Arbeitspapiere

Die Europa-Armee: Pro und Kontra

4/2015
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Angesichts der drängenden Fragen um die Ukraine oder ISIS ist die Idee der Europa-Armee eher unerwartet wieder aufgeflammt und hat sogleich eine Kontroverse über den Nutzen einer derart weitreichenden Integration europäischer Streitkräfte ausgelöst. Dabei werden in den Meinungsseiten der Tagespresse häufig normative Argumente mit eher technischen Fragen vermischt – umso schwerer ist es, die vorgebrachten Gründe gegeneinander abzuwägen. Welche Argumente werden für und gegen die Europa-Armee genannt?

Eine Auflistung des Pro und Kontra einer Europa-Armee wird dadurch verkompliziert, dass es durchaus unterschiedliche Konzepte einer solchen Streitmacht gibt, die alle Vor- und Nachteile mit sich bringen. Befürworter und Gegner verschweigen häufig, auf welches Modell sie sich beziehen und was sie unter den genannten Begrifflichkeiten verstehen. Deshalb wird häufig das gleiche Argument für und gegen gemeinsame europäische Streitkräfte aufgebracht. Vor einer Auflistung des Für und Wider müssen deshalb die offenen Fragen genannt werden, welche die jeweilige Position bestimmen.

Offene Fragen

  • Bezieht sich die Europa-Armee nur auf die Europäische Union oder auf Europa insgesamt? Ist es Europa insgesamt, meint man dann eher Westeuropa, also jene Länder, die auch gleichzeitig in der NATO sind, wie etwa Norwegen? Oder wählt man eine breite Definition von Europa und schließt etwa Georgien mit ein? Sollte die Ukraine dazu gehören oder sieht man sie als Sonderfall?

  • Soll die Europa-Armee aus nationalen Streitkräften bestehen, die ähnlich wie bei der NATO einem gemeinsamen Kommando assigniert werden – geht es also primär um Souveränitätsverzicht? Oder meint man eine kleine Streitmacht, die von einem der Organe der EU – etwa der Kommission – aufgestellt und finanziert wird und diesem untersteht?

  • Soll die Europa-Armee die einzige in der EU existente Streitmacht sein oder soll es neben einer gemeinsamen Armee auch weiterhin nationale Streitkräfte für nationale Aufgaben geben? Von welchem Grad der Europäischen Integration wird ausgegangen?

  • Wer entscheidet über den Einsatz der Europa-Armee – ist es der Europäische Rat, die Kommission oder das Europaparlament? Welche Rolle sollen die nationalen Parlamente haben? Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung spricht von einer „parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee“, erläutert aber nicht, ob der Bundestag oder das Europaparlament gemeint ist.

  • Welche Aufgabe soll eine Europa-Armee erfüllen? Wäre sie ein Instrument zur militärischen Intervention in Krisen in Europas Nachbarschaft oder soll sie auch dem Zweck der Landes- und Bündnisverteidigung dienen? Letzteres ist derzeit der NATO überlassen, während sich die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) auf das Krisenmanagement konzentrieren soll.

  • Wie soll die gemeinsame Streitmacht finanziert werden? Sollen die Mitgliedsstaaten die Hauptlast tragen und auch die Kosten für die Einsätze finanzieren oder soll die EU über ein eigenes Budget für solche Zwecke verfügen?

  • Im Zusammenhang mit den Kosten stellt sich die Frage, ob es ein europäisches Beschaffungswesen geben wird und wer über Ausschreibungen für Rüstungsgüter entscheidet und welche Rolle die European Defence Agency (EDA) einnehmen könnte?

  • Je nach Grad der militärischen Integration und den Ambitionen der Europa-Armee stellt sich die Frage, was mit den britischen und französischen Nuklearstreitkräften geschehen soll? Sollen sie unter nationalem Kommando bleiben oder soll der Souveränitätsverzicht so weit gehen, dass sie einer europäischen Entscheidungsautorität unterstellt werden?

Je nachdem, welche Antworten auf diese Fragen gegeben werden, ändert sich das jeweilige Konzept, das für die Europa-Armee angenommen wird und damit auch die Abwägung der Vor- und Nachteile. Somit bedeuten die nachfolgenden Auflistungen auch keine jeweils in sich geschlossene Argumentationskette, sondern lediglich eine Sammlung der meistgenannten Argumente.

Gründe für die Europa-Armee

  • Das Konzept einer Europa-Armee – in welcher Form auch immer – ergibt sich aus der Logik der europäischen Integration hin zu einer politischen Union. Eine Union, die sich auf eine gemeinsame Währung einigen konnte, kann nicht das Militär dauerhaft unter nationaler Kontrolle belassen.

  • Damit würde man der europäischen Idee einen Schub verleihen. Auch könnte dies – wie von Jean-Claude Juncker vorgebracht – ein kraftvolles Signal an Russland senden.

  • Auch ergibt sich der Gedanke einer gemeinsamen Streitmacht nahezu automatisch, wenn man den Gedanken des „Pooling and Sharing“ – also der Bündelung der vorhandenen militärischen Fähigkeiten – zu Ende führt.

  • Evident ist ebenfalls, dass gemeinsame Streitkräfte effizienter wären als die nationalen Armeen, da Redundanzen auf allen Ebenen vermieden würden.

  • Dadurch ließen sich die europäischen Verteidigungsausgaben weit effizienter verwenden. Derzeit umfassen die Verteidigungshaushalte der EU immerhin fast 200 Milliarden Euro – die Fähigkeiten der EU-Streitkräfte entsprechen aber nur 10 bis 15 Prozent der Leistungsfähigkeit des amerikanischen Militärs.

