Arbeitspapiere

Der INF-Vertrag als Kernelement der nuklearen Rüstungskontrolle: Zum Untergang verdammt?

30/2017
Der Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion über die Vernichtung ihrer Mittel- und Kurzstreckenraketen, kurz INF Vertrag, einer der wenigen verbliebenen nuklearen Abrüstungsverträge, ist mit Vollendung seines 30. Lebensjahrs im Dezember 2017 in Gefahr, unterzugehen. Erstmals 2014 haben die USA offiziell eine Vertragsverletzung durch Russland moniert und erwägen sowohl politische wie auch militärische Maßnahmen um hierauf zu reagieren. Da es dabei vorrangig um Europas Sicherheit geht, sollte diese Debatte auch in der breiteren europäischen Öffentlichkeit geführt werden. Nur so kann innenpolitischen Verwerfungen oder Spaltungstendenzen innerhalb der Allianz vorgebeugt werden, die durch eventuelle Beschlüsse und Reaktionen der USA hervorgerufen würden. Die künftige Bundesregierung sollte sich dieser Frage aktiv annehmen.

30 Jahre Erfolgsgeschichte in Gefahr?

Der Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion über die Vernichtung ihrer Mittel- und Kurz­streckenraketen, kurz INF Vertrag,1 ist einer der wenigen verbliebenen Abrüstungsverträge, der die Arsenale der USA und Russlands im nuklearen Bereich noch beschränkt. Ausgehandelt in den 1980er Jahren ist dieses Instrument kurz vor Vollendung seines 30. Lebensjahrs in Gefahr, unterzugehen. Als einziges Instrument hat der Vertrag auf Seiten der USA und Russlands eine ganze Kategorie von nuklear bestückten Raketen abgeschafft. Konkret sind dies alle (landgestützten) nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper im Reichweitenbereich zwischen 500 und 5.500 km, die vor allem Europas Sicherheit bedrohten. Bereits 2008 gab es erste unbestätigte Berichte über eine Verletzung des Vertrages durch Russland. Die Obama Administration hat diese Sorgen erstmals 2011 mit Mitgliedern des US Kongress erörtert. Der Vertrag ist in seiner Substanz spätestens seit der ersten offiziellen Feststellung 2014 durch das US State Department in seinem jährlichen „Compliance Report“ an den Kongress in Gefahr.2 Seit dieser Feststellung ist nicht nur in akademischen Zirkeln sondern auch in der US Politik eine intensive Debatte entbrannt, wie die USA auf die Russland unterstellte Vertragsverletzung reagierten sollten. In jüngster Zeit hat diese Debatte auch verstärkt die NATO erreicht. NATO Generalsekretär Stoltenberg hat die Sorgen der Alliierten um die Einhaltung des Vertrags mehrfach öffentlich gemacht. Auch das Abschlusskommuniqué des NATO Gipfels in Warschau bezieht dazu Stellung.

Worum geht es im Kern: Die USA werfen Russland (als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion der Vertrags­partner im INF) vor, durch die Entwicklung und den Test eines Marschflugkörpers, der die im Vertrag genannten Reichweiten überschreitet, den Vertrag verletzt zu haben. Unbestätigten Presseberichten zufolge hat Russland im Februar 2017 sogar mit der (ebenfalls verbotenen) Stationierung dieses Marschflugkörpers (in der US-Terminologie SSC-8 abgekürzt) begonnen. Spekulationen über andere russische Raketentypen, die eine Vertragsverletzung darstellen könnten, etwa veränderte Versionen der Iskander-M, des R-500/SSC-7 Marschflugkörpers oder einer auf kürzere Reichweiten abgespeckte R-26 Interkontinentalrakete, sind bisher nicht substantiiert oder werden von Russland dementiert. Russland weist bisher jeden Vorwurf einer Vertragsverletzung zurück und verlangt von den USA Belege, die diese jedoch aus Geheimhaltungsgründen bisher nicht bereit sind, öffentlich zu machen.

