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Nachrichtendienste: "Was wir brauchen, ist Vertrauen"

Thursday, 3. December 2015

Wie wirken sich Globalisierung und Digitalisierung auf nachrichtendienstliche Arbeit aus? Dieser Frage stellten sich Wissenschaftler und Praxisvertreter am 1. Dezember an der Bundesakademie.

Namensschild vor der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München

Näher in den Fokus der Öffentlichkeit: Aus seiner Noch-Zentrale in Pullach bei München zieht der deutsche Auslandsgeheimdienst 2017 nach Berlin um. Foto: Bjs/Wikimedia Commons/CC BY-SA 4.0

"Ein offener Austausch ist das Ziel": So formulierte Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, den Anspruch der Konferenz "Sicherheitskulturen und Geheimdienste", die in Berlin stattfand, in Kooperation mit dem "Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland" (GKND) und unterstützt durch das Londoner King‘s College. "Wichtig ist, ein Verständnis der komplexen Arbeit von Nachrichtendiensten zu vermitteln und zugleich berechtigte Kritik anzusprechen", so Kamp in seiner Eröffnungsrede. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des GKND, schloss sich dem an. Die Dienste würden gerade in Deutschland bisweilen "entweder als unfähig oder als Bedrohung der Privatsphäre betrachtet, oder in die Schmuddelecke gestellt". Während eine Skepsis hierzulande historisch bedingt nachvollziehbar sei, sei ein Dialog über die Aufgaben und den rechtlichen Rahmen der Nachrichtendienste umso notwendiger, vor allem um falschen Eindrücken vorzubeugen.

Aufnahme von Sir Davis Omand, ehemaliger Direktor des britischen Nachrichtendienstes GCHQ

Sir David Omand, ehemaliger GCHQ-Direktor, forderte eine "neue demokratische Lizenz" für nachrichtendienstliche Arbeit. Foto: BAKS

Letzteren stellte Sir David Omand, ehemaliger Direktor des "Government Communications Headquarters" (GCHQ), aus britischer Sicht entgegen: "Es gibt keine Massenüberwachung." Ein solches Unterfangen wäre illegal, außerdem würden Staaten damit Ressourcen verschwenden. Ziel nachrichtendienstlicher Arbeit sei stattdessen das Herausfiltern von Einzelinformationen über konkrete Verdachtsfälle. Erst in der Zusammenschau mit auf verschiedensten Wegen – von der militärischen Satellitenaufklärung bis zu offenen Internetquellen wie den Sozialen Medien – gewonnenen Informationen erhielten diese Erkenntniswert.

Die klassische Unterscheidbarkeit zwischen inner- und außerstaatlichem Handeln sei dabei im digitalen Zeitalter kaum noch trennscharf, so Omand. "Umso mehr braucht es klare, transparente Regeln und eine demokratische Kontrolle", so das Fazit Omands, das er allerdings auch mit einer Warnung verband: Ethische Risiken seien ein grundsätzliches, bleibendes Dilemma in der nachrichtendienstlichen Arbeit demokratisch verfasster Staaten.

"Nachrichtendienste als Sündenböcke für schlechte Politik"

Den Reaktionen in der internationalen "Intelligence Community" auf Globalisierung und Digitalisierung widmete sich das erste, wissenschaftliche Panel. Wenngleich Staaten ihre Gesetze anpassten und Nachrichtendienste ihr Personal aufstockten, komme man der technischen Entwicklung kaum hinterher, so Isabelle Duyvensteyn von der Universität Leiden. Vielmehr würden Kapazitäten durch Routine-Berichterstattung verschwendet, anstatt eine "langfristige strategische Vision für Informationsarbeit zu entwickeln".

Das Bild zeigt ein Pappschild mit der Aufschrift „Geh heim, Dienst“ vor dem BND-Neubau in Berlin.

Nachrichtendienste stehen in Deutschland in der Kritik: Hier die Protestaktion „BND-Spaziergang“ vor der künftigen Zentrale des Dienstes in Berlin im Juli 2013. Foto: Mike Herbst/CC BY-NC 2.0

Vielleicht im Gegensatz zu den Niederlanden habe die "Intelligence Community" in Frankreich auf die Entwicklungen organisatorisch schon besser reagiert, befand Philippe Hayez von der Sciences-Po Paris. Er wünschte sich jedoch statt der bisherigen informellen Abläufe mehr "Institutionalisierung". Gleichzeitig müsse auch die Politik Vertrauen signalisieren; bislang würden "Nachrichtendienste als Sündenböcke für schlechte Politik benutzt". Wolfgang Krieger von der Universität darauf hin, dass weltweit Nachrichtendienste aufgewertet würden, Deutschland die Kompetenzen des BND im europäischen Ausland aber beschränken wolle. Dies sei nicht nachvollziehbar.

Klaus-Dieter Fritsche, Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes im Kanzleramt, versicherte dazu in seiner Keynote, dass trotz der geplanten Gesetzesnovelle, die eine Neuregelung der BND-Befugnisse im Ausland vorsieht, die Bedrohungen in anderen EU-Staaten weiterhin "im Scheinwerferkegel des BND" blieben. "Kann es noch Zweifel an der Notwendigkeit der Dienste und der vertrauensvollen internationalen Zusammenarbeit geben?", fragte Fritsche angesichts der jüngsten Terroranschläge. Die frei verfügbare Informationsfülle des Internets für jedermann mache "klassische" nachrichtendienstlich beschaffte Erkenntnisse umso wertvoller. Er betonte auch, dass nur eine wirksame Kontrolle Vertrauen schaffe. Sie sei letztlich die Voraussetzung für die erfolgreiche Gewährleistung von Sicherheit.  

Portraitaufnahme von Klaus-Dieter Fritsche, Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes im Bundeskanzleramt

Staatssekretär Fritsche: "Nur wirksame Kontrolle schafft Vertrauen." Foto: BAKS

Wie sind deutsche Dienste auf neue Probleme vorbereitet? Dieser Frage ging die zweite Diskussionsrunde mit Vertretern aus der Praxis nach. André Hahn, Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages äußerte sich skeptisch über den Kooperationswillen der Nachrichtendienste: Trotz Reformbemühungen sei ihre Mentalität gleichgeblieben. "Parlamentarische Kontrolle sollte stattdessen als Unterstützung und nicht als Hemmnis angesehen werden", fand der Abgeordnete der Fraktion Die Linke.

"Mantel des Schweigens gelüftet"

Thomas Haldenwang, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, betonte hingegen Fortschritte seit dem NSU-Skandal: "Der Austausch zwischen deutschen Sicherheitsbehörden funktioniert besser denn je." Auch für Wolfgang Cremer, Abteilungsleiter TW im BND, befindet die Operationsführung sich auf einem guten Weg. Die "Produkte" seines Hauses würden von den Bedarfsträgern gut angenommen. Deutlicher Verbesserungsbedarf bestehe jedoch in der "technischen Ertüchtigung" der Dienste, skizzierte er den aktuellen Bedarf aufgrund globaler Kommunikationsströme.

Der "Mantel des Schweigens" habe ein wenig gelüftet werden können, zog Thomas Wrießnig, stellvertretender BAKS-Präsident, ein Resümee der Konferenz: Die unterschiedlichen nationalen Sicherheitskulturen gehörten in der praktischen Arbeit zusammengeführt. "Innerstaatlich wie international gilt: Was wir brauchen, ist Vertrauen unter Partnern."

Autoren: Martin Langhorst und Sebastian Nieke

Webpräsenz des "Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland"