Arbeitspapiere

Naher Osten im Wandel: Israelisch-arabische Normalisierung und ihre Bedeutung für Europa

7/2025
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Die 2020 geschlossenene Abraham Accords haben Perspektiven für eine vertiefte Kooperation zwischen Israel und der arabischen Welt und für eine neue Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten eröffnet. Doch die Folgen des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023, fortlaufende Bedrohungen durch den Iran und geopolitische Unwägbarkeiten stellen die neuen israelisch-arabischen Beziehungen auf die Probe. Deutschland und Europa sind davon ebenfalls betroffen und gefordert, klare sicherheitspolitische Antworten zu entwickeln und neue Partnerschaften auszubauen.

Der Außenminister Bahrains Abdullatif bin Rashid Al-Zayani, Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, US-Präsident Donald Trump und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate Abdullah bin Zayed Al Nahyan unterzeichnen 2020 die Abraham Accords.

Die 2020 in Washington geschlossenen Abraham Accords haben eine Normalisierung der Beziehungen Israels zu mehreren arabischen Staaten eingeleitet. Hier im Bild: die Unterzeichnung durch (v.l.) den Außenminister Bahrains Abdullatif bin Rashid Al-Zayani, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, US-Präsident Donald Trump und den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate Abdullah bin Zayed Al Nahyan vor dem Weißen Haus mit (hinten) U.S. Chief of Protocol Cam Henderson am 15. September 2020. Foto: Official White House Photo Andrea Hanks (Public Domain)

Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem 1.200 Menschen ermordet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, markierte eine der brutalsten Eskalationen in der Geschichte des Israelisch-Palästinensischen Konflikts und führte zu einem verheerenden und bis heute andauernden Krieg im Gazastreifen, dessen Auswirkungen weit über die Region hinausreichen. Zugleich zog der Angriff eine signifikante Ausweitung des jahrelangen Schattenkriegs zwischen Israel und dem Iran nach sich. Dieser wandelte sich zu einem offenen Krieg, in dem iranische Verbündete und Proxies – darunter die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen und schiitische Milizen in Syrien und im Irak – ihre Angriffe auf Israel, US-amerikanische Militärbasen sowie westliche Schiffe im Roten Meer intensivierten und damit einen Mehrfrontenkrieg eröffneten.

Strategisch zielte der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf die Unterbrechung eines sich abzeichnenden Paradigmenwechsels in der regionalen Ordnung: der schrittweisen Integration Israels in die arabische Welt. Die 2020 im Zuge der Abraham Accords eingeleitete Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Marokko und dem Sudan hatte die jahrzehntelang geltende arabische Haltung infrage gestellt, der zufolge eine solche Annäherung nur nach einer Lösung des Israelisch-Palästinensischen Konflikts möglich sei. Die Abkommen führten zur Errichtung diplomatischer Vertretungen, intensivierten Handelsbeziehungen sowie Austausch in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Technologie.[1] Mit dem Negev Forum entstand ein multilateraler Rahmen für Arbeitsgruppen zu gemeinsamen Herausforderungen, und neue handelspolitische Zusammenschlüsse wie I2U2 (Indien, Israel, USA, VAE) sowie der India-Middle East-Europe Economic Corridor sollten das überregionale Potential der Accords unter Beweis stellen. In den Monaten vor dem Hamas-Angriff hatten Verhandlungen über ein Normalisierungsabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien Fahrt aufgenommen. Zudem ermöglichte die Übertragung der Zuständigkeit für Israel vom U.S. European Command (EUCOM) zum U.S. Central Command (CENTCOM) 2021 eine Stärkung der regionalen Verteidigungskooperation.[2] 2021 nahm Israel erstmals öffentlich an einer Marineübung mit den USA, Bahrain und den VAE teil; 2022 und 2023 beteiligten sich die Israel Defense Forces an der von den U.S. Navy geleiteten International Maritime Exercise (IMX/CE). Einen sicherheitspolitischen Meilenstein bedeutete die 2022 verkündete Gründung einer regionalen Luftverteidigungsallianz (Middle East Air Defense Alliance, MEAD) zur Abwehr von Drohnen- und Raketenangriffen durch den Iran und verbündete Milizen. Die US-geführte Initiative umfasst in erster Linie den Aufbau eines gemeinsamen Frühwarnsystems, ermöglicht jedoch auch die operative Koordinierung von Abwehrmaßnahmen. Im April 2024 zeigte sich das Potenzial dieser neuen Allianz auf eindrückliche Weise, als Israel mit Hilfe der USA sowie einer Reihe von europäischen und arabischen Staaten, darunter Jordanien und Saudi-Arabien, einen großangelegten Raketen- und Drohnenangriff Irans erfolgreich abwehrte.