Im Gegenzug unterstellt Russland den USA Verletzungen des Vertrages durch eigene Systeme. Die russischen Gegenvorwürfe konzentrieren sich im Kern auf drei Elemente: (1) Die Nutzung von Raketen in Raketenabwehrtests (Ballistic Missile Defence/BMD) mit Charakteristika ähnlich derer von ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen, (2) den Aufbau von Raketenabwehrstationen in Rumänien und Polen, die geeignet seien, auch landgestützte Marschflugkörper zu verschießen3 und (3) die Beschaffung und den Einsatz von bewaffneten Drohnen mittlerer Reichweite, die nach russischer Interpretation ebenfalls unter das Verbot des INF-Vertrages fallen. Die USA haben sich mit diesen russischen Vorwürfen intensiv auseinandergesetzt und weisen sie für jeden Bereich kategorisch als unbegründet zurück.

Sowohl die US-Vorwürfe an Russland als auch die Gegenvorwürfe aus Moskau lassen sich ohne Kenntnis und Zugang zu der Geheimhaltung unterliegenden Informationen schwer verifizieren oder falsifizieren. Dies wird deshalb hier auch gar nicht versucht. Vielmehr unterstellt dieses Papier, dass entweder Russland oder die USA (etwa als Reaktion auf eine bestätigte russische Vertragsverletzung) in den nächsten Jahren auf eine aktive Aufkündigung des Abkommens, oder aber seine Aussetzung hinarbeiten, oder allenfalls diese zumindest willentlich in Kauf nehmen könnten. Während also beide Vertragspartner perspektivisch auf einen offenen Konflikt zusteuern, wird das Problem von vielen NATO-Alliierten ungern öffentlich diskutiert. Im Kern der Analyse soll daher die Frage stehen, welche Möglichkeiten noch zur Verfügung stehen, um den Vertrag in seiner Substanz zu erhalten bzw. wie die USA militärisch oder politisch auf eine Vertragsverletzung oder -aufkündigung durch Russland reagieren könnten. Dabei wird besonderes Augenmerk daraufgelegt, zu welchen Spannungen dies auch zwischen der NATO und Russland und innerhalb der westlichen Allianz führen kann, und welche Empfehlungen von europäischer Seite gemacht werden können.

Mehr Raum für die Diplomatie

Kann der Vertrag gerettet werden und wenn ja, wie? Gefragt sind zunächst die Vertragspartner des INF-Vertrages USA und Russland.4 Russland sieht aber darüber hinaus auch indische und chinesische Entwicklungen bei Mittelstreckenraketen mit großer Sorge. Da die Ziele etwaiger russischer Kurz- und Mittelstreckenraketen im verbotenen Reichweitenbereich aber in erster Linie in Europa liegen würden, muss Europa ein essentielles Interesse und Mitspracherecht in diesen Fragen geltend machen. Dies gilt insbesondere für die europäischen NATO-Staaten, die einerseits im nuklearen Konsultationsmechanismus der NATO verbunden sind und andererseits durch die NATO-Beschlüsse zum Aufbau eines Raketenabwehrsystems und der sukzessiven Übertragung der Verantwortung hierfür an die NATO-Kommandostruktur, des sogenannten European Phased Adaptive Approach (EPAA), nolens volens der Debatte stellen werden müssen.

Dies gilt umso mehr, als Russland durch seine verschärfte nukleare Rhetorik, wie auch durch Großmanöver und verbale Drohung gegenüber den NATO-Staaten an der Ostflanke bereits heute versucht, spaltend auf die NATO einzuwirken. Missverständliche Aussagen von US-Präsident Trump zur Bündnisverpflichtung der USA gegenüber den NATO-Partnern und damit auch im Hinblick auf den nuklearen „Schutzschirm“ und die Garantie der erweiterten Abschreckung für Europa haben ebenfalls nicht zur Beruhigung beigetragen. Was also tun?

Es gilt zunächst innerhalb der NATO eine umfassende Bestandsaufnahme dessen zu machen, was bei einem Ende des INF-Vertrages, aus welchen Gründen auch immer, für die westliche Allianz und insbesondere für die europäische Sicherheit auf dem Spiel stehen würde. Auf dieser Grundlage sollten sorgfältig alle diplomatischen und militärischen Handlungsoptionen erörtert und auf ihre Wünschbarkeit und politische Realisierbarkeit untersucht werden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müsste eine solche Diskussion auch in der breiteren Öffentlichkeit geführt werden. Nur so kann innenpolitischen Verwerfungen oder Spaltungstendenzen innerhalb der Allianz vorgebeugt werden, die durch eventuelle einseitige Beschlüsse und Reaktionen der USA hervorgerufen würden. Hier wird auch die künftige Bundesregierung gefragt sein.

