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„Mit der Bergpredigt Politik gemacht“

Friday, 6. June 2014

Der ehemalige Superintendent in Berlin-Pankow, Werner Krätschell, gehörte zur Opposition in der DDR. In der BAKS-Reihe „Schönhauser Lesung“ am 5. Juni erzählte der Pfarrer von seinen Widerstandserfahrungen.

Zeitzeuge des Umbruchjahres: 1989 war seine Stimme sogar weltweit zu hören. Pfarrer Werner Krätschell erzählte eindrucksvoll von seinem DDR-Friedenskreis in Berlin-Pankow. Foto: BAKS

Inzwischen ist er 74 Jahre alt, hat aber nichts von seiner Eindringlichkeit verloren: Der evangelische Pfarrer  Krätschell war vor 25 Jahren, als die DDR ihr vierzigjähriges Bestehen feierte, die Bürger aber bereits eine friedlichen Revolution einleiteten, „mitten unter ihnen“: er stand an der Seite der Opposition in Pankow, sprach aber auch mit den Mächtigen des Staates und führte gleichzeitig selbst den Wandel mit herbei, indem er beispielsweise dem amerikanischen Radio NPR und der BBC spektakulär offene Interviews gab, darunter die Aussage, man habe ihm von offizieller Seite mit „einer chinesischen Lösung“ gedroht.

Pfarrer Krätschell erinnerte in seinem Vortrag an der Bundesakademie daran, dass es einen Weg zum Mauerfall und zur deutschen Einheit gab, der lange vor den Ereignissen im Umsturzjahr 1989 begann. Eine Zäsur sieht er im 1. August 1975. Damals feiern die Mächtigen der DDR. laut Wetterbericht war es „erheblich zu warm“, für die diplomatische Feierstunde aber genau richtig. Soeben hat der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker gemeinsam mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt in Helsinki einen Vertrag unterzeichnet, der Ruhe und Ordnung in Europa garantieren soll: die sogenannte Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Für die DDR-Führung bedeutet dieser Vertrag ein sichtbares Zeichen der internationalen Anerkennung. Honeckers öffentlichkeitswirksames Auftreten  unter den führenden Staatsmännern der Welt versprach staatliche und gesellschaftliche Normalität; Kanada nimmt noch am selben Tag als letztes Land des westlichen Militärbündnisses NATO diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Damals anerkannten 35 Staaten die Grenzen der Nachkriegsordnung in Europa und akzeptiert vertraglich das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie die Einhaltung der Menschenrechte.

Honecker legte Basis für eigenen Untergang

Während sich die DDR-Führung nun als gleichberechtigt in der Staatengemeinschaft aufgenommen fühlte, war ihr nicht bewusst, dass die KSZE-Schlussakte zum Ausgangspunkt und Synonym für das Streben nach Befreiung von politischer Repression in Ost-Europa wurde. Die Unterschrift Honeckers in Helsinki führte geradewegs zum Untergang des Regimes und seiner Mächtigen. Diese Entwicklung wird bis heute im öffentlichen Bewusstsein nicht wahrgenommen.

Titelseite eines Buches, inem Dokumente zur DDR-Friedensbewegung veröffentlihct sind. Der Umschlag zeigt außerdem ein berühmtes Signet der Friedensbeweung, wie eine Person aus einem Schwert eine Pflugschar schmidet. Foto: Haus der Geschichte, Bonn

Der ehemalige Superintendent in Berlin-Pankow, Werner Krätschell, gehörte zu jener Opposition in der DDR, für die die „Schlussakte von Helsinki“ den langen Weg bis zum Mauerfall einläutete. Sein Pfarrhaus war vor 25 Jahren einer der Fixpunkte der demokratischen Opposition. Er fungierte zudem als einer der Moderatoren am „Zentralen Runden Tisch“ von Berlin, der am 7. Dezember 1989 in Ost-Berlin eingerichtet worden war. Bürgerbewegungen und Repräsentanten der Kirche setzten dort die demokratische Umgestaltung der DDR durch.

Helmut Schmidt widerlegt

Denn unter den Oppositionellen in der DDR reifte laut Erinnerung Krätschells seit den sechziger  Jahren die „bittere Erkenntnis, „dass der ‚Westen‘ den Deutschen im Osten nicht helfen würde gegen die Sowjetunion und ihrer Marionettenregierung“. Man beschloss, selbst zu handeln. Zum Beispiel mittels der Gründung einer Friedensbewegung, die besonders in den achtziger Jahren Zulauf erhielt und aus der sich auch der „Pankower Friedenskreis“ von Pfarrer Krätschell entwickelte. Als sich dann im Laufe des Jahres 1989 die Proteste innerhalb der DDR mehrten, musste Krätschell feststellen: „Im Westen hatte man einfach die gewachsene Stärke der DDR-Opposition nicht erkannt, sondern folgte den Prinzipien der Politik der kleinen Schritte, die nur die Kommunikation mit den Inhabern der Macht vorsah. Dies sage ich aus konkreten Erfahrungen mit Spitzenpolitikern aus Bonn aus jener Zeit.“

Man sieht das Innere der Getsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Es ist Oktober 1989 und 4000 Menschen versammeln sich dort zum stillen Protest gegen die DDR-Machthaber.

Oktober 1989: 4000 Menschen versammeln sich zum „Stillen Protest“ in der Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Foto: bpb

In den unmittelbaren Wochen vor dem Mauerfall 1989 staunte der Pfarrer über die zahlreichen vollen Kirchen. In der Gethsemane-Kirche am Prenzlauer Berg etwa versammelten sich abends bis zu viertausend Menschen:

„Da konnte man eine Stecknadel fallen hören, während draußen die Stasi wartete, um Leute zusammenzuschlagen. Das war im Oktober neunundachtzig. Wir sangen den Kanon ‚Dona nobis pacem‘. Nachher ging ein Stasi-Mann auf meine Frau zu und entschuldigte sich. Er sagte: ‚Wir können nichts machen. Wir sind in der Spannung zwischen Befehl und nach Schwedt [Anm. d. Red.: dort war das DDR-Militärgefängnis] geschickt zu werden.‘ Wir Kirchenleute waren natürlich auch in einer Angstsituation. Wir haben damals geübt, uns nicht provozieren zu lassen und haben Gewaltlosigkeit geübt und ausgeübt. Schließlich steht in der Bergpredigt Jesus [Matthäus 5,3-12 ]: ‚Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.‘ Wir haben damals [den ehemaligen west-deutschen Bundeskanzler] Helmut Schmidt widerlegt, der mal gesagt hatte, mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen. Das stimmt nicht!“

Pfarrer Krätschell war von 1979 bis 1996 Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Pankow und Pfarrer der Alten Pfarrkirche Pankow, unter deren Dach sich der „Pankower Friedenskreis“, eine der potentesten Oppositionsgruppen der DDR, versammelte und den er in der Auseinandersetzung mit Stasi- und SED-Mächtigen zu schützen vermochte. 1997 bis 2005 wurde er von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern beauftragt und bevollmächtigt. Im Frühjahr 2006 erhielt er eine Gastprofessur an der Furman University in South Carolina/USA. Von den Universitäten Birmingham/England und der Furman University wurde Pfarrer Krätschell mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. 

Autor: Tom Goeller