DFS 2016: Zusammenfassung und Schlusswort von Roderich Kiesewetter

Roderich Kiesewetter, MdB

Kernaussagen im Video. Roderich Kiesewetter, MdB
Stellvertretender Sprecher des Beirates der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS)
 

Zusammenfassung und Schlusswort 
Roderich Kiesewetter, MdB

Kiesewetter hob zunächst den Ministerdialog als innovativen Auftakt des diesjährigen Forums für Sicherheitspolitik mit Entwicklungsminister Müller und Verteidigungsministerin von der Leyen hervor. Dieser prominente Programmpunkt zeige in besonderer Weise das Bemühen der Verantwortlichen, gemeinsam und vernetzt wichtige Themenfelder aufzugreifen.

Zentraler sicherheitspolitischer Ausgangspunkt des Forums sei der sog. „Münchner Konsensus“ von 2014 gewesen, d.h. die Forderung an die eigene Außenpolitik, „schneller, entschiedener und substanzieller“ zu handeln. Der Konferenz sei es gelungen, diese sehr klare Rhetorik stets auch an der Wirklichkeit zu spiegeln. In diesem Sinne sei auch deutlich geworden: beim Hauptthema des DFS 2016, den Fluchtursachen, handele es sich um eine höchst komplexe Materie, und nicht zuletzt deswegen sei es wichtig, die Trends sorgfältig zu beobachten. Hierzu rechnete Kiesewetter in erster Linie zunehmende religiöse Trennlinien (vornehmlich zwischen Sunniten und Schiiten), den Klimawandel und die nach wie vor zunehmende Diskrepanz zwischen arm und reich, selbst wenn es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen sei, dass die absolute Zahl hungernder Menschen bei einer um 3 Mrd. Menschen gewachsenen Weltbevölkerung nicht weiter gestiegen ist. Auch heute, so Kiesewetter weiter, seien 800 Millionen hungernde Menschen aber zu viel und nicht hinnehmbar. Weitere zentrale Problemfelder mit fluchtinduzierender Wirkung seien die Aushöhlung staatlicher Ordnung, zunehmende Fragilität sowie die immer stärker zu beobachtende Methode der Informationsverfälschung.

Notwendig sei eine genaue Betrachtung, was Entwicklungszusammenarbeit aus europäischer Sicht, gerade auch in der Konkurrenz zu anderen entwicklungspolitischen Angeboten, leisten könne, etwa in den Bereichen good governance, der Bekämpfung organisierter Kriminalität, Minderung von Korruption oder beim Aufbau eines korruptionsfreien, leistungsfähigen Steuersystems. Kiesewetter empfahl, hier mit benchmarks zu arbeiten. Kiesewetter skizzierte zudem folgende Leitlinien in der Entwicklungszusammenarbeit: Nicht Staaten durch Entwicklungszusammenarbeit von ihrer Verantwortung entlasten, auch unliebsame Dinge zu tun. Nicht Systeme stabilisieren, indem wir Entwicklungszusammenarbeit (EZ) leisten, obwohl der politische Wille in zentralen entwicklungsrelevanten Bereichen fehlt. Nicht aus innenpolitischer Sicht Mittel einfrieren, sondern diese allenfalls – dann aber konsequent – konditionieren, und: weiterhin gezielt Bildung und Ausbildung als tragende Elemente im Portfolio der deutschen Entwicklungszusammenarbeit anbieten, ungeachtet der Neigung mancher Partnerregierung, sich eher für die „Leichtigkeit“ konkurrierender EZ-Angebote anderer Geber zu erwärmen.

Durch die verstärkte ressortübergreifende Zusammenarbeit insbesondere zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungs- und dem Entwicklungsministerium sei ein erfreulicher Fortschritt in der Exekutive sichtbar, der sich im Parlament aber noch nicht analog abbilde; hier werde nach wie vor in einer versäulten Gesamtkonstellation von 23 ständigen Ausschüssen auf dem Stand der 90er Jahre gearbeitet. Kiesewetter plädierte dafür, fraktionsübergreifend einen Krisen-Ausschuss einzurichten, wie es ihn für Afghanistan gegeben hatte. „Das müssen wir uns wünschen und hart in der parlamentarischen Arbeit erfechten.“ Weil es dabei natürlich auch um den einen oder anderen Posten, um die eine oder andere lieb gewonnene Gewohnheit und um entsprechende Kaminröhren und Säulen gehe, betonte Kiesewetter: “Das müssen wir überwinden!“

