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Luftmacht: Glaubhafte Abschreckung und Verteidigung brauchen überlegene Luftstreitkräfte. Die NATO hat das erkannt

6/2018
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Die NATO gilt als das mächtigste Militärbündnis der Weltgeschichte. Als ein wesentlicher Baustein dieser Macht wird die Schlagkraft ihrer Luftstreitkräfte angesehen. Dieses in militärischen Fachkreisen auch als „Luftmacht“ bezeichnetes Element der Überlegenheit darf allerdings nicht als unveränderlich angesehen werden. Vielmehr bedarf es der Anpassung an aktuelle und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen, um sowohl der Abschreckung gegen Aggressoren als auch gegenwärtigen Einsatz-aufgaben gerecht zu werden. Wie das gelingen kann, hat die NATO in einer Studie untersuchen lassen.

In ihrem Warschauer Kommuniqué vom Juli 2016 räumen die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten den Unsicherheiten und Bedrohungen in ihrer östlichen und südlichen Peripherie, versursacht durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, militärische Kräfte, Terroristen, Informations-, Cyber- und hybride Attacken, breiten Raum ein. Russland, das gezielte Aggression als probates Mittel zur Erreichung politischer Ziele versteht, fordere die Sicherheit der Allianz genauso heraus, wie Instabilität und Terrorismus in Nordafrika und im Mittleren Osten, so das Kommuniqué Umso wichtiger sei ein erneuertes, verstärktes Verständnis für die Notwendigkeit wirksamer Abschreckung und kollektiver Verteidigung.

Aber was bedeutet diese Forderung für die Luftmacht der NATO und ihre Luftstreitkräfte, die durch ihre Reichweite, Geschwindigkeit, Flexibilität und ihren hohen Bereitschaftsgrad einen wesentlichen Teil zur Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses beitragen? Diese Frage hat sich das NATO Allied Command Transformation (ACT) nach dem Warschauer NATO-Gipfel selbst gestellt und das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) im deutschen Kalkar mit der Beantwortung beauftragt.1 Letzteres hat in seiner Studie Joint Air Power Following the 2016 Warsaw Summit - Urgent Priorities im Oktober 2017 sechs Hauptkategorien identifiziert, in denen es besonderen Handlungsbedarf für geboten hält, und die hier in Thesen vorgestellt werden.2

1. Abschreckung und kollektive Verteidigung brauchen militärische Stärke

Eine überlegene Luftkampffähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung, um Russland als möglichen Gegner abzuschrecken.3 Sollte eine solche Abschreckung fehlschlagen, wären Luftstreitkräfte auch das am schnellsten wirksame Mittel, einem konventionellen russischen Angriff begegnen zu können. Diese Notwendigkeit stand für viele Jahre nicht im Fokus. Stattdessen haben die Luftstreitkräfte zahlreicher NATO-Mitglieder, allen voran die der USA, in den letzten Jahren eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates (IS) gespielt. Wie schon gegen Al-Qaida und die Taliban in Afghanistan, fliegen sie über Syrien und dem Irak zwar anspruchsvolle Missionen, sind aber weder mit nennenswerten Bedrohungen aus der Luft, noch vom Boden aus konfrontiert. Gerade das schwierige Verhältnis zu Russland aber macht es notwendig, dass Luftstreitkräfte sich auch gegenüber einem potenziellen Gegner durchsetzen können, der ihnen mit Fähigkeiten auf Augenhöhe im gesamten Spektrum gegenübersteht. Um die eigene Überlegenheit auch gegenüber einem schwierigen Opponenten zu behaupten, sind zum einen Frühwarnfähigkeiten gefragt, welche die eigene Reaktionszeit erhöhen. Zum anderen müssen schnelle und überlegene Reaktionskräfte in der Luft einen Angreifer so früh wie möglich stellen und sich gegen diesen durchsetzen können.