Die sich wandelnden Dynamiken im Nahen Osten sind auch für Deutschland und Europa von Bedeutung. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Iran, anhaltender regionaler Instabilität und Unsicherheit über die künftige Rolle der USA in beiden Regionen rückt die Frage nach Europas strategischer Ausrichtung zunehmend in den Fokus. Die 2023 beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung hebt unter dem Leitmotiv der Integrierten Sicherheit die Stabilität der europäischen Nachbarschaft, den Ausbau strategischer Partnerschaften sowie Deutschlands besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels hervor. Vor diesem Hintergrund können die Abraham Accords nicht nur zur Stärkung der wirtschaftlichen Resilienz Europas und zur Absicherung zentraler Handelsrouten beitragen, sondern auch als Plattform für eine überregionale sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit europäischen Staaten dienen.

Sicherheitsarchitektur im Wandel

Die Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens wurde über Jahrzehnte hinweg durch die Vereinigten Staaten als zentrale Ordnungsmacht geprägt. Bis heute unterhalten die USA mit Stützpunkten in mehr als einem Dutzend Ländern in der Region eine strategisch bedeutende Militärpräsenz und fungieren als Schutzmacht für zahlreiche regionale Verbündete. Darüber hinaus sind viele Staaten stark von amerikanischer Militärhilfe und Rüstungstechnologie abhängig. So zählen Israel sowie die großen Vorreiter arabisch-israelischer Normalisierung, Ägypten (seit 1979) und Jordanien (seit 1994), zu den größten Empfängern von US-Militärhilfe weltweit, einschließlich moderner Waffensysteme. Für die Golfstaaten stellt die Aussicht auf eine vertiefte sicherheitspolitische Partnerschaft mit den USA einen entscheidenden Anreiz für die Normalisierung ihrer Beziehungen mit Israel dar.

Zugleich zeichnet sich seit rund einer Dekade eine allmähliche Veränderung der amerikanischen Rolle im Nahen Osten ab. Die Interventionsmüdigkeit nach den Einsätzen in Afghanistan und im Irak sowie der strategische „pivot“ in Richtung Indopazifik haben dazu geführt, dass Washington seine Rolle als direkter Garant regionaler Sicherheit zunehmend durch eine integrative Strategie ersetzt. Diese zielt auf die Förderung regionaler Kooperation zwischen Verbündeten sowie die Schaffung einer auf gemeinsamen Interessen basierenden Sicherheitsarchitektur, die mittelfristig weniger direkte US-Militärpräsenz erfordert.

