DFS 2016 – Podium 3

Deutsches Forum Sicherheitspolitik

Podium III: "Migration als 'Glücksfall' für den deutschen Arbeitsmarkt oder unternehmerische Verantwortung für die Schaffung von Bleibeperspektiven in den Herkunftsländern?"

 

Dr. Stefan Mair
Mitglied der Hauptgeschäftsführung, BDI

Prof. Dr. Jochen Oltmer
Professor für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien,
Universität Osnabrück

Dr. Elke Löbel
Migrationsbeauftragte des BMZ

Eva Maria Welskop-Deffaa
Mitlgied im Bundesvorstand, ver.di

Moderation: Matthias Deiß, Korrespondent ARD-Hauptstadtstudio

 

Flucht und Migration – es gibt derzeit wohl kaum Themenfelder, die stärker politisch aufgeladen sind. Dies gilt umso mehr in Bereichen, in denen die Interessen von Zugewanderten und Einheimischen aufeinandertreffen. Exemplarisch dafür stehen sowohl die Sozialsysteme als auch der Arbeitsmarkt. In der deutschen Bevölkerung wird zunehmend befürchtet, dass die Integration von Flüchtlingen die Sozialsysteme zu stark belasten könnte. Zudem schüren populistische Strömungen Ängste. Mögliche positive Effekte für den Arbeitsmarkt werden in dieser Auseinandersetzung häufig nicht berücksichtigt.

Jedoch bedeuten Flucht und Migration nicht zwangsläufig nur eine Herausforderung in den Zielländern. Vielmehr geht es auch darum, in den Herkunftsregionen der Zugewanderten eine Verbesserung der Lebensbedingungen herbeizuführen und damit das Fundament für eine Bleibeperspektive zu legen. Politischen Entscheidungsträgern diese Aufgabe allein zu überlassen, wäre nicht ausreichend. Stattdessen bedarf es neuer Akteure bei der Umsetzung. So könnte beispielsweise die Privatwirtschaft gezielt Verantwortung vor Ort übernehmen.

Mythen über Migration und den Arbeitsmarkt

Gleich zu Beginn des Panels III äußerte sich Prof. Dr. Jochen Oltmer zu einer Reihe von - wie er es nannte - "Mythen" , die den ungehinderten arbeitsmarktpolitischen Blick auf das Phänomen der Migration blockierten:  Die demografische Entwicklung könne durch Migration kaum verbessert werden – dafür sei die Zuwanderung von insgesamt  100 Mio. Menschen erforderlich. Entgegen anderslautender Darstellungen sei das Instrument der Zuwanderung auch nur begrenzt  geeignet, der Herausforderung des Fachkräftemangels zu begegnen und lasse sich kaum nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts steuern. "Migration ändert sich schnell, mit einer kaum vorhersehbaren Dynamik", so Oltmer.

Die Annahme, dass  weltweit die Migrationsbewegungen über Grenzen zugenommen hätten, sei falsch. Der größte Teil der flüchtenden oder migrierenden Menschen verbleibe im Herkunftsland oder zumindest in der Region.
Ebenso sei es unbewiesen, dass Armut die Hauptmotivation für Migrationsbewegungen sei. Vielmehr würden viele Menschen durch bessere materielle Bedingungen erst in die Lage versetzt auszuwandern.  Das Gelingen von Integration hänge nicht allein von staatlichen Maßnahmen ab; wichtig sei vor allem eine stärkere Vernetzung und Akzeptanz der Migranten.
Sicher sei, dass die derzeitige Zuwanderung auch positive Effekte für den Arbeitsmarkt bringe; so seien beispielsweise in der Sicherheitsbranche und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen worden. Die unter Migranten und Geflüchteten stärker ausgeprägte Tendenz zur Selbständigkeit sollte gefördert werden, da allein über die unselbständige Beschäftigung  ihre Integration in den Arbeitsmarkt nicht gelingen könne. Auch nach einer Rückkehr könnten die durch Ausbildung und Beschäftigung in Deutschland erworbenen Kenntnisse  die Chancen der Rückkehrer auf dem heimischen Arbeitsmarkt verbessern und sich zugleich günstig auf die Entwicklung des Herkunftslandes auswirken.