Um beide hochtechnisierten Fähigkeiten zu optimieren ist Geld gefragt, das jetzt unter dem Eindruck anhaltender wirtschaftlicher Prosperität wieder verstärkt in die Streitkräfte fließen muss. Denn die wirtschaftliche Kraft der NATO-Staaten generiert aus sich selbst heraus noch keine militärische Stärke.4 Und militärische, nicht wirtschaftliche Stärke ist wesentliche Grundlage jeder Abschreckung. Erst aus angemessener Finanzierung erwachsen gut ausgerüstete Streitkräfte. Erst, wenn diese dann auf volle Einsatzbereitschaft trainiert sind und der NATO auch tatsächlich zugeordnet werden, ihr also uneingeschränkt zur Verfügung stehen, erwächst wirksame Abschreckung. Die Erwartungen, die man mit dem Begriff der militärischen Stärke verknüpft, sind hoch: Die Kräfte müssen durchhalte- und durchsetzungsfähig, verlegbar, interoperabel und in der Lage sein, sogenannte „full range spectrum“ oder „full scale“-Operationen, also Einsätze im gesamten Spektrum des konventionellen Kampfes, aber auch im Rahmen nuklearer Abschreckung, durchführen zu können. Kein anderer Wert ist für die NATO so grundlegend wichtig wie „Coherence“, also der verlässliche Zusammenhalt insbesondere in Krisenzeiten. Potentielle Gegner wissen, dass es diesen neuralgischen Punkt zu schwächen gilt, wenn man die Glaubwürdigkeit der NATO unterwandern möchte. Hierauf setzt Russland, wenn es für den Fall einer Artikel-V-Reaktion („Bündnisfall“) der NATO auf eine russische Aggression mögliche nukleare Gegenreaktionen ins Spiel bringt. Diese Rhetorik soll die Verlässlichkeit im Bündnis schwächen. Gemeinsame militärische Stärke wiederum ist das wirksamste Gegenmittel, denn wo Stärke ist, wächst Selbstvertrauen und wer sich selbst vertraut, strahlt Glaubwürdigkeit aus und lässt sich nur schwer einschüchtern.

2. Informationen sind ein wesentlicher Schlüssel

Ein wichtiges Charakteristikum von Luftmacht ist Geschwindigkeit. Dies gilt nicht nur für die bodengebundenen und fliegenden Systeme selbst und ihre Wirksamkeit im Ziel, sondern auch für ihre Kommunikationsfähigkeit sowie die Verfügbarkeit, Übertragung, Auswertung und Nutzung von Informationen. Komplexe Luftoperationen unter den Wesenseigenheiten von Geschwindigkeit, Flexibilität, Reichweite und kurzen Vorwarnzeiten sind auf moderne und hochagile Führungsfähigkeiten angewiesen. Eine effektive und NATO-gemeinsame Luftoperationsführung – Joint Air Command and Control (Joint AirC2) – setzt im Wesentlichen auf zuverlässige Führungs- und Kommunikationssysteme und ein integriertes Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungssystem, das in der Lage ist, fortwährend Informationen zum Einsatzraum bereitzustellen, frühzeitig Lageveränderungen festzustellen und so eine zeitgerechte Reaktion zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der sich in den letzten Jahren rapide verändernden Sicherheitslage, insbesondere im Verhältnis zu Russland und unter Wahrnehmung des wachsenden Einflusses des Cyber- und Informationsraums sowie der fortschreitenden Möglichkeiten, die sich aus der Nutzung des Weltraums ergeben, ist die Weiterentwicklung der Richtlinien und Konzepte, aber auch der technischen Systeme der NATO und einzelner ihrer Strukturen dringend notwendig, um den operativen Vorsprung des Bündnisses gegenüber möglichen Gegnern aufrechtzuerhalten. Diese Veränderungen erfordern die Bereitschaft aller Mitgliedsstaaten, die Vorgaben der NATO auch zu adaptieren, alle notwendigen Informationen zu teilen und gut ausgebildete Militärs und zivile Mitarbeiter für die NATO Kommandostrukturen zur Verfügung zu stellen.

3. Luftmacht braucht Stärke vom Boden aus

Die Autoren der Studie stellen heraus, dass effektive bodenbasierte Raketenverteidigungssysteme einen wesentlichen Beitrag zur integrierten Luft- und Raketenverteidigung der NATO beitragen.5 Wenn man den 360°-Ansatz der NATO, der von Bedrohungen auf allen Eskalationsstufen und aus verschiedenen geographischen Richtungen ausgeht, ernst nimmt, reicht der bisherige NATO-Fokus auf die sogenannte Theatre Ballistic Missile Defence (TBMD) nicht mehr aus. TBMD bezeichnet die Verteidigungsfähigkeit gegen ballistische Raketen von geringer oder mittlerer Reichweite, die im Einsatzraum (Theatre) gestartet werden und dort auch zur Wirkung gelangen. Sie haben eine Reichweite von etwa 300 bis 2.500 Kilometern. Die im Warschauer Kommuniqué festgestellte Bedrohungslage erfordert aber, nicht nur gegen diese taktischen ballistischen Raketen, sondern im gesamten Spektrum der bodengebundenen Luft- und Raketenverteidigung (Surface Based Air- and Missile Defence – SBAMD), also auch gegen Raketen mit großer oder mittlerer Reichweite, verteidigungsfähig zu sein.