Auf den nächsten Bundestag kämen nicht nur zwei weitere Parteien zu, was Auswirkungen auf den Prozess der demokratischen Willensbildung haben werde, sondern es werde sich auch die Frage stellen: „Wie organisieren wir den Bundestag so effektiv in der Krisen-Frühwahrnehmung, in der Begleitung und Kontrolle der Regierung und in schnellen, entschiedenen Maßnahmen, damit wir nicht der Exekutive hinterherhinken, sondern in der Lage sind, auf Augenhöhe zu kontrollieren.“ Diese Frage sei unbeantwortet, erklärte Kiesewetter.

Im Deutschen Bundestag sei man sich weitgehend einig, „dass wir in den operativen Faktoren Kräfte, Raum, Zeit und Information über ausreichend finanzielle Mittel verfügen.“ Sie würden nur nicht schnell genug verfügbar gemacht, und die Kontrolle sei nicht immer gegeben. Auch was die Räume angehe, so Kiesewetter, habe „unser Land im letzten Jahr, indem es Raum geboten hat für eine Million Flüchtlinge zusätzlich, sehr viel geboten“.

Kiesewetter wörtlich: „Viel kritischer ist für mich der Faktor Zeit. Zu Recht sei in den Diskussionsrunden die Frage der „strategischen Geduld“ in und mit Krisenregionen angesprochen worden, aber eben auch die Notwendigkeit, rasch zu handeln, unter Berücksichtigung des Machbaren und unter gezieltem Rückgriff auf interkulturelle Kompetenzen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete Kiesewetter die Liveschalte aus dem Ministerdialog nach Bamako/Mali (Afrika) zu Praktikern bzw. Experten der Bundeswehr und des Entwicklungsministeriums als sehr anschaulich und informativ zur unmittelbaren Darstellung des vernetzten Ansatzes vor Ort.

Mit folgenden Gedanken beendete der stellvertretende Sprecher des Beirates der BAKS das Deutsche Forum Sicherheitspolitik 2016:

Wichtig sei erstens, „die Mandate in der öffentlichen Diskussion eben nicht nur auf das Militär zu fokussieren, sondern viel stärker in der strategischen Kommunikation deutlich zu machen, dass das, was außenpolitisch, diplomatisch, entwicklungspolitisch geleistet wird, vielleicht auch in den Mandaten unterfüttert wird, dass sich diejenigen, die sich im zif [Zentrum für internationale Friedenseinsätze] und in anderen Entsendeorganisationen exzellent für unser Land einsetzen, auch im Parlament wiederfinden und wir die Diskussion von dieser reinen Militärorientierung hin zu einem ganzheitlichen Ansatz bringen.“ Darin liege, so Kiesewetter, ein leicht zu bewältigendes Defizit, für dessen Lösung die Zeit reif sei.

Zweitens stelle Kiesewetter noch einmal auf die Notwendigkeit und die Bedeutung der Differenzierung zwischen Interessen und Werten ab. Eine ausschließlich werteorientierte Außen-, Sicherheits-, und vernetzte Entwicklungspolitik reiche nicht aus, wenn wir nicht wissen, wohin wir wollen, wo unsere Interessen liegen. Eine rein interessenorientierte Politik, die sich an einigen wenigen Interessen orientiere wie freier Welthandel oder gesicherte Rohstoffzufuhr, verkenne, dass wir christliche Werte, humanistische Werte sowie Fragen der Gerechtigkeit und der Solidarität nicht ausschließlich über Interessen abbilden können. Vielmehr gelte es, das Thema der Werteorientierung gleichberechtigt zu betrachten.

Kiesewetters Resümee: „Wenn wir strategische Geduld und einen langen Atem mit konstruktiver Schnelligkeit verbinden, mit der Bündelung von Kompetenzen, mit guter strategischer Kommunikation und auch mit der Fähigkeit, mit Unsicherheit, mit ungewissen Informationen und mit vernünftiger Aufbereitung des Vorhandenen umzugehen, dann werden wir im vernetzten Ansatz den Erfolg haben, den wir in den nächsten fünf Jahren brauchen.“

In diesem Sinne: „Bleiben Sie der BAKS und ihrer sicherheitspolitischen Ausrichtung gewogen!“