden. Gleichzeitig erscheint es sinnvoll, eigene Cyberwar-Kapazitäten zu erwerben, da diese neben den konventionellen militärischen Einsatzmitteln zukünftig ein legitimes Mittel der militärischen Sicherheitsvorsorge sein werden.
4. Maritime Sicherheit – Deutschland die ahnungslose Seemacht
Als Land ohne eigene nennenswerte Rohstoffe und einer extrem exportorientierten Industrie ist Deutschland auf freien Zugang zu den Märkten und die Sicherheit der Handels- und Transportwege angewiesen. Dabei erfolgen 80 % aller Transporte auf dem Seeweg. Die deutsche Handelsflotte ist eine der größten weltweit. Knapp 3.600 Handelsschiffe gehören ihr an. Damit liegt die von Deutschland aus betreute Flotte im weltweiten Vergleich hinter Japan und Griechenland auf Platz 3. Das öffentliche Bewusstsein, eine „maritime (Handels-) Großmacht zu sein und auch dementsprechend zu agieren, ist in Deutschland allerdings nur eingeschränkt vorhanden. Dies erstaunt um so mehr vor dem Hintergrund der sich verschiebenden politischen und wirtschaftlichen Epizentren vom euro-atlantischen zum asiatischen Raum. Hier ist zu diskutieren, inwieweit Deutschland seiner Rolle als maritimer Akteur in ausreichendem Masse gerecht wird und ob die maritimen Fähigkeiten Deutschlands ausreichen.
Beispielhaft sei das Engagement der Bundesrepublik im Rahmen maritimer Einsatzverbände am Horn von Afrika zum Schutz der Handelsschifffahrt vor Piraten genannt. Hier zeigt sich bereits, dass die maritimen Kapazitäten Deutschlands begrenzt sind. Darüber hinaus sind zusätzliche Maßnahmen, wie etwa der Einsatz privater Sicherheitskräfte mit eng begrenztem defensivem Mandat zum Schutz deutscher Schiffe, eine Option, die vorurteilsfrei geprüft werden sollte.
Heino Vahldieck, Hamburger Präses der Behörde für Inneres
Quelle: Bundeskademie für Sicherheitspolitik
5. Integration als Schlüsselaufgabe für Deutschland
20 % der Bevölkerung in Deutschland haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. Die erfolgreiche Integration dieser Menschen in die deutsche Gesellschaft ist Herausforderung und Schlüsselaufgabe zugleich.
Bildung und Förderung der Sprachkompetenz sind die grundlegenden Kernelemente einer Strategie zur Integration der Migranten. Dabei sollte die Integrations-Strategie ein ausgewogenes Verhältnis an fordernden (z.B. auch temporärer Entzug von Transferleistungen) und fördernden Elementen enthalten.
Die Rahmenbedingungen für ein solches System sind auf Bundes- und Landesebene zu setzen, welche auch eine strategische Ausrichtung der Einwanderungspolitik umfassen müssen, die sich nicht nur an kurzfristigen arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen orientiert, sondern langfristig perspektivisch orientiert ist. Die Erhöhung von Transferleistungen (z.B. Kindergeld, Hartz IV) kann nur eingeschränkt helfen, vielmehr sollte der Fokus auf den Ausbau von Infrastrukturen (z.B. Kindergärten, Schulen) gerichtet werden.
Die konkrete Ausgestaltung der Integrationspolitik muss lokal erfolgen. Die Einbeziehung und strukturierte Vernetzung aller relevanten Akteure, wie Verwaltung, Stadtteilmanagement, Schulen, Sicherheitsbehörden und Migrantenorganisationen ist Voraussetzung für ein Gelingen integrativer Maßnahmen.
Eine besondere Herausforderung, insbesondere vor dem Hintergrund terroristischer Gefahren, ist die Radikalisierung junger Muslime durch islamistische Gruppierungen, insbesondere in urbanen Räumen, die stark von muslimischen Migranten geprägt sind. Um dieser Gefahr zu begegnen, ist eine umfassende und präventive Aufklärungsarbeit erforderlich, die alle staatlichen (Verwaltungen, Jugendämter, Schulen, Polizei, Gerichte, etc.) und nichtstaatlichen Akteure (freie Träger, geeignete muslimische/Migranten-Verbände) vernetzt. Daneben ist die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern in Deutschland eine geeignete Maßnahme, um den Missionierungsversuchen islamistischer Gruppierungen zu begegnen und einen zeitgemäßen modernen und europäischen Islam zu etablieren.
Fazit: In Modul 2 zeigte sich deutlich, dass es auch im Bereich der nationalen Sicherheitsvorsorge keine Alternative zu einer umfassenden und vernetzten Zusammenarbeit der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure gibt.
Autoren: Arbeitsgruppe "Afrika" des Seminars für Sicherheitspolitik