Das JAPCC beabsichtig allerdings mit seiner Studie nicht primär, neue Raketenabwehrsysteme an diesem oberen Ende der Verteidigungsfähigkeit einzufordern. Denn mit dem Einsatz von raketenabwehrfähigen US-Kriegsschiffen („Aegis“-Zerstörern) im Mittelmeer seit 2011 und dem Bau von stationären „Aegis“-Raketenabwehrplattformen in Rumänien (abgeschlossen 2016) und Polen (geplanter Abschluss 2018) haben die USA ihren Beitrag in diesem Spektrum der Raketenverteidigungsfähigkeit der NATO in den letzten Jahren deutlich erhöht. Vielmehr geht es den Autoren darum, dass die politische und militärstrategische Führung der NATO die gemeinsame Verantwortung für das gesamte Spektrum der integrierten Luft- und Raketenverteidigung übernehmen sollte. Hierzu gehört das Festsetzen von Bereitschaftszeiten und Vorgaben zur Durchhaltefähigkeit genauso, wie die mögliche Übertragung von nationalen Zuständigkeiten, die vor allem aufgrund der geringen Reaktionszeit bei Angriffen mit ballistischen Raketen notwendig sind. Die zu entwickelnden Pläne müssen einheitliche Einsatzregeln ebenso umfassen, wie aktive und passive Schutzmaßnahmen für die eigenen Raketenabwehreinheiten. Um das gesamte Spektrum der bodengebundenen Luft- und Raketenverteidigung den gestiegenen Erfordernissen anzupassen, müssen die Trainings der entsprechenden Einheiten ausgeweitet werden, vorrangig in Übungen, bei denen Einsatzkräfte aus unterschiedlichen Bereichen des Gesamtspektrums interagieren. Denn nur so lässt sich der im Ernstfall vielleicht notwendige gemeinsame Einsatz im gesamten Abwehrspektrum, von bodengebundener Luftverteidigung kurzer Reichweite bis hin zur Abwehr ballistischer Raketen großer Reichweite üben.

4. Luftmacht wirkt hybriden Bedrohungen entgegen

Mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine, sowie durch die große Bandbreite von Terroranschlägen islamistischer Fundamentalisten und die zeitweilig beträchtlichen Erfolge des IS, wurden einzelne Mitgliedstaaten in den letzten Jahren immer wieder durch hybride Attacken konfrontiert. Hybride Konflikte und hybride Kriegsführung sind durch eine hochkomplexe und anpassungsfähige Kombination konventioneller und nichtkonventioneller Mittel bestimmt. Es geht um offene und verdeckte Operationen, getragen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure wie Militärs und Milizen, Terroristen, kriminelle Organisationen oder Einzeltäter und/oder gezielt eingesetzte Akteure im Cyber- und Informationsraum. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass hybride Attacken häufig nur schwer zurückzuverfolgen sind, der Aggressor also im Dunkeln bleiben oder den Verdacht gezielt umlenken kann. Hybride Mittel umfassen die gesamte Bandbreite von kriminellen Aktivitäten über die Lancierung von (Des-)Informationskampagnen und Propaganda, Cyber- und Netzwerkattacken, die Durchführung von Terroranschlägen bis hin zum Einsatz modernster Kriegsmittel und Massenvernichtungswaffen.

So reichen hybride Luftkampfmittel denn auch von unbewaffneten und bewaffneten Kleinstdrohnen auf Amateurbasis bis hin zu hochtechnisierten bemannten und unbemannten Luftsystemen, die durch Stealth-Technologie eine sehr geringe Radarsignatur aufweisen. Denkbare hybride Bedrohungen können unter anderem wiederholte, zermürbende Luftraumverletzungen sein, das Testen von Alarmmaßnahmen, das Aktivieren oder bloße Stationieren von Luftabwehrsystemen, Attacken gegen weltraumbasierte Daten- und Informationssysteme oder gegen Luftraumüberwachungsinfrastruktur. Sehr spezifische hybride Luftbedrohungen sind das Kidnappen von Flugzeugen zum Zweck von Terrorattacken (sogenannte Renegade-Fälle) sowie das sogenannte military swarming, bei dem die Luftverteidigung des Gegners etwa durch den Einsatz großer Mengen von Minidrohnen überfordert und dadurch saturiert wird.