Sofern diplomatische Lösungen - auch unterstützt durch Sanktionen gegenüber Personen, Firmen oder Institutionen die möglicherweise in eine Vertragsverletzung involviert sind - nicht greifen, sollten auch andere Optionen erwogen werden. Hierzu gehört etwa die Drohung mit der Aufkündigung oder dem Auslaufen von anderen Abrüstungs- oder Rüstungskontrollverträgen, deren Erhalt auch im Interesse Russlands ist, wie etwa der New START Vertrag, der Vertrag über den Offenen Himmel (Open Skies Treaty) oder der Vertrag über konventionelle Rüstungsbegrenzungen in Europa (VKSE). Da all diese Verträge und ihre Einhaltung jedoch auch im wohlverstandenen Interesse des Westens und Europas liegen, gilt es hier sorgfältig abzuwägen, welche Gefahren durch die Auf­kündigung für Europa erwachsen könnten.

Deshalb sollen auch militärische Reaktionen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Diese sollten aber im westlichen Interesse klar unterhalb einer Vertragsverletzung liegen, um dem Vertrag nicht selbst von westlicher Seite den Todesstoß zu geben. Dazu könnten eine noch intensivere rotierende Präsenz von NATO Truppen im östlichen Bündnisgebiet gehören. Ein Ausbau der Raketenabwehrfähigkeiten der NATO in Europa, die sich auch gegen russische Kurz- und Mittelstreckenraketen richten könnte, ist dagegen nicht unproblematisch. Er würde der Beschlusslage der NATO widersprechen, nach der diese Fähigkeiten sich eben gerade nicht gegen Russland, sondern gegen Bedrohung von außerhalb des europäisch-atlantischen Gebiets (also etwa aus Iran, Syrien oder Nordkorea) richten. Eine solche Entscheidung, sollte sie dennoch getroffen werden, müsste daher zumindest mit einer offensiven Dialog- und Transparenzinitiative gegenüber Russland einhergehen, auch um die bereits oben dargestellten russischen Vorwürfe zu begegnen, das NATO-Raketenabwehrsystem ziele bereits jetzt darauf, das strategische Gleichgewicht gegenüber Russland zu verändern.

Schließlich könnte ein ernsthafter Versuch unternommen werden China, Indien und Pakistan, die selbst Mittelstreckenraketen entwickeln oder im Einsatz haben und nicht durch den INF-Vertrag gebunden sind, in das Vertragswerk einzubeziehen und den INF-Vertrag damit zu multilateralisieren. Damit könnte immer wieder von russischer Seite vorgebrachten Argumenten begegnet werden, dass die USA und Russland durch ihre vertragliche Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Kurz-und Mittelstreckenkapazitäten benachteiligt gegenüber diesen Nuklearmächten seien, die keinen Einschränkungen in ihrem Nukleararsenal unterliegen. Allerdings dürfte die Bereitschaft asiatischer Länder, sich in nukleare Rüstungskontrollregime einzubinden, eher gering sein.

Oberste Handlungsmaxime sollte zunächst sein, nichts unversucht zu lassen, um durch Gespräche oder Verhandlungen Vorwürfe über Vertragsverletzungen zu erörtern und eventuell Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Zwar haben die USA nach Presseberichten spätestens seit 2013 mehrere solche Versuche unternommen, genau hierüber mit Russland zu sprechen, sind aber bisher auf russische Zurückhaltung gestoßen. Russland negiert eine Vertragsverletzung und verlangt von den USA die Offenlegung ihrer Quellen. Auch die seit 2000 erstmalige Einberufung des in Artikel III des INF-Vertrages vorgesehenen Verifikationsmechanismus (Special Verification Commission) im November 2016 scheint in dieser Frage keine Fortschritte gebracht zu haben. Die USA haben hierüber nach Presseberichten auch die Alliierten unterrichtet, ohne dass genaue Details bekannt wurden. Würden die USA alle ihre Hinweise offenlegen, also nachvollziehbare Nachweise liefern, würde dies die Beurteilung der Vorwürfe auch durch NATO Verbündete erheblich erleichtern. Russland scheint sich weiterhin beharrlich darauf festzulegen, jede Vertragsverletzung von sich zu weisen, so lange die USA diese nicht weiter untermauern.