  • Von einer effizienteren Nutzung der Verteidigungshaushalte würden auch die rüstungsindustriellen Fähigkeiten profitieren, da deutlich mehr Geld für militärische Investitionen zur Verfügung stünde.

  • Eine auf diese Weise verstärkte Europäische Union würde in der künftigen multipolaren Welt einen ernst zu nehmen „Pol“ bilden, der neben wirtschaftlichem auch militärischen Einfluss geltend machen könnte.

  • Je nach Ausgestaltung wäre eine Europa-Armee ohne weiteres mit den Strukturen der NATO kompatibel und würde damit die transatlantischen Bindungen eher stärken als schwächen.

  • Eine NATO-kompatible Europa-Armee wäre ein wichtiges Element transatlantischer Lastenteilung. Sie würde somit langjährigen Forderungen der USA nach mehr „Burden Sharing“ Rechnung tragen.

  • Schließlich würden gemeinsame Streitkräfte die EU-Mitglieder zwingen, ihre nationalen Entscheidungsprozesse zu harmonisieren, um so die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Damit müsste eine tragfähige Regelung für den deutschen Parlamentsvorbehalt gefunden werden.

Gegenargumente

  • Gegner einer Europa-Armee merken an, dass sie einen Grad der Integration und des Föderalismus voraussetzt, über den die EU nicht verfügt und den die meisten Mitglieder nicht akzeptieren werden. Ob grundsätzlich nützlich oder nicht – sie sei einfach nicht zu realisieren.

  • Gerade die USA warnen seit vielen Jahren davor, kostspielige Duplizierungen zu vermeiden. Wenn eine Europa-Armee parallel zu den nationalen Streitkräften geschaffen würde, ginge dies zu Lasten der ohnehin unterfinanzierten nationalen Streitkräfte. Das Ergebnis wäre ein noch schwächeres europäisches Militär.

  • Aus Osteuropa kommen warnende Stimmen, dass gerade angesichts der neuen Aggressivität Russlands die Bindungen zu den USA nicht geschwächt werden dürften. Die Glaubwürdigkeit amerikanischer „Commitments“ im Rahmen der NATO dürfte nicht durch illusorische Europakonzepte untergraben werden.

  • Eine Europa-Armee ist – wenn überhaupt – nur in ferner Zukunft vorstellbar. Derartige Langfristkonzepte hätten aber keinerlei Auswirkungen auf den aktuellen sicherheitspolitischen Handlungsbedarf. Sie zu diskutieren ist deshalb müßig.

  • Statt politische Energien auf das Fernziel einer Europa-Armee zu verschwenden sollte versucht werden, die konkrete militärische Kooperation voran zu treiben. Mit bi- und multilateralen Projekten oder mit Anlehnungspartnerschaften ließen sich Kooperationsinseln schaffen, welche die Schlagfähigkeit der Streitkräfte real erhöhen.

  • Mit der NATO, der ja auch die große Mehrzahl der EU-Staaten angehört, gibt es bereits ein funktionierendes Beispiel integrierter militärischer Schlagfähigkeit. Sie deckt als erfolgreichstes Militärbündnis der Geschichte sowohl Landesverteidigung (nach Art. 5 des Washingtoner Vertrages) als auch Krisenmanagement ab.

  • Die NATO hat in den vergangenen Jahren ihre Strukturen so flexibel gestaltet, dass sie in unterschiedlichen Zusammensetzungen militärisch handeln kann. In Afghanistan hat sie Staaten einbezogen, die weder NATO-Mitglieder sind, noch geografisch zu Europa gehören. Es ist deshalb ohne weiteres möglich, dass nur europäische Staaten oder nur EU-Mitglieder im Rahmen der NATO militärische Operationen durchführen.

  • Die aktuelle Russland-Krise hat gezeigt, dass die Arbeitsteilung zwischen dem militärischen Akteur NATO und dem sicherheitspolitischen, aber nicht militärischen Akteur EU gut funktioniert. Die NATO konzentriert sich auf die militärische Abschreckung Russlands, um eine Ausdehnung des Konfliktes auf NATO-Territorium zu vermeiden. Die EU versucht hingegen, mit ihrem breiten Spektrum an Handlungsmöglichkeiten die Krise zu entschärfen und Russland zu einem weniger aggressiven Verhalten zu bewegen.

  • Militärische Kriseninterventionen dürften in Zukunft kaum noch von den großen Organisationen NATO oder EU durchgeführt werden. Zum einen hat sich in der Mehrheit der Mitgliedsländer eine Interventionsmüdigkeit eingestellt, da Afghanistan oder Libyen gezeigt haben, wie wenig auch mit militärisch erfolgreichem Handeln erreicht werden kann. Zum anderen wird es von Russland kaum noch Zustimmung in der UN für eine NATO- oder EU-Operation geben. Interveniert wird künftig bestenfalls von „Coalitions of the Willing“. Damit verliert eine Streitkraft der EU, die ja nach Ansicht der meisten Befürworter auf Kriseninterventionen gerichtet sein soll, einen Teil ihrer Berechtigung.

  • Ideen von noch mehr europäischer Gemeinsamkeit im sicherheitspolitischen Bereich würden den Euroskeptikern Aufschwung geben und gerade einer Loslösung Großbritanniens von der EU („BREXIT“) Vorschub leisten.

Dr. Karl-Heinz Kamp ist Direktor Weiterentwicklung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

 

Arbeitspapier Thema: 
EU
Verteidigungspolitik
Region: 
Europa
Schlagworte: 
Europa
Verteidigungspolitik
Europäische Union