Bereits im Friedensfall kommt der NATO beim militärischen Schutz der nationalen Lufträume die entscheidende Bedeutung zu. Hierzu halten die Mitgliedsstaaten militärische Luftraumüberwachungsstationen vor und können bei Bedarf Kampfjets zur Klärung der Bedrohungslage und gegebenenfalls zur Abwehr aufsteigen lassen (sogenannte Alarmrotten, beziehungsweise Quick Reaction Alerts – QRAs). Dieser Schutz könnte noch effektiver wirken, wenn es gelänge, Grenzraumbeschränkungen im Luftraum aufzuheben und einheitliche Verfahren für den Renegade-Fall zu etablieren. Dieser zugegeben ambitionierte rechtliche Schritt würde die Abschreckungswirkung des Air Policings beträchtlich steigern. Darüber hinaus ist die Luftraumüberwachung der NATO noch nicht ausreichend auf langsame Kleinflugmittel eingestellt, die derzeit häufig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Radarstationen bleiben und für deren Bekämpfung Kampfjets ungeeignet sind. Beidem sollte durch verbesserte Radartechnologie und das Vorhalten geeigneter Gegenmittel, etwa in Form von Kampfhubschrauber-Alarmrotten, entgegengewirkt werden können. Schließlich ist die hochtechnisierte NATO-Luftmacht auch besonders anfällig gegen Cyberattacken, sodass dem Ausbau der diesbezüglichen Resilienz eine hohe Bedeutung zukommt.

Bei einer ausgerufenen Beistandspflicht nach Artikel V des NATO-Vertrages kann sich das Air Policing schnell zu einer dezidierten Luftverteidigungsmission wandeln. In diesem Fall kommt den NATO Luftstreitkräften zusätzlich zur gerade beschriebenen Rolle noch die Planung und Durchführung geeigneter offensiver und defensiver Kampagnen im gesamten Einsatzspektrum zu. Um dies allerdings zu initiieren, ist es vorrangig erforderlich, hybride Attacken zuverlässig zu attribuieren, festzulegen, ab wann sie einen kriegerischen Akt darstellen und Einsatzregeln zu entwickeln, auf deren Grundlage Luftkriegsmittel in einem solchen Fall eingesetzt werden können. Expertenteams in den NATO-Operationskommandos in Brunssum und Neapel sollen im Ernstfall sicherstellen, dass dem gesamtverantwortlichen Kommandeur die richtigen Luftoptionen angeboten werden.

Ohne Partnerschaft geht es nicht…

Für die NATO ist neben der „Coherence“ nach innen die Pflege von Partnerschaften nach außen ein zweiter Pfeiler in der Kooperationsstrategie, der wesentlich zur Sicherheit des Bündnisses beiträgt. So interagiert die NATO heute in verschiedenen Intensitäten mit 21 Staaten im Rahmen des Partnership for Peace (PfP)-Programms, mit dem Golf Kooperationsrat (GCC) mit seinen sechs Mitgliedern sowie mit fünf sogenannten Enhanced Partners, von denen Schweden und Finnland eine besondere sicherheitspolitische Rolle zukommt, in erweiterten Partnerschaftsbeziehungen.

Mit Blick auf die NATO-Luftstreitkräfte weisen die Autoren der JAPCC-Studie weniger auf derzeitige Defizite im inneren und äußeren Partnerschaftsgefüge hin, als vielmehr auf Raum für weitere Vertiefungen. Sie fordern unter anderem, die Führungsfähigkeit des NATO-Luftkommandos in Ramstein und der Hauptquartiere in Brunssum und Mons zu verbessern, indem dort die Befähigung zur 24/7-Lageauswertung erweitert wird. Ausbildungs- und Beratungsteams sollen externen Partnerstaaten bei der Optimierung und NATO – Synchronisierung ihrer Luftstreitkräfte helfen. Maßgeschneiderte Beratungspakete für die GCC-Partner und die Enhanced Partners sollen die Beziehungen zu diesen weiter verfestigen und künftige Optionen zur operativen Koordination und für Host Nation Support-Möglichkeiten im Einsatzfall ausloten.6 Ein neu zu errichtendes NATO-Luftkampfzentrum, in das sich die Partnerstaaten nach ihren eigenen Bedürfnissen einbringen können, könnte nach den Vorstellungen der Autoren die Trainings- und Übungsaktivitäten weiter verbessern. Mit Blick auf die externen Partner ist es von besonderer Bedeutung, die Interoperabilität und den Datenaustausch zu verbessern, um gemeinsame Luftoperationen besser koordinieren zu können. Sogar ein NATO-Partner-Kooperationsgeschwader wäre denkbar.7