Im Zentrum dieser Bemühungen steht die Abwehr von Bedrohungen aus dem Iran. Die Islamische Republik verfügt nicht nur über ein fortgeschrittenes Atomprogramm, sondern auch über ein umfangreiches Arsenal an reichweitenstarken ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und bewaffneten Drohnen. Gleichzeitig stützt sich der Iran auf ein weitreichendes Netzwerk aus nichtstaatlichen islamistischen Akteuren, das als verlängerter Arm iranischer Machtprojektion fungiert. Die Folgen dieser asymmetrischen Strategie haben in den vergangenen Jahren nicht nur Israel, sondern auch zahlreiche arabische Staaten zu spüren bekommen. So verübten etwa die jemenitischen Huthis zahlreiche Drohnen- und Raketenangriffe auf Städte, Flughäfen sowie Öl- und Gasinfrastruktur in Saudi-Arabien und den VAE. Seit dem 7. Oktober 2023 griff die Miliz zudem dutzende Male westliche Handelsschiffe im Roten Meer an; bis heute meiden große Reedereien deshalb das Gebiet und wählen die wesentlich längere Route um das Kap der Guten Hoffnung. Bis Mai 2025 sank der Schiffsverkehr durch das Rote Meer und den Suezkanal um 60 Prozent, wodurch insbesondere Ägypten massive Einnahmeverluste erlitt. Darüber hinaus bedrohen die Angriffe die strategischen Ambitionen der Golfstaaten, sich als Logistik- und Investitionsknotenpunkte zwischen Asien und Europa zu etablieren.

Allerdings haben die regionalen Akteure in den vergangenen Jahren unterschiedliche Antworten auf den strategischen Wandel der USA sowie die Bedrohung aus dem Iran entwickelt. In der Golfregion hinterließen die wechselhafte Iranpolitik Washingtons in der letzten Dekade sowie das Ausbleiben einer entschiedenen Reaktion auf die Angriffe der Huthis ein Gefühl von Verwundbarkeit und trugen zu einer Neubewertung der amerikanischen Schutzgarantie bei. Die Golfstaaten schlugen daraufhin einen Deeskalations- und Annäherungskurs vis-à-vis Teheran ein, der 2023 in einem von China vermittelten Abkommen zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran gipfelte. Die Monarchien am Golf haben seitdem wiederholt eine Beteiligung an einem Verteidigungsbündnis gegen den Iran zurückgewiesen und öffentlich erklärt, dass sie ihr Staatsgebiet nicht als Ausgangspunkt für US-geführte Angriffe auf iranische Ziele zur Verfügung stellen würden. Hintergrund dieser Position ist vor allem die Furcht vor iranischen Vergeltungsschlägen – insbesondere gegen Energieinfrastruktur, die für die wirtschaftliche Stabilität und außenpolitische Handlungsfähigkeit der Golfmonarchien zentral ist. Der zwölftägige Krieg zwischen Israel und Iran im Juni 2025 hat diese Sorgen weiter verschärft.

Israel hingegen nimmt seit dem 7. Oktober 2023 eine präemptive Haltung gegenüber dem Iran und seinen Stellvertretern ein, nachdem der Überraschungsangriff der Hamas ein gravierendes Versagen des israelischen Sicherheitsapparates sowie eine fatale Fehleinschätzung der Bedrohung durch die Terrororganisation offenbart hatte.[3] In den Monaten nach dem Angriff führte Israel eine Reihe erfolgreicher Militäroperationen gegen die Hisbollah, den wichtigsten Akteur innerhalb der iranischen Achse, im Süden Libanons durch. Dies sowie die Zerstörung wesentlicher Teile der iranischen Luftverteidigung im Oktober 2024 schufen schließlich die Voraussetzung für Israels Angriffe auf Irans Atomprogramm im Juni 2025, an dem sich – nach einigem Zögern und gegen den ausdrücklichen Willen der Golfstaaten – auch die USA mit Luftschlägen auf Atomanlagen in Fordo, Natanz und Isfahan beteiligten.

Abraham Accords 2.0 ?

Die substanzielle Schwächung des Iran eröffnet Israel und seinen Partnern eine strategisch bedeutsame, wenn auch fragile Chance auf eine grundlegende Neugestaltung der regionalen Ordnung. Ob sich diese realisieren lässt, hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob es Israel gelingt, seine militärischen Erfolge in eine regionalpolitische Strategie zu überführen. Kern einer solchen Strategie wäre eine Erweiterung der Abraham Accords um ein Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien. Ein solcher „Deal“ ist schon seit seiner ersten Amtszeit das erklärte Ziel US-Präsident Donald Trumps und rangiert auf der außenpolitischen Prioritätenliste der US-Administration weiterhin hoch. Für Israel wäre die Normalisierung ein diplomatischer Durchbruch mit erheblichem strategischem und symbolischem Gewicht - handelt es sich bei Saudi-Arabien doch um den wirtschaftlich bedeutendsten arabischen Staat und Hüter der beiden heiligsten Stätten des Islam. Für Saudi-Arabien böte ein Abkommen nicht nur Zugang zu israelischer Spitzentechnologie, sondern könnte auch eine umfangreiche Vereinbarung mit den USA beinhalten inklusive formaler Sicherheitsgarantien und Kooperation beim Aufbau eines zivilen Atomprogramms.[4] Damit würde ein solcher Deal einen gewichtigen Beitrag zur Umsetzung der saudischen „Vision 2030“ leisten, die auf wirtschaftliche Diversifizierung und eine Stärkung der geopolitischen Rolle des Königreichs abzielt.

Der Nahe Osten, mit dem Trump in seiner zweiten Amtszeit konfrontiert ist, unterscheidet sich jedoch grundlegend von jenem der Jahre 2017 bis 2021. Während sich die 2020 geschlossenen Abkommen mit den VAE, Marokko und Bahrain gegenüber den Auswirkungen des 7. Oktober 2023 als bemerkenswert resilient erwiesen, wurden die zuletzt unter seinem Amtsvorgänger Joe Biden geführten Verhandlungen über eine saudisch-israelische Normalisierung weitgehend auf Eis gelegt.

Seither hat Riad eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Jerusalem zwar nicht ausgeschlossen, knüpft sie jedoch an die Bedingung eines verbindlichen Pfades zu einer Zwei-Staaten-Lösung im Israelisch-Palästinensischen Konflikt. Ein solcher scheint allerdings angesichts des anhaltenden Kriegs zwischen Israel und der Hamas in weiter Ferne. Die Terrororganisation hält – trotz weitgehender Zerstörung und katastrophaler humanitärer Bedingungen – mit Guerillataktiken, einem weitverzweigten Tunnelsystem und dem systematischen Missbrauch ziviler Infrastruktur die Kontrolle über den Gazastreifen aufrecht. Auch befinden sich derzeit noch immer zahlreiche israelische Geiseln in ihrer Gewalt. Gleichzeitig mangelt es Israel an einem realistischen Plan für ein Ende des Krieges sowie einer international tragfähigen Perspektive für die Zukunft Gazas.

Während die EU und die Arabische Liga in einer gemeinsamen Deklaration Ende Juli 2025 die Entwaffnung der Hamas und die Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in den Gazastreifen forderten, schließt Israels Regierung eine Beteiligung der PA an der Verwaltung des Gebiets bislang kategorisch aus. Zwar könnte die Perspektive einer Vertiefung und Erweiterung der Abraham Accords als Hebel dienen, um sowohl Kompromissbereitschaft auf Seiten Israels als auch arabische Beteiligung an einer Reform der PA sowie am Wiederaufbau Gazas voranzubringen. Letztlich wird hierbei jedoch entscheidend sein, in welchem Maße die USA bereit sind, politisches Kapital und konkrete Anreize einzusetzen – und inwieweit Israel zu politischen Zugeständnissen bereit ist und dafür innenpolitisch eine Mehrheit im Parlament und Rückhalt in der Bevölkerung erhält.[5] Während die in Teilen rechtsextreme Regierungskoalition von Premierminister Benjamin Netanjahu einen palästinensischen Staat grundsätzlich ablehnt, ist infolge des Traumas vom 7. Oktober 2023 auch in der breiteren israelischen Bevölkerung das Vertrauen in die Möglichkeit eines friedlichen Arrangements gesunken. Ein ernsthafter Plan, der israelische Sicherheitsbedenken adressiert und eine Erweiterung der Abraham Accords in Aussicht stellt, könnte hier jedoch neue Spielräume eröffnen.

Im Juni 2025 erklärte Israels Außenminister Gideon Sa’ar zudem öffentlich Interesse an diplomatischen Beziehungen mit Syrien und dem Libanon. In Syrien strebt die neue Regierung unter Ahmedal‑Scharaa seit dem Sturz des Assads-Regimes im Dezember 2024 eine Rückkehr in die arabische Staatengemeinschaft sowie ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit Israel an. Im Libanon wurde Anfang 2025 nach Jahren der innenpolitischen Blockade Joseph Aoun zum neuen Präsidenten gewählt, der die Entwaffnung der Hisbollah zu einem zentralen Anliegen und Interesse an einem Friedensabkommen mit Israel erklärt hat. Zwar bleiben diese Annäherungsschritte fragil und von Rückschritten bedroht, wie die Gewaltexzesse gegen die Drusen in der syrischen Provinz Suweida im Juli 2025 gezeigt haben. Ein zeitnaher Beitritt zu den Abraham Accords ist daher nicht in Aussicht. Dennoch deuten diese Entwicklungen nach Jahrzehnten der Feindschaft einen vorsichtigen Kurswechsel an, der Israels Beziehungen mit seinen nördlichen Nachbarn nachhaltig verändern könnte.

Perspektiven für eine strategische Neuausrichtung der Europäischen Union im Nahen Osten

Die Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten berührt auch zentrale Interessen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Für Deutschland und Europa ergibt sich daraus nicht nur eine Chance zur Mitgestaltung, sondern auch die Notwendigkeit, ihre Rolle im Nahen Osten strategisch neu zu definieren, um die Handlungsfähigkeit in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen auszubauen und sich den Herausforderungen der sich wandelnden globalen Ordnung anzupassen. Während die westliche Welt ihre sicherheitspolitischen Ressourcen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine und auf die Eindämmung chinesischen Einflusses im Indopazifik konzentriert, verfolgen im Nahen Osten andere Akteure aggressiv ihre eigenen Interessen. Das geschieht insbesondere in der anti-westlichen Achse Teheran-Moskau-Peking: Russland und der Iran haben ihre Zusammenarbeit im syrischen Bürgerkrieg sowie im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine intensiviert und im Januar 2025 ein Abkommen über militärische Kooperation unterzeichnet. China ist Irans wichtigster Handelspartner und Abnehmer von über 90 Prozent der iranischen Ölexporte, was den westlichen Sanktionsdruck entscheidend mindert.

Zugleich decken sich die sicherheitspolitischen Interessen der EU, Israels und moderater arabischer Staaten in wichtigen Punkten. So stellen Irans Unterstützung islamistischer Milizen, das fortgeschrittene Atomprogramm sowie Teherans Angriffe im Cyberraum gemeinsame Herausforderungen dar. Schnittmengen bestehen auch bei der Bekämpfung internationaler Terrornetzwerke sowie dem Schutz Kritischer Infrastruktur und internationaler Handelswege. Deutschlands Bemühungen, die iranischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU setzen zu lassen, sowie Erwägungen zur Reaktivierung des im Oktober 2025 auslaufenden Snapback-Mechanismus im Atomabkommen, der die Wiederinkraftsetzung von Sanktionen gegen den Iran ermöglicht, verdeutlichen die wachsende Bereitschaft der Bundesregierung, eine entschlossene Haltung gegenüber dem iranischen Regime einzunehmen. Diese sollte durch eine europäische Strategie flankiert werden, die sicherheitspolitische, diplomatische und wirtschaftliche Instrumente wirkungsvoll miteinander verknüpft. Eine enge Koordination mit Israel und den arabischen Partnerstaaten ist hierfür von zentraler Bedeutung.

Deutschland und die EU können auf bereits bestehende Initiativen aufbauen, auch im sicherheitspolitischen Bereich. Ein Beispiel ist die EU-Marinemission EUNAVFOR ASPIDES, die seit Februar 2024 zur Sicherung der Schifffahrt im Roten Meer gegen Bedrohungen durch die Huthis im Einsatz ist. Ihr Mandat ist im Gegensatz zur dortigen US-geführten Operation Prosperity Guardian rein reaktiv auf die Abwehr laufender Angriffe ausgerichtet; dabei fehlt es an bereitgestellten Schiffen und einer langfristigen Strategie. Erst im Juli 2025 versenkten die Huthis trotz eines Waffenstillstands mit den USA zwei unbegleitete Frachter, wobei mehrere Seeleute getötet wurden. Auch sieht sich Europa infolge geleakter Signal-Chatnachrichten, in denen hochrangige US-Regierungsvertreter im März 2025 Angriffe auf Huthi-Stellungen diskutierten und Europa dabei nicht ganz zu Unrecht des freeloading bezichtigten, unter Handlungsdruck. Deutschland und seine europäischen Partner sollten sich frühzeitig mit der Frage auseinandersetzen, wie der EU-Einsatz fortgesetzt werden kann, sollten die USA ihr militärisches Vorgehen gegen die Huthis weiter zurückfahren.

Ein weiteres Beispiel ist die bereits seit 2005 bestehende European Union Border Assistance Mission to Rafah (EUBAM Rafah) zur Unterstützung des Grenzmanagements am dortigen Grenzübergang. Die nach der Machtübernahme der Hamas 2007 ausgesetzte Mission war während des Waffenstillstands zwischen Israel und der Hamas Anfang 2025 auf Ersuchen Israels und der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie mit Zustimmung Ägyptens wiederaufgenommen worden. Als neutrale Drittpartei soll die Mission außerdem dazu beitragen, die Koordination und das Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren zu verbessern, die exekutiven Kompetenzen der PA zu stärken und den Zugang für humanitäre Hilfe zu erleichtern.

Die israelische Armee übernahm im Mai 2024 die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor entlang der ägyptischen Grenze und zerstörte dabei zahlreiche Tunnel, die von der Hamas zum Schmuggel von Waffen und anderen Gütern genutzt worden waren. Seitdem steht die Frage nach einer tragfähigen Verwaltung der Grenze erneut im Fokus. Im Rahmen eines langfristigen Waffenstillstands könnte eine erweiterte EUBAM Rafah zu einem funktionierenden Grenzmanagement und somit auch zum Wiederaufbau Gazas bei gleichzeitiger Wahrung israelischer Sicherheitsinteressen beitragen. Gleiches gilt für andere europäische Initiativen, die darauf abzielen, die PA durch Reformen in den Bereichen Governance, Wirtschaft und innere Sicherheit auf eine Rückkehr in den Gazastreifen vorzubereiten. Finanzielle Unterstützung sollte dabei allerdings an überprüfbare Fortschritte geknüpft werden, insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Umwandlung des sogenannten „Märtyrerfonds“ in ein bedarfsorientiertes Sozialsystem, sowie bei der Förderung von Bildungsinhalten, die Koexistenz und Verständigung vermitteln.

Schließlich gilt es, bestehende Partnerschaften mit Israel und den Golfstaaten auszubauen - etwa im Bereich zukunftsweisender Technologien. Die 2022 verabschiedete Strategische Partnerschaft mit den Golfstaaten sowie die Wiederaufnahme des EU-Israel-Assoziationsrates im Februar 2025 weisen in diese Richtung. Weiter können Deutschland und die EU eine aktivere Vermittlerrolle übernehmen und durch Förderung multilateraler Initiativen nach Vorbild des Negev Forums regionale politische wie wirtschaftliche Kooperation unterstützen.

Auch auf wirtschafts- und handelspolitischer Ebene eröffnen sich neue Ansätze strategischer Zusammenarbeit: Der 2023 im Rahmen der G20 unter indischem Vorsitz initiierte India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEC) zielt darauf ab, Indien über die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Jordanien und Israel mit Europa zu verbinden - durch neue See- und Bahnverbindungen sowie Energie- und Dateninfrastruktur. Ziel ist es, die wirtschaftliche Konnektivität zwischen Asien, dem Nahen Osten und Europa zu stärken und Handelsrouten zu diversifizieren, insbesondere mit Blick auf die steigenden Risiken im Roten Meer sowie die chinesische Belt-and-Road Initiative. Im Februar 2025 bekräftigten sowohl US-Präsident Trump als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei Treffen mit Indiens Premierminister Narendra Modi ihr Engagement für IMEC. Im anbrechenden geoökonomischen Zeitalter könnte sich IMEC schon bald als ein Schlüsselprojekt sowohl für Europas strategische Autonomie als auch zur Förderung regionaler Integration im Nahen Osten erweisen. Bisher hat die Zurückhaltung der EU rivalisierenden Mächten wie Russland und China freie Hand gelassen, ihren Einfluss in der Region auszubauen. Ohne eine Anpassung ihrer Strategie riskiert die EU zunehmend an Relevanz zu verlieren - zu ihrem eigenen sicherheitspolitischen, politischen und wirtschaftlichen Nachteil.

Carla Dondera war 2024 bis 2025 BAKS Fellow, absolviert ein Masterstudium der Politikwissenschaft in Berlin und ist studentische Mitarbeiterin beim American Jewish Committee. Die Autorin gibt ihre persönliche Meinung wieder.

 

[1] Eine Ausnahme bildet der Sudan, der sich seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2023 verstärkt dem Iran angenähert hat.

[2] Bei der Gründung der für den Nahen und Mittleren Osten regional zuständigen US-Kommandobehörde CENTCOM 1983 behielt aufgrund der fehlenden Anerkennung durch die meisten arabischen Staaten (mit Ausnahme Ägyptens) dennoch EUCOM die Zuständigkeit für Israel, was einer Diskrepanz zwischen tatsächlicher Bedrohungslage und geografischem Kommandobereich gleichkam: Während EUCOM für die Unterstützung der israelischen Verteidigung zuständig war, gingen die zentralen Bedrohungen von Akteuren innerhalb der Zuständigkeit CENTCOMs aus. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich zwischen EUCOM, CENTCOM und Israel in den letzten zwei Jahrzehnten eine leise, aber kontinuierliche Zusammenarbeit. Die Ausweitung der Anerkennung Israels im Rahmen der Abraham Accords ermöglichte schließlich den offiziellen Wechsel Israels zu CENTCOM.

[3] Siehe Fabian, Emanuel (2025): IDF’s Oct. 7 probes show it misread Hamas for years, left southern Israel utterly vulnerable, in: The Times of Israel, 27. Februar 2025.

[4] Im Mai 2025 unterzeichneten die USA und Saudi-Arabien in Riad ein Memorandum of Understanding zur Energiekooperation, das auch Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines zivilen Atomprogramms umfasst - jedoch offenbar nicht länger in Zusammenhang mit einem möglichen Normalisierungsabkommen mit Israel.

[5] Eine zentrale Hürde hierfür bilden die rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, die eine Fortsetzung des Gazakriegs, eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens sowie eine Annexion der Westbank anstreben und Premierminister Netanjahu regelmäßig mit einem Ausstieg aus der Koalition drohen. Die Regierung ist zudem seit Juli 2025 wegen des Austritts der ultraorthodoxen Parteien Shas und Vereinigtes Tora-Judentum instabil. Der Schritt folgte auf einen innenpolitischen Streit um ein Gesetz zur Befreiung ultraorthodoxer Männer von der Wehrpflicht und könnte zu vorgezogenen Neuwahlen vor dem regulären Termin im Oktober 2026 führen, sollte Netanjahu an einer Lösung dieser Frage scheitern.

Working Paper topic: 
European Union
Arab-Israeli Conflict
Terrorism
Region: 
MENA
Tags: 
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