Fortschritt bei der Integration in den Arbeitsmarkt?

Eva Maria Welskop-Deffaa, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand wies auf den Paradigmenwechsel  vom Arbeitsverbot zur Beschäftigung noch nicht anerkannter Geflüchteter im Jahr 2015 hin. Insbesondere die Beschäftigung Geflüchteter in "Ein-Euro-Jobs" sei gescheitert, weil das kaum angenommen worden sei und zum Wegfall von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt geführt habe. Inwieweit die Integration in den Arbeitsmarkt am Ende gelingen werde, solle im Rahmen eines Forschungsprojektes der Bundesagentur für Arbeit in Kooperation mit den Gewerkschaften über mehrere Jahre beobachtet werden.

Aus ökonomischer Sicht bildeten staatliche Maßnahmen zusammen mit Mitteln der Steuerung ein unverzichtbares Instrumentarium für das Gelingen der Integration. Nicht zuletzt sollen diese im Endeffekt auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Allerdings habe die fehlende Qualifikation vieler Geflüchteter bei Unternehmern zu Ernüchterung geführt. Zwar lasse sich die grundlegende Qualifizierung nachholen, Dr. Stefan Mair vom BDI stellte aber fest, dass "es ein langwieriger Prozess bleibt, bis eine Person nach zwei bis drei Jahren in ein Unternehmen integriert ist".  Man wolle auch nicht die Qualifikationsanforderungen vermindern, weil diese wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt beitragen.

Frau Welskop-Deffaa auf dem DFS 2016

Frau Welskop-Deffaa schlug vor, beim Qualifikationsniveau zwischen Arbeitsmigranten, die eine dauerhafte Integration in den deutschen Arbeitsmarkt anstrebten, und Geflüchteten zu differenzieren; für letztere sollten auch niedrigere Anforderungen des heimischen Arbeitsmarkts berücksichtigt werden.

Einbindung der Privatwirtschaft

Laut Mair akzeptierten die Unternehmer generell auch ihre Verantwortung für die Schaffung besserer Perspektiven in den Herkunftsländern. Für eine Investition müssten aber Grundvoraussetzungen (Sicherheitsstandards, politische Stabilität und Rechtssicherheit) gegeben sein. Im Gegensatz zu kriegsbehafteten Herkunftsstaaten böten die Nachbarländer oftmals Chancen, Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Dabei könne die Bundesregierung durch Anlagegarantien und Ausfuhrbürgschaften (Hermes) helfen. Wichtig sei auch die Gewährung von Handelspräferenzen für diese Länder durch die EU.

Auch das BMZ ist ein wichtiger Partner der Wirtschaft. Bei der Konzipierung von Projekten des Ministeriums steht jedoch nicht ein "one fits all"-Ansatz im Mittelpunkt, sondern individuell zugeschnittene Programme. "Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist ein Teil der Lösung", so Dr. Elke Löbel, Migrationsbeauftrage des BMZ. Sie betonte, dass die EZ die Fluchtursachenbekämpfung nicht allein leisten könne, vielmehr sei Zusammenarbeit mit anderen Akteuren aus Politik und Wirtschaft unabdingbar.

Dr. Elke Löbel beim DFS 2016

Migrationsbeauftragte des BMZ Dr. Elke Löbel

Trotz der teils sehr unterschiedlichen Positionen über Ansätze zur Integration in Arbeitsmarkt und Sozialsysteme bestand am Ende Übereinstimmung, dass eine gute Bildung wesentlich zur Erreichung dieses Ziels beitrage. Daher müsste nach Ansicht aller Panelisten dieser Bereich stärker politisch und finanziell unterstützt werden.  Darüber hinaus liege ein weiteres Schlüsselelement in der Arbeit in den Herkunftsstaaten bzw. -regionen. Dort müsse die Entwicklungszusammenarbeit von dem Prinzip geleitet sein, kurzfristig zu agieren und langfristig zu planen.

Autoren: Vera Kislinskaa und Wolfgang Dik