Und ohne Industrie auch nicht…

Eine besondere Form der Partnerschaft innerhalb der NATO und zwischen dem Bündnis und externen Partnern stellen multinationale Kooperationen zur Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern dar. In einer Zeit, in der sich Innovationen immer schneller überholen, steigen auch die technischen Anforderungen an militärisches Gerät kontinuierlich und mit ihnen die Kosten. Smarte Logistik-, Entwicklungs- und Rüstungskooperationen sind ein Weg, um technisch progressiv zu bleiben und die Aufwendungen für den Einzelnen trotzdem im Zaum zu halten. Mit der Konferenz der nationalen Rüstungsdirektoren (Conference of National Armament Directors - CNAD) hat die NATO bereits seit 1967 ein Gremium, das Rüstungskooperationen vorantreibt. Hinter dem etwas sperrig klingenden Rahmennationenkonzept der NATO (Framework Nation Concept - FNC) verbirgt sich seit 2014 in rüstungspolitischer Hinsicht die Absicht, dass einzelne Mitglieder sich in freiwilligen Projekten einem federführenden Partner anschließen. Die Studie fordert, dass dieses Konzept als Rüstungskooperationsplattform noch effizienter werden sollte, hierbei aber eng und komplementär mit EU-Initiativen verknüpft bleiben muss, ja die Kompatibilität zu EU Projekten noch verbessert werden muss.

Mit Fokus auf NATO-Luftmachtfähigkeiten weist das JAPCC darauf hin, dass Entwicklungskooperationen wo immer möglich zu bündeln sind, und leitet konkrete Innovationen ab, die unter dem bereits beschriebenen hybriden und digitalen Eindruck notwendig sind. Dazu zählen zum Beispiel Detektoren und Waffen gegen Kleinst- und Schwarmdrohnen, neue Luftplattformen, um Cyber- und elektrobasierten Angriffen besser begegnen zu können und ein effektiverer Schutz der eigenen Kommunikations- und Führungseinrichtungen vor Cyberangriffen. Sinnvoll wäre eine konsolidierte und priorisierte Liste mit den wichtigsten zu entwickelnden Befähigungen. Innovationen kosten Geld und gedeihen in einer industriefreundlichen Umgebung am besten. Nicht zuletzt aus diesem Grund erinnert die Studie auch an dieser Stelle nochmal daran, dass zahlreiche NATO Mitglieder deutlich weniger als die bis 2024 avisierten zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes in ihre Verteidigung investieren und fordert auch, Beschaffungsbürokratien auf das wirklich Notwendige zu begrenzen.8

Fazit

Mit der Studie Joint Air Power Following the 2016 Warsaw Summit - Urgent Priorities wurden die Notwendigkeiten, die sich aus den Erkenntnissen des Warschauer Gipfeltreffens ergeben haben, gründlich ausgewertet und für die NATO-Luftmacht spezifische Folgerungen abgeleitet. Hierbei sind die in sich geschlossenen Texte des als Sammelstudie angelegten Dokuments keine Schwäche, sondern vielmehr eine Stärke, denn gerade die Tatsache, dass die fünf Autoren bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Einzelthemen ähnliche Tendenzen identifizieren und ihre Lösungsansätze in die gleiche Richtung deuten, verleiht den Forderungen in ihrer Gesamtheit Nachdruck. Noch vor den Schwierigkeiten in der südlichen Peripherie wird Russlands hybride und zunehmend antagonistische Politik als wesentliche und langfristige Herausforderung für die NATO verstanden, auf welche sich auch die gemeinsame Luftmacht wird einstellen wird, um künftig glaubhaft abschrecken und im Ernstfall auch NATO-Gebiet wirkungsvoll verteidigen zu können. Die Autoren schlussfolgern über 150 Aufgaben und Forderungen, die sie nach Kosten und Wirksamkeit priorisieren. Zwar haben weder die Studie noch ihre Schlussfolgerungen den Charakter eines offiziellen NATO-Dokuments, aber genau für ein solches Schlüsseldokument – eine NATO-Luftmachtstrategie – haben die Autoren eine wesentliche Grundlage gelegt. Jeder sicherheitspolitische Entscheider und Gestalter ist gut beraten, sich mit den Argumenten des JAPCC auseinander zu setzen.