Diese Weigerung, überhaupt ein Problem anzuerkennen, hat mittlerweile Stimmen in den USA und Europa aufkommen lassen, die einer Reaktion durch andere diplomatische Mittel (etwa der Auf­kündigung des INF-Vertrages oder anderer Abrüstungsverträge) oder auch durch militärische Gegenmittel das Wort reden. Der US Kongress hat bereits mehrere Hearings zu dieser Frage durchgeführt – zuletzt im März 2017. Ein Gesetzesvorschlag im US-Kongress soll den Präsidenten nicht nur dazu zwingen, eine russische Vertragsverletzung zu bestätigen, sondern für diesen Fall auch Mittel zur Entwicklung neuer Mittelstreckenwaffen und für den Ausbau der Raketenabwehr bereitzustellen.5 Noch hat der Vorschlag keine Gesetzeskraft und wird in den zuständigen Parlamentsausschüssen diskutiert. Viele Beobachter werten daher den Gesetzentwurf bisher auch eher als ein diplomatisches Instrument, um auf Russland Druck auszuüben, den Vertrag einzuhalten, als einen Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag.

„Nukleare“ Reaktionsmöglichkeiten

Die in den USA wohl im Kongress als auch in den sicherheitspolitischen Institutionen diskutierten Optionen reichen von (1) einer Reaktion durch neue oder verstärkte konventionelle Gegenmaßnahmen, (2) der Kündigung des INF- und anderer geltender Abrüstungsverträge oder das Auslaufen derselben (zum Beispiel New START, Open Skies-Vertrag) bis hin zur (3) Entwicklung (und gegebenenfalls Wiederstationierung in Europa) neuer landgestützter nuklearer oder konventioneller Kurz- und Mittelstreckensysteme.

Europäische und amerikanische Stimmen empfehlen nicht selten, auf eine eklatante Vertragsverletzung durch Russland mit der Wiederherstellung der Lage vor dem Abschluss des INF-Abkommens zu reagieren. Wenn Russland nachweislich wieder Mittelstreckenwaffen stationiert, müsste, so die Begründung, auch die NATO die einst abgezogenen Pershing-Raketen und Marschflugkörper oder vergleichbare heutige Systeme wieder in Position bringen. Ohne hier auf die Details der avisierten Maßnahmen einzugehen, ruft vor allem diese Option in Europa Erinnerung an schwierige innenpolitische Debatten in den 1980er Jahren hervor, wie sie im Zusammenhang mit dem sogenannten NATO-Doppelbeschluss von 1979 insbesondere in Deutschland, aber auch in anderen europäischen NATO Ländern geführt wurden.

In Deutschland kulminierte dies Anfang der 1980er Jahre in den größten Demonstrationen für Abrüstung in der deutschen Geschichte. Dadurch kam es letztlich nicht nur zu einem Verlust der Parlamentsmehrheit für die SPD geführte Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt, der sich vehement für den Beschluss einsetzte. Sie führten auch fast zu einer Spaltung der SPD (und der FDP) und bildeten eine der entscheidenden Grundlagen und den Auftrieb für die Grüne Bewegung und -Partei. Eine Stationierung oder Wiederstationierung landgestützter nuklearer oder konventioneller Kurz- und Mittelstreckensysteme in Europa ist in der gegenwärtigen politischen Situation jedenfalls in Westeuropa schwer denkbar. Vor diesem Hintergrund gilt es diejenigen Handlungsmöglichkeiten zu erörtern, die realistisch und politisch durchsetzbar erscheinen.

Diese einfache Argumentation verkennt nicht nur den gewaltigen öffentlichen Protest, mit dem zu rechnen wäre. Es unterschlägt auch die komplexe nuklearstrategische Logik, die dem NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 (entweder sowjetische Abrüstung oder Nachrüstung der NATO) zugrunde lag und die heute nicht mehr gegeben ist. Es ging damals nämlich nicht um den bloßen zahlenmäßigen Ausgleich der sowjetischen Waffenstationierungen, sondern um die Glaubwürdigkeit des NATO-Prinzips der „Erweiterten Abschreckung“ insgesamt. Dieses Prinzip, demzufolge die USA ein Sicherheitsversprechen für die nicht-nuklearen Bündnispartner geben, leidet grundsätzlich an einem Glaubwürdigkeitsproblem. Die Schutzbefohlenen können nie sicher sein, ob Amerika auch zu seinem Wort steht, zumal es bei einem Kernwaffeneinsatz selbst Opfer sowjetischer bzw. russischer nuklearer Vergeltung würde: „San Francisco riskieren um Frankfurt zu retten?“ war stets die Frage, auf die das Dilemma reduziert wurde.

Dieses Dilemma wurde umso prekärer, seit die Supermächte nuklearstrategische Parität erreicht und rüstungskontrollpolitisch vereinbart haben. Da die NATO im sogenannten „Kontinuum der Abschreckung“ eine Lücke zwischen den interkontinental-strategischen Systemen der USA und den taktischen Atomwaffen in Europa feststellte – nämlich das Fehlen von Mittelstreckenwaffen, die von Europa aus sowjetisches Territorium erreichen konnten – bestand die Befürchtung westeuropäischer Bündnispartner, dass ein Atomkrieg auf Europa beschränkt bliebe, und damit gegebenenfalls seitens der Supermächte in Kauf genommen würde, während sich Moskau und Washington mit Langstreckenwaffen gegenseitig in Schach hielten. Ziel der Nachrüstung war es also, die taktischen Kernwaffen in Europa an die interkontinentalen Potentiale der USA „anzukoppeln“.

Auch wenn eine solche Argumentation heute geradezu theologisch klingen mag, so entsprach sie doch der nuklearen Logik des bipolaren Ost-West Konfliktes. Eine solche Logik ist heute nicht mehr gegeben. Somit verbietet sich auch die ungeprüfte Anwendung der Rezepte des Kalten Krieges. Die Entwicklung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen durch die USA und insbesondere deren (Wieder-)Stationierung in Europa sollte als Ultima Ratio, also erst dann erwogen werden, wenn deutlich würde, dass alle vorher genannten diplomatischen und militärischen Reaktionsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und jeder Versuch erfolglos geblieben ist, Russland zur Korrektur seines Verhaltens zu bewegen. Es würde dem Vertrag endgültig den Todesstoß versetzen und wäre das Eingeständnis, dass eines der Kernelemente des Systems der Abrüstung und Rüstungskontrolle, das Europa im und nach dem Kalten Krieg sicherer gemacht hat, endgültig gescheitert ist.

Die Autoren sind Präsident und Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Sie geben hier ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder.

1 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialist Republics on the Elimination of Their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles, unterzeichnet am 8. December 1987, in Kraft seit 1. Juni 1988.

2 Report on the Adherence to and Compliance with Arms Control, Nonproliferation and Disarmament Agreements and Commitments, https://www.state.gov/t/avc/rls/rpt/2017/index.htm

3 Diese auch „Aegis Ashore“ genannten Stationen basieren technisch auf den (vertragskonformen) bei Schiffen verwendeten Mk-41 Abschussrampen, welche auch Marschflugkörper verschießen können, sind aber laut US Regierung so verändert, dass sie nur Abwehrraketen und keine offensiven Boden-Boden-Flugkörper abschießen können.

4 Darüber hinaus sind zur Zeit nur noch Weißrussland, Kasachstan und Ukraine unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in den Vertrag eingebunden und in seinem Konsultationsmechanismus aktiv.

5 S.430 – Intermediate-Range Nuclear Forces (INF) Treaty Preservation Act of 2017,
https://www.congress.gov/bill/115th-congress/senate-bill/430

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/5

 

Arbeitspapier Thema: 
Nuklearwaffen
Rüstungskontrolle
Region: 
Europa
Russland
USA
Schlagworte: 
Rüstungskontrolle
Nuklearwaffen
Russland
Europa
USA