Rayk Hähnlein ist Angehöriger der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung für Wissenschaft und
Politik (SWP) und Mitglied im Arbeitskreis „Junge Sicherheitspolitiker“ der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

1 Das ACT ist neben dem Allied Command Operations (ACO) eines von zwei strategischen militärischen Hauptkommandos der NATO. Während das ACO in Mons/Belgien alle NATO Operationen plant und ausführt, ist das ACT in Norfolk/Virginia für die ständige Transformation der Strukturen, Streitkräfte, Fähigkeiten, Doktrinen und Übungen zuständig und somit auch Motor der Zukunftsfähigkeit der NATO. Dem ACT unterstehen 24 Centers of Excellence, von denen das 2005 gegründete JAPCC das erste war und auch heute noch eines der größten ist. Es verantwortet Konzepte, um die Luft- und Weltraumfähigkeiten der NATO und ihrer Mitglieder den sich wandelnden Notwendigkeiten anzupassen.

2 Joint Air Power Competence Centre (2017): Joint Air Power Following the 2016 Warsaw Summit - Urgent Priorities, https://www.japcc.org/portfolio/airpowerafterwarsaw/ . Die Studie hat nicht den Charakter eines offiziellen NATO-Dokuments. Vielmehr vereint sie die Erkenntnisse von fünf Experten, darunter ehemalige Generale und vergleichbar hochrangige Zivilpersonen, die sechs in sich geschlossene Beiträge verfasst haben und soll als wesentliche Informationsgrundlage für eine künftige NATO-Luftmachtstrategie (Joint Air Power Strategy) dienen, die derzeit durch das ACT erarbeitet wird.

3 Luftkampffähigkeit schließt in diesem Verständnis nicht nur das Luf-Luft-Gefecht zwischen Kampfflugzeugen, sondern auch den Kampf aus der Luft gegen Bodenziele sowie die Flugabwehr vom Boden aus ein.

4 Die Autoren gehen von insgesamt 36 Billarden US-Dollar jährlichem Bruttoinlandsprodukt in allen den NATO Mitgliedstaaten aus. Zu lange haben sich die europäischen Staaten auf die USA gestützt, deren Fokus sich aber zunehmend auf China, Nordkorea und insgesamt in den Pazifik richtet. Die europäischen NATO-Mitglieder werden nicht umhinkommen, ihre eigenen Bemühungen zu verstärken. Und so werden gerade letztere von den Autoren besonders in die Pflicht genommen und unter anderem zur Verbesserung ihrer Luftbetankungs-, strategischen Lufttransport-, Drohnen- und Aufklärungsfähigkeiten sowie Fähigkeiten zur Luftunterstützung von Spezialkräften aufgefordert.

5 NATO Integrated Air and Missile Defence System (NATINAMDS) bezeichnet alle Maßnahmen und Fähigkeiten, die dazu geeignet sind, Bedrohungen durch feindliche Luft- und Raketensysteme zu reduzieren oder zu neutralisieren. Es beruht darauf, die bemannten und unbemannten luftgestützten Waffensysteme des Gegners, wie Drohnen, Helikopter und Kampfjets, aber auch ballistische Raketen, rechtzeitig zu entdecken, zu identifizieren und sie wenn notwendig zu bekämpfen. NATINAMDS reicht von der Luftraumüberwachung über dem NATO Gebiet (Air Policing) im Friedensfall bis hin zu komplexen Luftoperationen.

6 Unter Host Nation Support (HNS) versteht man die Unterstützung von stationierten Truppen in einem Gastland. HNS, etwa in Form von Treibstoff, Schutz, medizinischer Unterstützung, aber auch Visa- und Zollerleichterungen und anderes, erleichtert militärische Operationen erheblich. Derzeit leistet etwa Jordanien HNS für das deutsche und weitere Geschwader in Al Azraq, die von dort aus gegen die Terrororganisation IS in Syrien und im Irak eingesetzt werden.

7 Die NATO als Organisation greift bisher ausschließlich auf Luftkampfmittel zurück, die ihr von ihren Mitgliedern temporär zur Verfügung gestellt werden. Einzige Ausnahme ist das AWACS-Geschwader in Geilenkirchen (E-3A Component), das der NATO direkt und dauerhaft untersteht.

8 Von den zwei Prozent sollen wiederum 20 Prozent in Rüstungsinvestitionen getätigt werden.

Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik | ISSN 2366-0805 Seite 1/6

 

Working Paper topic: 
NATO
Defence Technology
Defence Policy
Tags: 
NATO
Rüstungstechnologie
Verteidigungspolitik